Einen echten Liebesfilm gibt es, im Gegensatz zum Actionfilm oder zur Komödie, im Kino nicht oft zu sehen. Mademoiselle Chambon von Regisseur Stéphane Brizé ist einer, und er ist so gelungen, dass er im Gedächtnis bleibt wie ein Schatz, den man dankbar hütet. Mit großer Einfachheit und Klarheit verfolgt er den Prozess einer Liebe, die eigentlich nicht sein soll, aber trotzdem über zwei erwachsene Menschen kommt, um sie magnetisch anzuziehen, in heftige Zweifel zu stürzen und zu einer Entscheidung zu zwingen. Wie eng Jubel und Schmerz zusammengehören, wird weitgehend nonverbal, also mit den ureigenen Mitteln des Films, deutlich im Dialog zweier Ausnahmeschauspieler.
Wer nicht liebt, hat nicht gelebt, heißt es, und die beiden Liebenden hier machen einen Reifeprozess durch, sie leben so intensiv, dass sie die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit sinnlich durchmessen und daran altern. Mademoiselle Chambon, gespielt von Sandrine Kiberlain, ist eine sehr zarte, fast durchsichtige Person und als Vertretungslehrerin nirgends beheimatet. Im Gegensatz zum Vater ihres Schülers Jérémy, dem Maurer Jean, hat sie sich weder Haus noch Familie aufgebaut. Mit seiner männlichen Kraft und Bodenständigkeit weckt dieser Handwerker verschiedene Sehnsüchte in ihr.
Vincent Lindon spielt Jean im wirklichen Leben sind Lindon und Kiberlain ein Ehepaar, das sich getrennt hat. Ähnlich wie die Figuren, die sie im Film spielen, sind die Darsteller so diszipliniert, dass sie ihre Aufgaben trotz der persönlichen Gefühle meistern. Jean arbeitet hart und ist es nicht gewöhnt, dafür gelobt zu werden. Die Aufmerksamkeit der Lehrerin weckt in Jean ebenfalls Wünsche, die über sein bisheriges Leben hinausgehen: Zugang zur Musik bekommen, sich um sich selbst kümmern.
Und dann sitzen die beiden ungleichen Menschen stumm und befangen auf Mademoiselle Chambons Sofa, lauschen einer CD und tasten sich zueinander vor, wägen innerlich, aber hellwach ab, welches Gefühl sein darf und wie viel davon der Andere verträgt. Der Regisseur, der einen Roman von Éric Holder als Vorlage verwendete, inszeniert solche Momente wie in Zeitlupe. Euphorie und Versagen ringen um eine gemeinsame Form, münden in Traurigkeit und Zärtlichkeit. Wenn Jean einmal im Auto heimfährt und sich der Kamera allenfalls von der Seite zeigt, ist diese lange Einstellung auf phänomenale Weise erfüllt von dem Zauber, den dieser Mann spürt.
Lindon spielt wie Kiberlain, aber auf eigene Art, über die Augen und die Körperhaltung. In den ruhigen Szenen passiert äußerlich zwar wenig, aber dennoch genug, um sie im Fluss zu halten. Als Jean und Mademoiselle Chambon von einer Anhöhe auf den kleinen Ort schauen, weht der Wind, beim Picknick des Ehepaars mit seinem Sohn ruft plötzlich der Kuckuck. Oft werden die Personen nur wie dokumentarisch in ihrem Alltag gezeigt, auch Jeans Frau in der Druckerei, sein Vater beim Regeln der letzten Dinge im Beerdigungsinstitut. In dieser Realität voller Grenzen begleiten die Zuschauer das Liebespaar unmittelbar auf dem Weg zu neuer Wahrheit.
Fazit: Ein kleines Juwel von einem Liebesfilm, klar und realitätsnah erzählt mit einem hervorragenden Schauspielerpaar.