Der internationale Erfolg der Millenium-Krimi-Trilogie des früh verstorbenen Rechtsextremismus-Experten Stieg Larsson und die erfolgreichen Erstverfilmungen ließen Hollywood nicht ruhen. Immerhin hat man beim aufwändigen Remake vieles richtig gemacht: Mit Regisseur David Fincher, seit Se7en und Zodiac ein Spezialist für abseitige Serienkillerstoffe, und Drehbuchautor Steve Zaillian (American Gangster) standen renommierte Profis hinter der Kamera, wobei Fincher auf sein talentiertes Stammteam bei Kamera, Schnitt und Szenenbild bauen konnte. Natürlich wollten die schwedischen Produzenten der Erstadaption, zudem verantwortlich für vergleichbare Serien wie Wallander, den lukrativen Stoff nicht aus der Hand geben und finanzierten auch die US-Variante. In weniger bedeutenden Nebenparts finden sich neben Stars wie Joey Richardson und (in Minirollen) Julian Sands oder Embeth Davidtz ebenso zahlreiche skandinavische Gesichter.
Zunächst befremdet der Umstand, dass man den Stoff um Familiengeheimnisse, Generationskonflikte, Schuldverdrängung und Frauenhass rund um Nachwirkungen des zweiten Weltkriegs in seinem ursprünglichen Kontext beließ. Mit US-Schauplätzen würde der Plot zwar nicht funktionieren, doch eine Verlegung nach England wäre beim ersten Band noch denkbar gewesen. Weitaus stärker sind die beiden folgenden Teile mit der schwedischen Historie, Skandalen und Korruptionsfällen verknüpft. Gewöhnungsbedürftig und überflüssig erscheint jedoch die Entscheidung, alle Darsteller mit Akzent sprechen zu lassen, um das US-Publikum daran zu erinnern, wo das düstere Geschehen stattfindet.
Im Gegensatz zu anderen aktuellen US-Neuverfilmungen handelt es sich bei der Sony-Fassung um kein 1:1-Remake des Originals. Fincher und Zaillian akzentuieren den Stoff an vielen Stellen unterschiedlich. Während die Erstadaption (zumindest in der kürzeren Kinoversion) Mikael Blomkvists Beziehung zu seiner (verheirateten) Milleniums-Verlegerin Erika Berger (hier: Robin Wright) nur vage andeutet, aber seine Beziehung mit der verdächtigen, ebenfalls verheirateten Cecilia Vanger erwähnt, verzichtet die zweite Fassung auf den Seitensprung mit der Tochter des Altnazis Hendrik Vanger. Für US-Verhältnisse erschien dies wohl als zuviel Ehebruch auf einmal, zumal Ladykiller Blomkvist noch eine Beziehung mit der bisexuellen, androgynen Lisbeth Salander eingeht, deren aufkeimende Zuneigung später herbe enttäuscht wird.
Weitere Veränderungen finden sich im unterschiedlichen Schicksal der gesuchten Harriet Vanger, um im Finale einen zusätzlichen Überraschungsmoment bieten zu können. Ausführlicher schildern Fincher und Zaillian die übergreifenden Nachforschungen über die früheren Untaten des Serienkillers, was in der Kinofassung von Niels Arden Oplevs Umsetzung mitunter zu flott vonstatten ging. Dafür verzichtete man auf den Spitznamen Kalle Blomkvist des Protagonisten im Anbetracht des Umstands, dass in Amerika höchstens Astrid Lindgrens Pippi Langstumpf ein Begriff ist.
Trotz ihrer TV-Ästhetik konnten Verdammnis und Vergebung besonders auf Noomi Rapaces Leistung als menschenscheue, abweisende Lisbeth Salander bauen. Ihr Charakter wurde von einer harten Kindheit in einer psychiatrischen Anstalt, Missbrauch und Vergewaltigung geprägt, wobei sich ihre Trotzattitüde im schwarzen Punkoutfit äußert. Trotz der darstellerischen und maskenbildnerischen Leistung kann Finchers Entdeckung Rooney Mara nicht mit Vorgängerin Rapace mithalten, deren Talent derzeit in Sherlock Holmes unter Wert verkauft wird. Selbst wenn man berücksichtigt, dass Fincher für die Rolle des schmierigen, korrupten Anwalts Nils Bjurman einen Biedermanntyp suchte, kommt Yorick van Wageningen als Lisbeths sadistischer Vormund nicht an seine Vorgänger Peter Andersson und Vadim Glowna in der deutschen Hörspielfassung heran.
Aus dem Vorgängerprojekt The Social Network, in dem Mara einen Kurzauftritt absolvierte, übernahm Fincher erneut die Komponisten Trent Reznor und Atticus Ross, welche die fesselnde Geschichte mit einem gewohnt hypnotischen Score voran treiben. Als Anspielung an ihre Zusammenarbeit bei Nine Inch Nails trägt Profihacker Plague beim ersten Auftritt ein T-Shirt der erfolgreichen Industrialband. Für amerikanische Verhältnisse fiel Finchers Millenium-Version zudem überraschend freizügig aus, obgleich sich seine gradlinige, in blau-graue Bilder getauchte Inszenierung bewusst mancher Härte der Vorlage enthält. Wie Sieg Larssons Bücher gewinnt seine Umsetzung durch die packend entwickelten, parallel voran getriebenen Ermittlungen, die vielschichtig ausgearbeiteten, ambivalenten Charaktere sowie die sozialkritischen Verweise auf Intoleranz und Fanatismus einer männlich geprägten Gesellschaftsschicht. Sollten weitere US-Verfilmungen diesen Standard halten, wären sie Teil zwei und drei der Vorgängerserie durchaus überlegen.
Fazit: Faszinierende US-Neuverfilmung eines Thrillerbestsellers, die dem schwedischen Vorgänger nicht ganz in der Besetzung, aber in der düsteren Atmosphäre und dem Spannungspotential ebenbürtig ist.