Eine wahre Geschichte, wie sie extremer kaum sein kann, ein Ausnahmeregisseur, der einen würdigen Nachfolgefilm für Slumdog Millionaire suchte. Danny Boyle hat Aron Ralstons Kampf ums Überleben im Canyon atemberaubend wie einen Actionthriller inszeniert. James Franco spielt den wagemutigen, trainierten Bergsteiger, der nicht im entferntesten mit einem solchen Unfall rechnete. Frierend, verdurstend, halluzinierend, entschließt er sich nach Tagen, gegen den sicheren Tod mit einer verzweifelten Tat anzukämpfen und amputiert sich selbst die Hand.
Der Film beginnt wie ein Spot für Extremsportler, wenn Aron in hohem Tempo durch die menschenleere Canyonlandschaft radelt, klettert, springt und rennt, auf den runden Felsen und in den Schluchten wie auf einem vertrauten Spielplatz herumturnt. Schnelle Schnitte und Kameraperspektiven, die den Abgrund, die Gefahr suchen, sowie die mal aufgeputschte, mal mystisch-indisch angehauchte Musik von Slumdog Millionaire-Komponist A.R. Rahman sorgen für Einstimmung in ein modernes Outdoor-Abenteuer. Aron ist einer jener jungen Erwachsenen, die das intensive Naturerlebnis suchen, indem sie ihre eigenen Grenzen austesten und sportliche Risiken eingehen.
Wenn Aron also zum ersten Mal stürzt oder wenn er die beiden, von Amber Tamblyn und Kate Mara gespielten Frauen dazu überredet, sich durch eine tiefe Schlucht ins Wasser fallen zu lassen, wird man nicht nur in verträglichen Dosen an den kommenden Thrill herangeführt, man taucht auch ein in die adrenalin- und freiheitsliebende Mentalität der Hauptfigur.
Als Aron im Canyon dann plötzlich festsitzt, mit der eingeklemmten Hand, ist sein Gesichtsausdruck weniger erschrocken, als ungläubig. Für jemanden, der sich mit fast jedem Schritt einer Gefahr aussetzt und dabei jahrelang die Erfahrung macht, dass er seinen Fähigkeiten vertrauen kann, kommt solch ein Unfall, eine sekundenlange Unachtsamkeit, oder auch nur kaum vermeidbares Pech, wohl wirklich unerwartet. James Franco erweist sich als idealer Schauspieler, um das Wechselbad der Gefühle auszudrücken, dem Aron ausgesetzt ist. Er sieht emotional verwundet aus, wenn er in seine kleine Videokamera letzte Worte an seine Eltern richtet, dann ist er wieder Optimist oder selbstironischer Beobachter, der sich kühl den Vogel zeigt.
Die Tage und Nächte im Canyon, der naturgetreu für die Dreharbeiten nachgebaut wurde, sind ein bitterer Erkenntnisprozess, wie klein der Mensch wird, wenn er den Naturgewalten ausgeliefert ist. Wenn ein Gewitter die Schlucht flutet, wenn die kalte Nacht hereinbricht, wenn morgens die Sonne die Wände entlangkriecht, dann hat das eine Intensität, die an das Jenseitige grenzt. Wenn Aron nicht mit seinen Utensilien wie Seil, Taschenmesser, Wasserflasche, Fotoapparat beschäftigt ist, dämmert er in Erinnerungen an Eltern und Freunde vor sich hin, oder er wird von halluzinierenden Fantasien heimgesucht, die erschreckend authentisch und wirklichkeitsnah wirken.
Die filmische Umsetzung beeindruckt sowohl technisch, schauspielerisch, als auch künstlerisch-kreativ in der Wahl ihrer Mittel. Das sportliche Tempo und der humorvolle, nicht auf die Tränendrüse drückende Tonfall entsprechen der Hauptfigur und befördern die Spannung. Insofern ist Boyle ein herausragender Film gelungen, in dem er alle Register seines Könnens zieht. Aber man muss auch fragen, mit welcher Motivation man ihn sich ansieht und ob sich jede unglaubliche Geschichte zum Verfilmen eignet. Will man wirklich sehen, wie sich jemand den Arm abtrennt? Was Aron Ralston im Canyon durchlitten hat, ist ein Martyrium, inklusive der grandiosen Selbstbefreiung, es ist etwas Trauriges.
Fazit: Mit atemberaubender Spannung erzählt Danny Boyle die Geschichte des Bergsteigers Aron Ralston, der sich mit einer Selbstamputation das Leben rettete.