All die Kontroversen in jüngster Zeit um die Person und Methode Michael Moores, der vielleicht tatsächlich eine Art propagandistische Wende im internationalen Dokumentarfilm mitverursacht hat - von erkenntnis- und medientheoretischen Auseinandersetzungen mit dem Thema mal ganz abgesehen - , haben eines klar gemacht: Dem Bild und der Montage geht man leicht auf den Leim.
Bei Never Sorry gilt dies sogar in doppelter Hinsicht: Denn Alison Klayman hat sich einen Protagonisten ausgesucht, dessen Aufgabe die Bilderproduktion ist, ob in seinen Arbeiten oder in den sozialen Netzwerken, in denen Ai sich so flüssig bewegt. Wo immer auch nur die Gefahr besteht, mit der Polizei in Kontakt zu kommen, rüsten Ai und seine Mitarbeiter sich mit Fotohandys und Camcordern aus, um eine Gegenerzählung zur der offiziellen Version herstellen zu können. Eine Gegenerzählung, die, ganz direkt, unverstellt und unbeleckt von jedem Zweifel, die Wahrheit beschreiben soll.
Dies sorgt für einen Moment der pursten, witzigsten Form von Realsatire: Ai Weiwei hat sich mit seiner Gruppe auf dem Bürgersteig niedergelassen vor einem Restaurant, zum Essen, die Polizei fürchtet, wohl nicht zu unrecht, ein politisches Happening und entscheidet sich, die Sache zu filmen. Also sieht man den starren Blick des Polizei-Camcorders, der Klayman filmt, wobei Ais Assistent wiederum dem Polizisten über die Schulter filmt eine Standardsituation des Actionfilms, in dem hier Kameras die Pistolen ersetzen: Der letzte, auf den keine gerichtet ist, gewinnt.
Alison Klayman gelingt es aber zu selten, ihren Blick von dem Ais zu lösen. Sie will es auch gar nicht, oft sind die Aufnahmen des Filmes auch die des Künstlers, häufig füllen seine Twitter-Botschaften die Leinwand. Für Zweifel am Helden ist in einem Heldenporträt wenig Platz, die suspension of disbelief, die vorübergehende Ausschaltung dieses Zweifels, wie der fiktionale Film sie voraussetzt, ist notwendig, um Never Sorry voll genießen zu können. Denn Ai, wie die Dokumentation ihn schildert, ist ein sehr spannender, schillernder Charakter, einer, der sich sehr konfrontativ und mutig der Staatsmacht entgegenstellt.
Und dennoch sind die Momente die spannendsten, in denen nicht die Haltung, sondern die Kreativität Ais zum Ausdruck kommen wobei er selbst da wahrscheinlich keinen Unterschied machen würde. Die Fassade des Hauses der Kunst in München bestückte er mit Rucksäcken, um an die toten Kinder beim verheerenden Erdbeben in der Provinz Sichuan zu erinnern. Und den Boden der Tate Modern in London deckt er mit 100 Millionen Sunflower Seeds zu, auf denen er in einer wunderbaren Einstellung mit seinem unehelichen Sohn umherstreunt.
Ein unehelicher Sohn? Es sind die kleinen, zarten Risse in der Fassade des moralisch hehren Kämpfers für Freiheit und Gerechtigkeit, die womöglich den größten Erkenntniswert in Klaymans Film darstellen. Wie das Leben als Aktivist das Familienglück langsam vergiften kann, davon gibt Never Sorry vor allem in den Gesprächen zwischen Ai und seiner Mutter eine leise Ahnung.
Fazit: Alison Klaymans Porträt zeichnet ein faszinierendes Bild des charismatischen enfant terrible des chinesischen Kunstbetriebs ein wenig mehr Distanz hätte dem ansonsten starken Film aber gut getan.