„NYAD“ ist das Spielfilmdebüt des Oscar-prämierten Regie-Ehepaars Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin. Jetzt gibt es das Biopic über Diana Nyad auf Netflix.
Ein Film über eine Frau, die schwimmt. Das klingt für viele erst mal nicht so spannend. Und die ersten Minuten von „NYAD“ scheinen schlechte Ahnungen zu bestätigen: Alte Aufnahmen, über die die Stimmen von Nachrichtensprecher*innen gelegt sind. Was zunächst den Eindruck erweckt, man würde hier eine Dokumentation ansehen, stellt sich jedoch als intelligenter Kniff heraus, um die Zuschauer*innen schnell über die Vorgeschichte von der US-amerikanischen Langstreckenschwimmerin Diana Nyad (Annette Bening) aufzuklären. Dennoch muten die ersten Filmminuten etwas holprig an. Auch die Einführung der Hauptfiguren fällt wie das Etablieren der Handlung zu Beginn etwas lahm aus. Doch alles ändert sich, als erst mal klar wird, worum es in diesem Spielfilm, der im Stream jetzt auf Netflix zur Verfügung steht, geht.
Schaut euch den offiziellen Trailer von „NYAD“ im Video unserer Kolleg*innen von desired an.
Worum geht es in „NYAD“?
Im Alter von 28 Jahren versucht Nyad 1978 in einem Haikäfig von Kuba nach Florida zu schwimmen. Der Versuch schlägt fehl und Nyad wendet sich von ihrer lebenslangen Leidenschaft ab. Erst 30 Jahre später – und hier setzt die eigentliche Filmhandlung ein – beginnt sie wieder mit dem Schwimmen, da ihr Leben im Alter von 60 Jahren stagniert scheint. Schnell fällt ihrer besten Freundin Bonnie Stoll (Jodie Foster) auf, dass Nyad wieder am Schwimmen ist, also rückt diese mit der Sprache raus: Sie will ihren gescheiterten Versuch von vor 30 Jahren wieder aufnehmen. Mit Bonnie an ihrer Seite als Coach und ohne den Haikäfig – im Alter von 60 Jahren. Nicht nur Bonnie reagiert erst mal ablehnend. Doch mit ihrer Hartnäckigkeit und eindringenden Worten kann sie Bonnie und schließlich eine ganze Crew und Sponsoren für sich gewinnen. Denn sie lasse sich nicht von gesellschaftlichen Zwängen bestimmen, nur sie selbst entscheide, wann es vorbei ist – nicht ihr Alter, nicht die Gesellschaft.
Was steht im Fokus der Handlung?
Ab sofort nimmt die Handlung an Fahrt auf. Die Zuschauer*innen begleiten Nyad auf ihren Kampf gegen den eigenen Körper, die Naturgewalt des Meeres und seiner Lebewesen und vor allem ihrer mentalen Stärke und der Angst vor dem Versagen. Der erste Versuch und drei weitere müssen wegen unerwarteter Ereignisse abgebrochen werden. Der Fokus liegt dabei eindeutig auf Nyad, ihrer Vergangenheit und ihrem stoischen Charakter, mit dem sie alle in den Wahnsinn treibt. Die Langstreckenschwimmerin will es immer wieder probieren und erwartet von ihrer besten Freundin sogar, dass diese ihren Tod in Kauf nehmen soll. Hier liegt ein weiterer Fokus der Filmhandlung: auf der Freundinnenschaft.
Eine starke Freundinnenschaft
Die ambivalente Beziehung zwischen den beiden Freundinnen steht ebenfalls im Mittelpunkt der Handlung. Während Nyad die treibende Kraft ist, die alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, pausiert Bonnie ihr eigenes Leben. Sie verschreibt sich ganz darauf, ihrer Freundin bei ihrem Lebenstraum zu helfen und macht ihn zu ihrem eigenen. Während Nyad als vom Erfolg getriebene Frau dargestellt wird, die nur selten ihre Gefühle zeigt, ist Bonnie die Sympathieträgerin in der Beziehung. So ungleich das Verhältnis der zwei Frauen manchmal scheint, wird deutlich, dass sie ein inniger, familiärer Bund eint. Sie sind mehr als Freundinnen, sie sind platonische Lebenspartnerinnen.
Die negative Darstellung einer erfolgreichen Frau
Doch an dieser Stelle lässt sich weiter Kritik an dem Film anschließen: Auch wenn der gesamte Film sich eigentlich um Nyad dreht, ist sie eben nicht die Sympathieträgerin. Ihr unermüdliches Streben nach Erfolg, ihre laut vorgetragenen Monologe, die sie egozentrisch wirken lassen – all das sind Eigenschaften, die bei Männern als positiv wahrgenommen werden, bei Frauen jedoch als negativ. Auch dem Film gelingt es nicht, eine Frau mit diesen Eigenschaften positiv zu zeichnen. Im Gegenteil, die einzigen Momente, in denen Nyad den Zuschauer*innen plötzlich sympathisch wird, sind Momente der Schwäche: Wenn sie von ihrer Crew verlassen wird und plötzlich alleine dasteht. Wenn sie beim Schwimmtraining an den Beckenrand blickt und keine Bonnie da sitzt. Wenn sie beim Telefonat mit John Bartlett (Rhys Ifans), dem Navigator ihres Teams, mit tränenunterdrückter Stimme gesteht, dass sie weiß, dass sie eine Herausforderung für andere sein kann. Sie fragt sich, warum es so schwer ist, warum stößt sie mit ihrem Charakter überall so an? Die Antwort lautet: Weil sie als Frau in einer nach wie vor von Männer dominierten Welt – dem Sport – erfolgreich ist, indem sie solange weitermacht, bis es ihr gelingt. Ihr Erfolgsstreben, das bei Männern bewundernd wahrgenommen wird, macht Nyad im Film unsympathisch. Dem Film gelingt es nicht, das zu benennen.
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Eine problematische Thematik
+++ Triggerwarnung: Im Folgenden geht es um Vergewaltigung. +++
Eine weitere Sache, die Nyad in einem positiven Licht zeichnet, ist die Tatsache, dass sie als Jugendliche von ihrem Schwimmtrainer misshandelt wurde. Ausgerechnet ihr Trauma macht sie sympathischer, da man Mitleid für sie empfindet – eine höchst problematische Thematik, die der Film auf interessante Weise aufarbeitet. Die traumatisierenden Momente mit ihrem Trainer werden immer dann als Flashback eingeblendet, wenn bei einem erneuten Rekordversuch etwas schiefgeht und Nyad schwankt. Es wird deutlich, dass ihre Vergangenheit und deren bisher nicht erfolgte Bewältigung Nyads größte Schwäche ist. Es scheint, als bestimme dieser eine Moment ihr ganzes Leben. SPOILER: Denn ihr Rekordversuch gelingt erst, als in der Filmhandlung die Vergewaltigung des Schwimmtrainers an die Öffentlichkeit gelangt und Nyad mit Bonnie endlich darüber redet. Bei ihrem letzten und erfolgreichen Versuch tauchen keine Rückblenden mehr auf. Stattdessen schwimmt plötzlich eine jugendliche Nyad vor der Schwimmerin her und motiviert sie zum Durchhalten.
Wie mit dem Thema Trauma umgegangen wird
Zum einem kann daran kritisiert werden, dass ein Trauma wie eine Vergewaltigung verwendet wird, um eine Frau sympathisch zu machen. Zum anderen kann man es aber auch so sehen, dass diese Frau sympathisch wird, wenn sie Schwäche zeigt, worin wahre Stärke liegt. Nyad stellt sich ihrem Traum und noch mehr: Sie kann sich dadurch sogar von ihrem Trauma befreien und kann ihren Traum vom Rekord endlich erfüllen. Das Positive daran: Der Missbrauch Nyads in ihrer Jugend wird nicht in den Mittelpunkt der Handlung gestellt, sondern wird auf intelligente Art und Weise als filmisches Mittel integriert. Es wird ihm in der eigentlichen Filmhandlung nur wenig Raum gelassen, denn er bestimmt Nyad nicht in ihrer Handlung, aber hat eben doch Einfluss auf sie. Außerdem wird Nyad nicht als Opfer, sondern als Überlebende gezeigt. Von dem Missbrauch wird nur so viel gezeigt, damit die Zuschauer*innen davon erfahren. Der Fokus liegt wie bereits beschrieben auf der Bewältigung des Traumas und nicht auf dem Opfer werden. Das Negative: Der Film vermittelt dadurch, dass traumatisierte Menschen nur konfrontiert werden müssen, um sich von ihrer gewaltvollen Vergangenheit zu lösen. Doch für sehr viele Menschen, vor allem jenen mit weniger Privilegien, ist dies unmöglich – vor allem ohne Hilfsmittel.
Ein weiteres wichtiges Thema, das nur nebensächlich behandelt wird
Ein weiteres Thema, dem kaum Raum gegeben wird, ist Nyads Queerness. Und das ist gut so! Die Schwimmerin lebt offen lesbisch und der Film benennt das mit einer erfrischenden Selbstverständlichkeit, die keiner weiteren Erklärung bedarf. Lesbisch zu sein, ist ein Teil von Nyad, doch er bestimmt nicht ihr Leben. Nicht ihr Trachten nach Liebe steht im Mittelpunkt der Geschichte, sondern ihre wunderbare, platonische Freundinnenschaft mit Bonnie. Was daran so besonders ist? Hier werden nicht nur alte und queere Frauen gezeigt, die gemeinsam nach Erfolg streben, sondern es wird auch deutlich gezeigt, dass Frauen nicht nur nach romantischen Beziehungen streben und dass ein erfülltes Liebesleben nicht der einzige Lebensinhalt einer Frau sein kann. Und deswegen ist „NYAD“ so wundervoll: Der Film bietet einer dreifach diskriminierten Minderheit (alte queere Frauen) eine Bühne, deren Existenz in der Regel in Hollywood ignoriert wird. Damit gelingt es dem Regiepaar zumindest auf dieser Ebene alte Hollywoodklischees hinter sich zu lassen.
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