Er war 50 Jahre lang der Kopf des FBI und einer der mächtigsten und einflussreichsten Männer der USA: John Edgar Hoover, kurz J. Edgar. Er arbeitete präzise wie ein Uhrwerk, verlangte von sich und seinen Mitarbeitern Disziplin bis zur Selbstaufgabe und vertraute niemandem wirklich. Wie Hoover allerdings als Mensch fernab der Pflichterfüllung war, ist bis heute Spekulation. Meisterregisseur Clint Eastwood setzt sich mit dem Konflikt des öffentlichen und privaten Hoover auseinander, zeigt den Menschen in seiner moralischen und emotionalen Zerrissenheit. Dabei liefert Leonardo DiCaprio ein ungeheuer eindrucksvolles Portrait dieses mächtigen Mannes. Eastwood gelingt das Kunststück, mithilfe einer Erzählung über mehrere Zeitebenen hinweg und ausgewählten Schlüsselmomenten nicht nur die Biographie einer historischen Figur zu beschreiben, sondern er zeichnet auch ein Stück US-Geschichte nach. Eine ergreifende und brillante filmische Annäherung an einen Mythos.
Jurybegründung:
J. Edgar Hoover, einer der mächtigsten Männer des 20. Jahrhunderts in den USA, von Legenden umwoben, wird uns in einer faszinierenden filmischen Charakterstudie von Clint Eastwood vorgestellt.
Nach Abschluss seines Jurastudiums begann Hoover 1917 für das US-Justizministerium zu arbeiten, wurde im Zusammenhang mit der russischen Revolution schnell zum Leiter der Registrierung feindlicher Ausländer und 1919 zum Chef der neu eingerichteten ?General Intelligence Division‘. Zusammen mit seinem Chef Alexander Mitchell Palmer organisierte er 1920 die größte Massenverhaftung in der US- Geschichte, bei der etwa 10 000 mutmaßliche Mitglieder und Sympathisanten der Kommunistischen Partei der USA inhaftiert wurden.
1924 wurde Hoover zum Direktor des „Bureau of Investigation“ und baute dies zur Bundesorganisation FBI aus. Er führte neue kriminaltechnische Methoden auf wissenschaftlicher Basis ein, wie zum Beispiel eine zentrale Kartei für Fingerabdrücke und ein kriminaltechnisches Labor. Medienwirksam ließ er Festnahmen berühmt berüchtigter Gangster wie Dillinger „inszenieren“, konnte den Entführer des Lindbergh-Babys dingfest machen und errang in den Medien den Ruf eines typischen „G-Man“. Nahezu 50 Jahre bis zu seinem Tod im Jahre 1972 war er der uneingeschränkte und, auch von den insgesamt acht Präsidenten während seiner Amtszeit, gefürchtete Direktor des „Machtapparates FBI“.
Dramaturgisch geschickt beginnt der Film am Ende von Hoovers Karriere mit dem Diktat seiner Memoiren. Und so erleben wir in Rückblenden die wichtigsten Stationen seines Berufslebens, die Bekämpfung von Verbrechen und Staatsfeinden sowie seine Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft, die seiner Meinung nach immer zum besten Schutz des Landes geschah.
Sein Privatleben behielt Hoover immer streng geschützt im Dunkel, so sehr er sich im Gegensatz dazu als Chef des FBI im Licht der Medien, zusammen mit berühmten Persönlichkeiten, feiern ließ. So ließ er Fahndungserfolge seiner Mitarbeiter gerne medienwirksam sich selbst zuschreiben. Die Szenen von Hoovers Privatleben, die sich seiner Beziehung zu Clyde Tolson, seinem engsten Freund, Berater und rechten Hand und zu seiner Mutter Annie, die ihn vollkommen beherrschte, widmen, gehören dagegen sicherlich zu den eindrucksvollsten Erlebnissen in diesem Film. Trotz aller eindringlichen Freizügigkeit in der Darstellung wird Hoover niemals desavouiert. So kann der Zuschauer für diesen harten, herzlosen, ja unerbittlichen Karrieremann letztendlich doch noch Mitgefühl empfinden.
Nichtsdestotrotz wird ein Mann und sein von ihm geschaffenes und beherrschtes System gnadenlos entblättert und der Kritik ausgesetzt. Der Film ist aber auch eine Reflexion über das Leben eines Mannes, der sich die Frage stellen musste, was bleibt, wenn die Liebe fehlt.
Eine schillernde, geheimnisvolle Figur, mit dessen Verkörperung Eastwood Leonardo DiCaprio betraute. Ein Glücksfall, denn DiCaprio spielt den 20jährigen jungen Hoover wie auch den 77jährigen kurz vor seinem Tod in einer perfekten Maske und allen seinen charakterlichen Facetten so überzeugend, dass dies nur Begeisterung hervorrufen kann. Judi Dench in der Rolle seiner Mutter Annie kann ebenso brillieren, wie auch Armie Hammer als Hoovers Vertrauter Clyde Tolson und Naomi Watts als bedingungslos ergebene Sekretärin Helen Gandy, die ihn Zeit seines Berufslebens begleitete.
Alle weiteren Charaktere sind ebenfalls bestens besetzt und spielen unter Eastwoods sicherer Regie überzeugend. Die Kamera von Tom Stern, das hervorragende Drehbuch von Dustin Lance Black, die musikalische Untermalung von Clint Eastwood selbst und vor allem die Montage des kompliziert angelegten Plots mit vielen Rückblenden sind handwerkliche Meisterleistungen. Dies gilt insbesondere auch für die Ausstattung und die Maske, welche das Leben von Hoover als FBI-Direktor über 50 Jahre mitgestalten musste.
Insgesamt ein weiterer Film des großen Genies Clint Eastwood, welches als großes Werk in die Filmgeschichte eingehen wird.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)