In den 60ern war das Goin up the country, das Wegziehen, das Suchen, das Ungebundensein Ausdruck einer gewissen inneren Befindlichkeit man denke allein an das Woodstock-Festival auf einer Bauernwiese im Nirgendwo. Nicht nur, um sich selbst zu finden, zog man los; es ging auch um die Abkehr von einer Gesellschaft, der man nicht mehr angehören wollte/konnte. Dieses Topos der Reise als Reise zu sich selbst Grundelement des Road Movies, deren Hoch-Zeit nicht von Ungefähr im New Hollywood der 60er und 70er lag hat heutzutage eine andere Bedeutung. Die Suche nach dem Platz im Leben ist nicht mehr geprägt von einem grundsätzlich politisch-kritischen Geist, sondern von der Verzweiflung, der Verwirrung, der Verunsicherung, die den vielfältigen Möglichkeiten entspringen, aus den vielen Lebensoptionen und alternativen, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind.
Es ist bezeichnend, dass die Drehbuchautoren Dave Eggers und Vendela Vida das ursprünglich vorgesehene Filmende weg aus den USA nach Costa Rica umänderten: Wir hatten das Skript unter einer anderen Regierung geschrieben und damals erschien uns die Flucht in ein Land, das sich noch nie an einem Konflikt beteiligt hat, als die einzige vernünftige Lösung.
Das Away We Go des Filmtitels, dem sich Burt und Verona verschrieben haben, ist kein Weglaufen, es ist eine Suche nach dem besten Ort von vielen, wo sie bleiben könnten; kein Aufbau eines neuen Lebens in einem neuen Lebensabschnitt, dem der Elternschaft, sondern der Versuch, Anschluss zu finden an etwas, was andere Leute schon entdeckt zu haben glauben. Unterentwickelt, verwirrt, unreif finden sie sich, und so ist ihr Trip auch eine Forschungsreise: wie geht es anderen Eltern? Können wir etwas von ihrem Stil adoptieren? Ist bei ihnen Hilfe zu erwarten?
Das Beste an diesem Film ist, dass er all diese Fragen ganz leicht nimmt. Und sehr witzig rüberbringt. Damit ist Away We Go eine Art Geschwisterfilm zu Zeiten des Aufruhrs, Sam Mendes Film vom Frühjahr dieses Jahres, und zugleich eine Art Gegenprogramm. Eine Alternativversion: Das Paar, das sich ändern will/muss, das sich reibt an den Verhaltensweisen anderer und das sich einerseits von der Konventionalität absetzen will, sich andererseits nach Normalität sehnt, ist hier nicht tragisch-dramatisch, sondern locker-komisch aufgelöst. Sehr komisch.
Allein die Anfangsszene, in der Burt mit der Nase auf Veronas Schwangerschaft gestoßen wird, in einem höchst intimen Moment: Du schmeckst anders. Irgendwie fruchtig.
Auf immer neue Bühnen geraten Burt und Verona, auf denen dasselbe Stück Eltern und Kinder in vielerlei Variationen durchgespielt wird. Wo zum Beispiel Egoismus und Gleichgültigkeit gepaart sind mit ordinärer Hemmungslosigkeit und apokalyptischem Raunen über das allgegenwärtige Scheitern, was eine Art Freifahrschein fürs Asoziale ergibt. Oder wo die absolut-kategorisch verstandene Mutterschaft einen gespenstisch-absurden, sektenartig-esoterischen Glauben an die alleinige, eigene Wichtigkeit hervorbringt, inklusive Verteufelung von Kinderwagen, weil man ja seine Kinder nicht von sich wegschieben soll.
Satirisch, ohne karikaturesk zu wirken, gestaltet Mendes die Möglichkeiten, mit denen sich Burt und Verona konfrontiert sehen. Und zeigt so: man kann in absoluter Harmonie leben wie Burt und Verona, sich dennoch unsicher und anlehnungsbedürftig fühlen, und dabei gerade im Erkennen und Ablehnen falscher Modelle sich selbst definieren.
Burt und Verona kennen ihre Schwächen und sind intelligent genug, witzig zu sein Burts Busen-Fixierung zum Beispiel, oder seine überraschenden Streitausbrüche, um die Herzfrequenz des ungeborenen Babys zu erhöhen. Die Drehbuchautoren sind dabei so einfühlsam, die Komik ganz natürlich und damit umso wirkungsvoller einfließen zu lassen; sich der Bizarrität des Lebens zu stellen. Und konsequenter- wie dankenswerterweise vermeiden sie alle Klischees von Paarkonflikten oder Schwangerschaftskomplikationen die Auseinandersetzungen finden mit dem Außen statt, und nicht innerhalb der Einheit BurtVeronaungeborenes Baby.
Und Sam Mendes, der ohnehin in all seinen Filmen als großartiger Charakterzeichner etabliert hat, ist klug genug, nie auf den Gag hin zu inszenieren. Denn: wenn etwas von sich aus, von Grund auf witzig ist, wirkt die Überforcierung tödlich. Dieser Film ist aber höchst lebendig; und um die Lebendigkeit geht es ja auch: sie strampelt in Veronas Bauch.
Fazit: Sehr lustige, klug geschriebene und einfühlsam inszenierte Roadmovie-Elternselbstfindungs-Komödie.