Was ist "8 mm" für ein Film? Psychothriller? Horrorfilm? Gesellschaftsstudie? Gewaltorgie? Von allem etwas. "8 mm" ist absolut hart, obwohl es wenig Blut zu sehen gibt. Er gehört ohne Frage zu den härtesten Filmen die ich kenne. Denn er geht direkt in den Kopf des Zuschauers, der sich beängstigt fragen muss, ob diese hier beschriebene Gesellschaft wirklich existiert.
Der Film blikt in die tiefesten Abgründe der menschlichen Seele. Die Menschen, die hier die Greueltaten vollbringen, sind keine Monster, sie sehen vielmehr aus wie Du und Ich, sind einfache Durchschnittsbürger. Die Täter: die Pornoproduzenten Eddie Pool und Dino Velvet (Peter Stormare), sowie der Bondage-Darsteller Machine(Chris Bauer). Zumindest Pool und Machine sind Biederbürger. Ihr Motiv: Geldgier, Unterhaltung und die Befriedigung ihrer Geltungssucht.Und da ist natürlich noch der Industriepapst Christian. Sein Motiv: zuviel Geld. Das Opfer: Mary Ann Matthews. Sie ist von zu Hause abgehauen mit der naiven Vorstellung, ein großer Hollywoodstar zu werden. Sie landet in der Gosse, keiner würde sie vermissen.
Tom Welles kann nicht verstehen, was passiert ist, wie man zu so etwas fähig sein kann. Dem Zuschauer wird wie Tom Welles klar, dass überall das Böse lauern kann, man sieht niemandem seine Bösartigkeit und Perversion an. Und nachdem Tom Welles den gesamten Pornosumpf von innen erlebt hat, weiß er, dass sein Weltbild nicht stimmt, dass in jedem Menschen Perversionen schlummern, die freigesetzt werden wollen.
Nachdem er eine Nacht durch die Clubs und illegalen Verkaufsstellen gestreift ist, wird Tom von seinem neuen Partner Max (Joaquin Phoenix), der ihm die richtigen Kontakte vermittelt, gefragt, ob er von all dem Schmutz angetörnt war. Tom widerspricht energisch. Max entgegnet, es sähe aber nicht so aus, als ob es ihn entsetzt hätte. Tom weiß nicht mehr, was er sagen soll, denn einiges fand er schon faszinierend. Später wird Tom zum kaltblütigen Mörder, teils aus Notwehr, aber hauptsächlich weil er töten will. Er erkennt, dass auch in ihm die Bestie schlummert.
An dieser plötzlichen Erkenntnis droht Tom Welles zu zerbrechen. Weinend liegt er im Schoß seiner Frau (Catherine Keener), bettelt sie an: "Rette mich, rette mich.". Und für einen kurzen Moment bricht sie auch den Zuschauer. Der kann jedoch das Kino verlassen und muss sich nie wieder mit dem Thema konfrontieren, denn "8 mm" ist nur ein Film. Als Zuschauer muss man sich automatisch fragen, ob die Szene, die hier präsentiert wird, wirklich so existiert. Und wenn ja, warum?
8 mm ist also ein Film, der in die psychische Tiefe des Zuschauers eindringt, der ihn zum Nachdenken animieren kann, jedoch auch dazu, sich vor seiner Umwelt zu fürchten. Also ist "8 mm" ein Film, den man auch mit Vorsicht genießen sollte. Nicht nur wegen seines psychologischen Potentials, sondern auch wegen seiner Haltung zur Selbstjustiz. In Filmen wie "Ein Mann sieht rot", wo Selbstjustiz offen propagiert wird, gibt es immer nur ein einseitiges Gut-Böse-Schema. Die Bösen sind einfach nur böse und verdienen es, deswegen zu sterben. Punkt, aus, fertig. Ihr Handeln wird nicht erklärt, sie wirken nicht wie Menschen.
In "8 mm" werden die Mörder des Mädchens sehr eingehend beleuchtet. Ihr Verhalten wird erklärt, es wird fassbar gemacht, was sie zu dieser Tat trieb. Sie sind skrupellos und pervers, ohne Frage. Doch irgendwie wird ihr Vorgehen verständlich. Dadurch hasst man sie noch mehr als die Mörder von Paul Kerseys Familie in "Ein Mann sieh rot". Und man steht voll und ganz hinter Tom Welles wenn er beginnt, einen nach dem anderen umzubringen, auch wenn sie wehrlos am Boden liegen. Die Rechtfertigung ist perfekt und glaubwürdig. Die Frage ist eben nur, was schlimmer ist. Das undifferenzierte Bild von "Ein Mann sieht rot" oder die psychologisch völlig vertretbare Handlungsweise von "8 mm". Schwere Frage, die jeder für sich selber beantworten muss und auch sollte.
"8 mm" ist ein Film der sich mehr als lohnt, obwohl ein konservativer Regisseur wie Joel Schumacher am Steuer sitzt. Besonders nach den letzten beiden Batman-Filmen ist es eigentlich unbegreifbar wie man Schumacher ein so düsteres, ernstes Thema wie "8 mm" in die Hand drücken konnte. Aber ich muß ihn ja loben. Schumacher macht, im Rahmen seiner Möglichkeiten, seinen Job mehr als gut. Allerdings möchte ich nicht daran denken, was ein Regisseur wie Oliver Stone aus dem Skript von "Sieben"-Autor Andrew Kevin Walker gemacht hätte.
Schumacher hat einen Alptraum gedreht, der mehr als nur fesselt und zum Nachdenken anregt, der aber trotzdem wieder verblasst. Oliver Stone hätte wahrscheinlich einen urbanen Alptraum daraus gemacht, der einem nicht so schnell aus dem Kopf geht und nach dem man auf Dauer nicht gut schläft. Schade eigentlich. Über Nicolas Cage muss ich wohl kein Wort verlieren, oder hat man ihn in den letzten Jahren mal nicht umwerfend und glaubhaft spielen gesehen?
Fazit: Ein urbaner Alptraum, der die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele beleuchtet und zum Nachdenken anregt.