Das 8th Wonderland ist ein monumentales Werk, ein achtes Weltwunder; aber niemand kann es ansehen, anfassen, es auf einer Landkarte finden oder gar hinreisen. Es ist die erste virtuelle Nation, entstanden aus Usern, die sich im Internet zusammengefunden haben, sich eine Verfassung gegeben haben, ein rein basisdemokratischer Staat, ein Staat der Individualisten, der Idealisten. Ist es auch ein idealer Staat?
Das achte Wunderland ist nicht von der UN anerkannt, klar: ihm fehlen reelle Werte. Die moralischen aber werden hoch gehalten, es ist der Kampf gegen die Ungerechtigkeiten der Welt, der diesen Staat zusammenhält. Und weil seine Bürger überall in der Realität sitzen, auch auf zwar kleinen, aber einflussreichen Posten, können sie aus dem Virtuellen in die Wirklichkeit hinausreichen, können Aktionen starten und einige Maßnahmen zur Weltverbesserung durchführen: das 8th Wonderland ist ein Staat, der sich direkt in die Belange anderer Staaten einmischt, der dazwischenfunkt unzulässig, wie Diplomaten sagen würden. Mit Schülerstreichen zuerst, etwa mit Kondomautomaten, die im Vatikan aufgehängt werden, oder mit Fußballstars, die entführt und zum Zusammennähen von Fußbällen unter entwürdigendsten Bedingungen gezwungen werden.
Mit der öffentlichen Aufmerksamkeit in den Außer-Netz-Medien aber gewinnt das virtuelle Wunderland eine Eigendynamik, die kaum mehr aufzuhalten ist; denn das Problem an der Demokratie ist, dass die Mehrheit entscheidet. Und dass die Mehrheit nicht immer recht hat. Und wenn ein Todesurteil beschlossen wird gegen einen korrupten Staatspräsidenten, dann ist das nicht nur ein Bruch mit den Anfängen als gegen die Todesstrafe agitiert wurde , es ist eben eigentlich und in Wirklichkeit Mord. Genauso wie die Ansteckung der Kinder der G8-Staatschefs mit Aids, damit die Großen der Weltpolitik endlich mal was gegen die Krankheit unternehmen.
Die Regisseure Nicolas Alberny und Jean Mach haben einen Film geschaffen, der nicht viel gekostet haben kann; der aber gleichwohl sehr wirkungsvoll inszeniert ist. Einen Film über eine Nation, die aus Bürgern aller Nationen besteht, ein Film also, der perfekt international ist, der mit den verschiedenen Sprachen ebenso spielt wie mit verschiedenen Mentalitäten in verschiedenen Ländern und mit Bildern aus allen Teilen der Welt. Ein Film, vielleicht DER Film des Internetzeitalters, in dem aus den elektronischen Verbindungen zwischen den Menschen reale Aktionen werden. Das Web 2.0 in seiner höchsten Potenz greift über in die nicht-virtuelle Wirklichkeit, Alberny und Mach zeigen das in einem Bildersturm, in einem Reigen aus Webcam-Bildern, aus Videochat-Diskussionen, aus TV-Shows und Nachrichtensendungen, ein riesiger Informationsfluss, der von der Leinwand strömt. Und der zugleich kanalisiert ist, der die Hauptprotagonisten, einige Bürger des Wunderland-Staates, NICHT untergehen lässt, sondern ihnen eine eigene Standfestigkeit, eine eigene Entwicklung gönnt. Einer im Internetcafé im Senegal wird richtig mächtig im Lauf des Films, eine Araberin emanzipiert sich von ihrem Mann, ein Pärchen findet im Wunderland zusammen.
Das ist packend inszeniert für den Zuschauer, der nicht einfach nur in eine Position gezwungen wird, zuzusehen, wie andere miteinander chatten; der Film erzählt eine Geschichte, viele Geschichten von der Realität, die in Medienbildern wiedergegeben sind, die im Wunderland-Staat rege diskutiert werden, die von dort aus, vom immateriellen Raum aus, verändert werden soll. Eine Geschichte des Ausuferns des Idealismus ist das, wenn nämlich die Wunderland-Bürger irgendwann mit den eigenen Prinzipien brechen, ein Film auch davon, wie die Realität zurückschlägt. Weil ein findiger Trittbrettfahrer sich als 8th-Wonderland-Gründer ausgibt und damit Unmengen an Geld verdient. Und weil es ein kleines Problem gibt: denn auch eine unreale Welt muss eine Manifestation des Virtuellen in der Wirklichkeit haben, nämlich Computerserver; und die sind fassbar, sichtbar, findbar, angreifbar.
Alberny und Mach feiern in ihrem Film den Idealismus, den Glauben an eine bessere Welt, ein weltumspannendes Netzwerk, das einen Einsatz für das Gute ermöglicht; sie zeigen die menschlichen Grenzen, die ein solches Projekt birgt. Und sie zeigen auch die andere, die positive Seite des Menschlichen: Die Fähigkeit zur Hoffnung, und die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen.
Fazit: Eine Bilderflut aus dem Web 2.0 (oder eher ungefähr 8.0) von einer idealen, virtuellen Nation die erst noch lernen muss, wirklich gut zu funktionieren.