In dem optisch fulminanten Drogendrama darf Jannik Schümann endlich mal zeigen, was in ihm steckt.
Für Jannik Schümann muss das Drehbuch zu „9 Tage wach“ wie eine Offenbarung gewesen sein. Das Drogendrama nach dem gleichnamigen Roman des „GZSZ“-Darstellers Eric Stehfest ist ein Film wie ein Rausch, und Schümann, im Unterschied zu vielen seiner früheren Rollen hier betont maskulin, ist immer mitten drin. Die Adaption des Romans lässt den ersten Teil des Buchs mit Erics Jugend und seiner frühen Bekanntschaft mit Crystal Meth komplett weg, verzichtet dadurch aber auch auf eine Begründung für seine zehn Jahre währende Abhängigkeit. Die Geschichte beginnt mit einer guten Nachricht: Eric, 24, ist an der Schauspielschule angenommen worden; die Aussicht auf eine geregelte Ausbildung bewahrt ihn sogar vor dem Gefängnis. Als er sich in Anja (Peri Baumeister) verliebt, lässt er sogar die Finger von der Droge. An der Akademie der darstellenden Künste trifft Eric auf einen Mann, der sein Leben verändern wird: Karl Hoffmann (Martin Brambach) ist Lehrer mit Leib und Seele und erkennt das große Potenzial, das in dem Jungen schlummert. Als Anja schwanger wird, könnte alles perfekt sein; bis ihn die Droge wieder einholt. Anjas Abschiedsbotschaft „Du hast dein Kind getötet“ scheint ihn endgültig zu zerschmettern.
„9 Tage wach“ wäre für jeden Sender ungewöhnlich, weil Regisseur Damian John Harper, der den Roman gemeinsam mit Stehfest und Fabian Wiemker adaptiert hat, das episodisch konzipierte TV-Movie ohne Rücksicht auf typische TV-Gewohnheiten inszeniert, zumal Eric alle nur denkbaren Gefühlslagen durchlebt. Der Film ist sehr laut, und das nicht nur dank der Club-Beats; in den Übungen der Schauspielschüler wird viel geschrien. Nur schwer auszuhalten sind auch die Bilder von Erics Entzug, als er in der Klinikdusche gleichzeitig kackt und kotzt, während eine Pflegerin den Dreck ungerührt mit einem Schlauch wegspritzt. Gespielt ist das alles jedoch vorzüglich. Schümann ist bei den vielen Exzessen, die er sehr glaubwürdig verkörpert, sichtlich an seine Grenzen gegangen und liefert hier die wohl beste Leistung seiner Karriere. Nicht minder intensiv ist Peri Baumeister als Freundin Anja. Schon früh weckt Erics bester Freund (Matti Schmidt-Schaller) Zweifel an ihrer uneingeschränkten Liebe. Als Eric zufällig rausfindet, wie sie ihren Lebensunterhalt verdient, zeigt sich, dass seine Welt nur auf tönernen Füßen stand.
Die reine Handlung hätte sich sicher auch als Mittwochsfilm im „Ersten“ erzählen lassen, aber die Umsetzung mit ihrem stellenweise fast experimentell anmutenden stakkatoartig geschnittenen Bilderrausch sprengt im Grunde jeden Bildschirm. Gänzlich untypisch fürs deutsche Filmschaffen ist auch die Körperlichkeit, und das gilt nicht allein für Schümann; die Athletik, die Peri Baumeister für ihre Rolle mitbringen musste, dürfte ebenfalls das Ergebnis entsprechenden Trainings sein. Davon abgesehen liegt ein großer Reiz des Films in seinem Kontrastreichtum, und zwar inhaltlich, optisch und akustisch: hier die innigen Liebesszenen, dort die hässliche Trennung; hier die emotionalen Momente in der Schauspielschule, dort die Drogenexzesse; hier die sehr bewusst und mit konkretem Bezug zur Handlung eingesetzten Klassiker der Pop- und Rockgeschichte, dort industrieller Techno, beides verbunden durch die Filmmusik von Karim Sebastian Elias.
Trotzdem ist „9 Tage wach“ ein Schauspielerfilm, gerade auch wegen Martin Brambach als Lehrer, der mit seiner Forderung nach Emotionen auf den Punkt bringt, was diesen Film ausmacht: Hass, Wut, Trauer, Ekel, Freude. Wie der seit knapp zwanzig Jahren in Deutschland lebende Amerikaner Harper und sein Kameramann Cristian Pirjol, der schon bei „Jung, blond, tot - Julia Durant ermittelt“ (2018, Sat.1) für eine außergewöhnliche Bildgestaltung gesorgt hat, diese Gefühle in Bilder fassen, ist weit entfernt vom Fernsehalltag. tpg.