In seiner Klinik bei Zürich wendet der Mediziner Carl Gustav Jung Anfang des 20. Jahrhunderts die psychoanalytischen Untersuchungsmethoden des berühmten Sigmund Freud an. Als die an Hysterie erkrankte Sabina Spielrein jedoch seine Praxis betritt, vermischen sich bei Jung berufliche und private Leidenschaften miteinander. Hilfe sucht er ausgerechnet bei dem prinzipientreuen Freud, der Jung als seinen Kronprinzen betrachtet. Doch beider Erwartungen werden bitterlich enttäuscht. Die Adaption des Bühnenstücks „The Talking Cure“ erzählt die Geschichte einer historisch verbürgten Amour fou zwischen Jung und Spielrein. Der Film überzeugt dabei vor allem durch die hochkarätige Besetzung, allen voran Viggo Mortensen, Michael Fassbender und Keira Knightley. Ruhig und versiert erzählt Regisseur David Cronenberg von dem Kampf der unterdrückten Gefühle gegen die Macht des Verstandes. Die Kamera untermalt die raffinierten Dialoge mit grandiosen kammerspielartigen Bildern. Ein Film über große Geister und ebenso große Gefühle.
Jurybegründung:
Im Jahr 1904 wird die jüdische Russin Sabina Spielrein (Keira Knightley) wegen hysterischer Renitenz in die Züricher Klinik Burghölzli eingeliefert. Ihre Behandlung übernimmt der 29jährige Psychotherapeut Carl Gustav Jung (Michael Fassbender). Inspiriert durch die ihm bekannte Arbeit Sigmund Freuds, möchte er auf der Grundlage langer Gespräche mit der Patientin eine neue Behandlungsmethode erproben. Die achtzehnjährige Sabina Spielrein lässt sich auf das Experiment ein. Während der Gespräche wird Jung einerseits die außerordentliche Intelligenz und Begabung seiner attraktiven Patientin deutlich. Er gewinnt aber auch Einblicke in die dunklen Ursprünge ihrer Störung. Die von ihrem autoritären Vater Gedemütigte und Geschlagene gesteht ihm zu seiner Irritation, dass ihr die auf das entblößte Gesäß ausgeführten Schläge Lust bereitet hätten. Da Sigmund Freud (Viggo Mortensen) die Triebstrukturen psychischer Störungen untersucht, nimmt Jung wegen der Fallgeschichte Spielrein zunächst brieflichen Kontakt auf. Sie korrespondieren mit wachsendem, gegenseitigem Interesse. Zwischen beiden entwickelt sich ein langes Gespräch, in welchem Freud mit ebenso bedächtigen wie sachlichen und souveränen Überlegungen zur Erörterung des Falles beiträgt. Zugleich erkennt er durch einen von Jung erzählten Traum das Moment einer verborgenen, unerfüllten sexuellen Sehnsucht. Der mit der schwangeren Emma (Sarah Gadon) verheiratete Jung will sich jedoch seine heimliche Zuneigung für Sabina zunächst nicht eingestehen. Erst die Begegnung mit dem Kollegen Otto Gross (Vincent Cassel), um dessen Behandlung ihn Freud gebeten hat, eröffnet ihm den eigentlichen Impuls seines Interesses für die Patientin. Während C.G. Jung seine Gewissenskonflikte verdrängt, leidet das Verhältnis zwischen ihm und Freud zunehmend durch Diskrepanzen hinsichtlich der wissenschaftlichen Auffassungen. Aus ethischem Verantwortungsbewusstsein überdenkt der enttäuschte Jung seine berufliche Situation und beendet das Verhältnis mit Sabina Spielrein. Am Ende wird Spielrein Freuds Patientin und schließlich ihrerseits Analytikerin. Es ist die Zeit des deutschen Machtwechsels durch die Nationalsozialisten. Die ernstzunehmende Dimension und Gefahr der nationalsozialistischen Ideologie hat in seinen Schriften eher Freud als Jung erkannt. C.G. Jung äußert am Ende des Films seine politische Prognostik irrational durch ein Traumgleichnis: Eine Welle aus Blut überflute von Norden aus Europa. Historisch gesehen gehören der jüdische Theoretiker Sigmund Freud und Sabina Spielrein zu den Verfolgten des Naziregimes. Freud wird aus seiner Wiener Wohnung vertrieben und emigriert nach London. Sabina Spielrein wird 1941 in ihrer russischen Heimatstadt Rostow zusammen mit ihren beiden Töchtern in einer Synagoge erschossen.
Der Film EINE DUNKLE BEGIERDE dokumentiert fiktionalisierend Episoden aus der Pionierzeit der Psychoanalyse. In dem entstehenden Konflikt zwischen C.G. Jung und dem zwanzig Jahre älteren Sigmund Freud erhält die ’schillernd‘ inszenierte Rolle der Sabina Spielrein erfrischend viel Raum. Der Film unterstreicht ihre Bedeutung innerhalb der von Frauen (wie etwa Rosa Luxemburg, Edith Stein oder Hannah Arendt) beeinflussten Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts. Sie arbeitete als Kinderpsychologin und bildete in der damaligen Sowjetunion wichtige Vertreter der russischen Psychoanalyse aus.
Die Handlung des Films wird in elegischen, manchmal opulenten Bildern, die bisweilen an Inszenierungen Luchino Viscontis erinnern, und durch grandiose darstellerische Leistungen vorgetragen. Keira Knightley verkörpert die Rolle der Sabina Spielrein in all ihren Schattierungen, von der geistig verwirrten Hysterikerin bis zur selbstbewussten Analytikerin, mit größter Empathie. Michael Fassbender spielt den charmanten, aber seinerseits von dunklen Neigungen bewegten Carl Gustav Jung mit Gespür für dessen emotionale Ambivalenz. Und Viggo Mortensen realisiert - gegen die herkömmlich einseitige Kritik an Sigmund Freud - einen vollkommen glaubwürdigen, ebenso ausgeglichenen wie reflektierten und engagierten Charakter. Das Drehbuch zu dem Film verfasste nach sorgfältigen Recherchen der Autor Christopher Hampton. Der Stoff wurde von ihm zunächst als Theaterstück nach dem Buch von John Kerr inszeniert. Die Regie des Films führte der durch Filme wie u. a. THE DEAD ZONE, DIE FLIEGE oder NAKED LUNCH bekannte Regisseur David Cronenberg. Die stimmungsvolle, den zum Teil impressionistischen Bildern homogen zugeordnete Musik verfasste der Filmkomponist Howard Shore.
Die FBW-Jury zeigte sich von dem geschlossenen, klassisch dichten Filmwerk in gleichem Maß beeindruckt. Sie vergab einstimmig das Prädikat ‚besonders wertvoll‘.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)