Mitten in der Weite des dänischen Flachlands hält ein Schulbus. Adam, Neonazi, steigt aus. Ein Kotzbrocken auf den ersten Blick, geschorener Schädel, Bierbauch, Eisernes Kreuz tätowiert auf dem Unterarm. Wenig später hält ein viel kleinerer Bus. Am Steuer sitzt Ivan, ein sanftmütiger und gutmütiger Pfarrer. Adam steigt ein, weil er muss. Er reagiert nicht auf Ivans Fragen, will nichts erzählen, nichts hören. Doch die minimalen Ausmaße des Fahrzeugs gestatten es Adam nicht, sich abzuschotten. Er wird sich, wohl oder übel, mit Ivan auseinandersetzen müssen. Obwohl die beiden sich abstoßen wie die gleichpoligen Seiten von Magneten, zwingt der Film sie in eine Situation großer Nähe.
Denn auch in der Pfarrei kann man sich nicht aus dem Weg gehen, nichts ist los, nur wenige Menschen nehmen am Gemeindeleben teil: Gunnar, Khalid und Sarah. Dies Häufchen Gestrandeter findet in Ivans Kirche Asyl: ein alkoholkranker, ehemaliger Tennischampion, ein notorischer Räuber, eine labile Abhängige. Am liebsten würde Adam sie alle zusammenschlagen, die Kirche anzünden und abhauen, doch er muss seine Sozialstunden ableisten, will er doch bald, als freier Mann, wieder mit seinen Nazi Kumpels um die Häuser ziehen und Terror verbreiten.
So zieht er sich auf die Aufgabe zurück, die ihm gegeben wurde: einen Apfelkuchen zu backen. Dies soll mit den Äpfeln des malerischen Apfelbaums im Pfarreigarten geschehen. Noch sind sie nicht reif, da heißt es warten. Doch es gibt noch einige Prüfungen zu bestehen, bis der Kuchen im Backrohr bräunen kann. Denn unvorhersehbar durchkreuzen Krähen, Würmer und Unwetter Adams Plan, der zu Beginn so wenig ehrgeizig aussah. Ganz so, als wollte eine höhere Macht Adams Willen auf den Prüfstand stellen, sein Vorhaben erfolgreich zu beenden. Daneben nimmt auch der Konflikt mit Ivan apokalyptische Ausmaße an.
Anders Thomes Jensen (Die grünen Schlachter, Flickering Lights) inszeniert diese Auseinandersetzung als epische Schlacht des Guten gegen das Böse nur, um altbekannte schwarz/weiß Schemata alsbald Lügen zu strafen. Anfangs sind sich beide ganz sicher, zu welchen Seiten sie gehören. Doch dann treibt Jenson die Geschichte in Grenzbereiche, in denen alles sich relativiert, in denen die Kämpfer beider Seiten sich der Mittel des jeweils anderen bedienen, in denen dogmatische Barmherzigkeit und Faschismus ganz plötzlich gleichermaßen lächerlich aussehen. Dieses hochironische Kunstwerk gelingt, idem Adams Apples sich des Höchsten und des Niedersten zugleich bedient. Momente der religiösen Erleuchtung, in denen sich das Gute durchzusetzen scheint, wechseln sich ab mit Szenen brutaler Gewalt und Schadenfreude.
Adam, der Nazi und Ivan, der Priester, erweisen sich als zwei Seiten einer Persönlichkeit. Eine Seite sieht nur Hass und Gewalt in der Welt, der andere nur das Gute und Schöne. Beide nehmen das Leben durch ein Filter wahr, das durch die Erzählung höchst lustvoll erst angekratzt, dann zerborsten, und schließlich pulverisiert wird. Adams Apples geht es nicht um leise Töne, sondern vielmehr um die Darstellung der monströsen Seiten der menschlichen Psyche. Und das Monster steckt in allen. Regisseur Jensen inszeniert diesen existenzialistischen Stoff in der pastoralen Schönheit einer dänischen Dorfgemeinde, deren Paradies die Helden des Films gnadenlos in ein flammendes, bluttriefendes Inferno verwandeln.
"Adams Äpfel" berührt und überschreitet in einem fort die Grenzen des guten Geschmacks, lässt seine Figuren ungestraft die schlimmsten Dinge tun, wechselt die Genres von Märchen über sozialen Realismus hin zu Slapstick und Splatter. Und doch ist der Film ganz und gar geglückt, lässt er sich doch als Parabel aller Ebenen menschlichen Zusammenlebens verstehen. Doch trotz seines düsteren Tons handelt es sich mitnichten um einen pessimistischen Film. Allen Grausamkeiten zum Trotz nimmt die Handlung gegen Ende eine unerwartete Wendung. Denn obwohl die Figuren fortwährend unverzeihliche Fehler machen, steuern sie ahnungslos ihrer Versöhnung entgegen. Man muss nur einen der eingangs erwähnten Magneten umdrehen, und Abstoßung wird zur Anziehung.
Fazit: Ein warmherziges Meisterwerk: wendungsreich und kurzweilig, brillant gespielt und so unberechenbar wie das Leben.