Der Film setzt die Erfindung der Currywurst in Hamburg an, folgt nicht der vielfach kolportierten Legende des Berliner Entstehungsortes. Doch einen Authentizitätsanspruch in dieser Frage strebt er überhaupt nicht an, ja: Curry, das Gewürz, taucht eigentlich erst nach einer dreiviertel Stunde auf, in einer Erinnerungserzählung von Hermann, dem fahnenflüchtigen Marinesoldaten, der einst in Indien war und von Geflügel in Currysoße schwärmt.
Es geht um den Krieg, den verlorenen, um Hamburg und das Harren auf Frieden. Nein, eigentlich geht es um eine Liebesgeschichte, um romantische Gefühle in einer Trümmerlandschaft, um Gefühle einer über 50jährigen zu einem jungen Matrosen. Beziehungsweise in Wirklichkeit geht es um die Zeitenwende der sogenannten Stunde Null, 1945, als alles vorüber war und alles neu begann. Und hier setzt die Currywurst ein, als Metapher für das Neue, scharf-süß-würzig, mit dem Ruch der großen weiten Welt, mit dem Anklang des Paradieses, den schon Hermann spürte, als er in Indien sein Curryerlebnis hatte.
Vor einem Kino lernt Lina Hermann kennen, sitzt mit ihm in einem Luftschutzraum, nimmt ihn mit in ihre Wohnung und hält ihn versteckt: an der Heimatfront sterben mag er nicht, er, der von der See aufs Land, zum Volkssturm abkommandiert wurde. Und sie lieben sich, für die Zeit, die ihnen bleibt bis zum Tod oder bis zum Frieden. Die absolute Gegenwart leben sie, Zukunft ist egal, Vergangenheit zählt nicht. Obwohl jeder von den Geheimnissen des anderen weiß, Hermann hat, als er wie ein Panther hinter seinen Gitterstäben durch die Wohnung schlich, aus der er nicht heraus darf, Liebesbriefe von einer Affäre Linas gefunden, die sie leugnet. Und Lina hat die Fotos von Hermanns Familie gesehen, die er verheimlicht.
Erst als der Krieg aus ist, beginnt die Zukunft. Da hat sich alles geändert, weil viel mehr auf dem Spiel steht. Die Heimlichkeiten werden schädlich für die Beziehung, Lina weiß, dass Hermanns Frau und Kind warten. Und dass sich ihre Wege trennen werden. Und so will Lina den Kriegszustand konservieren, die Beziehung aufrechterhalten. Eine Lüge soll die Gefahr für das Paar auf Zeit bannen.
Sie erzählt Hermann, was er hören möchte. Und der Soldat zeigt sich als richtiger Krieger, er träumt von einem Bündnis Deutschlands mit England und USA gegen Russland, jetzt, wo der Führer tot ist und Verhandlungen nichts mehr im Weg steht. Und Lina erzählt von der Rückeroberung des Ostens, vom gemeinsamen Kampf gegen den Bolschewismus und für die deutschen Ostgebiete bis Königsberg hält die Verblendung aufrecht bis ja, bis sie vom Holocaust erfährt. Der Tod im Vernichtungslager lässt sie das Spiel beenden, der Ernst der Vergangenheit nimmt Überhand: Der Krieg ist aus. Aber richtig. Wir haben ihn verloren. Gott sei Dank.
So emanzipiert sich Lina nicht nur von einer Liebe, die ohnehin keine Zukunft hatte, sondern streift auch jede Sehnsucht nach der Vergangenheit ab. Auch wenn es schmerzt, loszulassen, was man lieb gewonnen hat, die Zärtlichkeit, die Liebe, die Lust, die Nähe, die sie mit Hermann erfahren hat. War sie schon zuvor nicht zimperlich, hat trotz Not Lebensmittel für die Kantine organisiert, die sie leitet, hat auch gerne zusammen mit dem Koch dem Gauleiter Fisch serviert, den er nicht verträgt: jetzt weiß sie, dass sie erst loslassen und dann ganz von vorne anfangen muss. Eine Erfahrung, die das deutsche Volk als Gesamtes nicht in so kurzer Zeit hat vollziehen können große Teile hielten noch bis weit nach 68 an der Vergangenheit fest
Und so ist die Entstehung der Currywurst dramaturgisch, darstellerisch, inszenatorisch ohnehin beinahe makellos eine kleine Geschichte innerhalb der großen deutschen Geschichte; ohne jeden Kitsch und jede Sentimentalität und Nostalgie, oder andersrum: ohne Überwältigungsrekonstruktion der Vergangenheit mit überdimensioniertem Setdesign, wie sie in Filmen über die Nazizeit so häufig sind. Denn wo sonst die große Betroffenheit, die eine, reine Unschuld im bösen Nazideutschland zelebriert wird, die Maßstab ist für all das Grauen des Dritten Reiches, da sind hier die Figuren erfrischend ambivalent. Man muss sich halt zurechtfinden, auch in einer falschen Welt. Und das Beste daraus machen. Auch wenn auf dem Schwarzmarkt nur Curry statt Speiseöl erhältlich ist und die Kiste mit dem Grundkapital für eine Würstchenbude auf dem Boden landet: so beginnt aus miesem Tausch und Missgeschickt die Zukunft. Currywurst eben.
Fazit: Die letzten Kriegstage in Hamburg, eine Liebesgeschichte ohne Zukunft, das persönliche Überwinden der Vergangenheit und Currywurst als Start in eine neue Zeit.