Im sechsten Monat schwanger, erfährt Astrid, dass ihr ungeborenes Kind schwer krank ist. Astrid und ihr Lebensgefährte Markus sind geschockt, entscheiden sich aber dennoch, das Kind zu bekommen. Doch dann beginnt Astrid ihre Entscheidung zu überdenken und fragt sich, ob es überhaupt eine richtige Entscheidung geben kann. Beeindruckend und ergreifend erzählt Anne Zohra Berrached in ihrem Film, der im Wettbewerb der Berlinale lief, vom Trauma eines werdenden Elternpaares, das mit einer erschütternden Diagnose konfrontiert wird. Dass der schwierige Entscheidungsprozess, den beide durchlaufen, nicht in richtig oder falsch und schwarz oder weiß unterteilt werden kann, macht der Film in stimmigen, häufig improvisierten Dialogen und in jeder sorgsam durchdachten Szene deutlich. Der fast schon dokumentarische Erzähleindruck ist auch der Beteiligung echter Ärzte und Schwestern zu verdanken. Das so entstehende hohe Maß an Sachlichkeit und Authentizität verstärkt die Emotionalität der Figuren und lässt den Zuschauer an der schwierigen Situation des Paares teilhaben. Immer wieder entsteht der Eindruck, dass hier keine Schauspieler, sondern reale Menschen zu sehen sind. Berrached beweist großen erzählerischen Mut, mit ihren Figuren konsequent den Weg bis zum Schluss zu gehen. Passend dazu ist die Kamera nah bei den Protagonisten, fängt durch ihre ruhige Haltung die Gedanken und Gefühle der Figuren ein und lässt dem Zuschauer die Ruhe, mitzugehen. Julia Jentsch verkörpert Astrid als selbstbewusste und selbstreflektierende Frau, die bis zum Schluss innerlich zerrissen und unsicher ist. Doch immer stärker wird ihr bewusst, dass sie diejenige ist, die eine Entscheidung treffen muss, was auch einen Konflikt mit Markus nach sich zieht. Berrached hat mit Astrid eine komplexe Persönlichkeit geschaffen, der man, auch durch Jentschs fantastisches Spiel, gebannt folgt. Bjarne Mädel ist ein mehr als ebenbürtige Partner für Jentsch und zeigt überzeugend den Konflikt der männlichen Hauptfigur zwischen Verständnis, Trauer und Wut. Im unaufgeregten, reif und reflektiert wirkenden Zusammenspiel entwickeln die beiden mit großer Sensibilität füreinander die Geschichte eines Paares, das miteinander die wohl größte Herausforderung im gemeinsamen Leben meistern muss. Dass es auch immer wieder lockere Momente des Zusammenlebens mit der gemeinsamen achtjährigen Tochter und Astrids Mutter oder auch Feiern mit Freunden gibt, passt zu dem Konzept des Films, der nicht dramatisiert, sondern einfach das Leben mit einer wohltuenden Beiläufigkeit zeigt. 24 WOCHEN ist ein mutiger und konsequent erzählter Film, der auch nach dem Kinobesuch noch lange nachhallt und tief unter die Haut geht. Beeindruckend und berührend.
Jurybegründung:
24 WOCHEN ist ein tief berührendes Drama über die schwierige Entscheidung, ob man ein behindertes Kind zur Welt bringen soll oder nicht. Der Film war in diesem Jahr der einzige deutsche Beitrag im internationalen Wettbewerb der Berlinale und rührte das Publikum zu Tränen - in der heutigen Medienwelt eine Meisterleistung.
Astrid, fantastisch gespielt von Julia Jentsch, ist eine erfolgreiche Kabarettistin, die bei verschiedenen Comedy-Shows für Lacher sorgt und durch das Land tourt. Gemanagt wird sie von ihrem Mann Markus, nicht weniger überzeugend von Bjarne Mädel gespielt. Sie haben eine 9-jährige Tochter und ein schickes Häuschen im Umland von Leipzig. Astrid ist im sechsten Monat erneut schwanger. Dann bekommen sie die Diagnose, dass bei ihrem Baby Trisomie 21 festgestellt wurde. Sie recherchieren und entscheiden sich beide für das Kind.
Es folgt eine weitere Diagnose: Das Kind hat zusätzlich einen schweren Herzfehler und muss gleich nach der Geburt am offenen Herzen operiert werden. Gesetzlich ist in diesem Fall in Deutschland ein später Abbruch möglich. Es wird für das Paar ein schwieriger Entscheidungsprozess über Leben und Tod. 24 WOCHEN gelingt es, diese schwierige Entscheidungsfindung lange in der Schwebe zu halten. Am Ende weiß Astrid immer noch nicht, ob sie die richtige oder falsche Entscheidung getroffen hat.
Neben der schauspielerischen Leistung hat der Jury besonders die Mischung zwischen fiktiven und dokumentarischen Elementen gefallen. Zwar sind die Figuren fiktiv, doch die Situation und der damit verbundene Entscheidungsdruck sind real. Aber letztlich kann ihnen und ihr niemand die Entscheidung abnehmen. Die Spezialisten und Experten, bei denen sie sich Rat holen, sind ebenfalls real und somit Laiendarsteller, bei denen man spürt, dass solche Situationen zu ihrem Alltag gehören. Dadurch sind die Dialoge sehr authentisch; die Musik ist zurückhaltend eingesetzt.
Stilistisch hat Anna Zohra Berrached ihr Konzept weiterentwickelt, das sie schon für ihren ersten Spielfilm ZWEI MÜTTER entwickelt hatte, der in ihrem neuen Film kurz zitiert wird. Der Film bietet eine geschickte Kollage zwischen Fiktion und Fakten. Der Regisseurin und ihrem Kameramann Friede Clausz gelingen sehr starke Bilder, die zum Teil sehr subtil angelegt sind. So werden die schlechten Prognosen für ihr Baby zunächst nicht ausgesprochen, sondern man sieht sie zunächst in den niedergeschlagenen Gesichter des Paares. Erst danach wird die Diagnose erläutert, zum Teil in einem schwer nachvollziehbaren Fachchinesisch der Ärzte. Bemerkenswert sind die sehr atmosphärischen Bilder einer Unterwasser-Gymnastik, die Arbeit mit ungewöhnlichen Kameraeinstellungen oder der Tiefenschärfe, bei der die Gesprächspartner oft im Vordergrund angeschnitten sind.
Die Konflikte des Paares um die richtige Entscheidung werden dramaturgisch brillant entwickelt. Die sehr stimmige und erstaunliche Leistung ist Berracheds Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, der zusammen mit zero one für das Kleine Fernsehspiel des ZDF produziert wurde. Nach ausführlicher Würdigung seiner Qualitäten verleiht ihm die Jury das Prädikat „besonders wertvoll“.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)