Das Unterbewusste ist im Horrorfilm zu Hause. Oft beschäftigen sich Horrorfilme mit unseren verdrängten Problemen und unbewussten Ängsten. Kein Wunder also, dass viele Filme dieses Genres mit einer tieferen Bedeutung aufwarten. Es sind versteckte, unterschwellige Botschaften, die etwas im Publikum erreichen sollen, die es verstören oder zum Nachdenken anregen sollen. Wir haben uns ein paar in dieser Hinsicht besonders ausdrucksstarke Horrorfilme ausgesucht und ihre ausgeklügelten Metaphern und Allegorien einmal ausformuliert. Kommentare und eigenen Interpretation sind unbedingt willkommen!
1. Beispiel: Hexenjagd (1996)
Beginnen wir mit DEM Schulbuchbeispiel für metaphorisches Erzählen schlechthin. „Hexenjagd“ aus dem Jahr 1996 adaptierte das gleichnamige Theaterstück von Arthur Miller und behandelte dabei eine Vielzahl von sozialen Themen. Diesen Film einen reinen Horrorfilm zu nennen, ist sicher etwas gewagt, als Einstieg in das Thema versteckter Film-Bedeutungen eignet er sich aber sehr gut. Oberflächlich betrachtet ist der Film nämlich „nur“ eine dramatische Auseinandersetzung mit dem Hexenprozesse von Salem, welcher im Jahr 1692 den Beginn einer Reihe von Verhaftungen, Anklagen und Hinrichtungen wegen Hexerei in Neuengland einleitete.
Und darum geht es in „Hexenjagd“ wirklich: McCarthyismus!
Tatsächlich geht es in „Hexenjagd“ aber nicht nur um die im Film dargestellte Intoleranz und Hysterie, sondern vor allem um den sogenannten McCarthyismus. Der Film setzt sich in seiner tieferen Bedeutung gezielt mit der um sich greifenden Kommunismus-Paranoia der 1950er-Jahre auseinander und zieht dabei etliche Parallelen zwischen dem seinerzeit aktiven „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ und der im Film dargestellten Hexenjagd. Ein besonders plastisches Beispiel für eine tieferliegende Filmbotschaft.
2. Beispiel: Aliens - Die Rückkehr (1986)
Eine tiefere Bedeutung war dem „Alien“-Franchise von Anfang vergönnt. Während sich Ridley Scotts erster Eintrag anhand der Design von H.R. Giger auf subtile Weise am Thema der sexuellen Gewalt abarbeitete, widmete sich der zweite Teil der Reihe fast schon vordergründig einem ganz anderen Punkt.
Und darum geht es wirklich in „Aliens - Die Rückkehr“: Vietnamkrieg
Ellen Ripleys Odyssee (Sigourney Weaver) verschlägt sie in „Aliens“ in die schwer bewaffneten Reihen von vermeintlich unbesiegbaren und gefährlich arroganten Colonial Marines, die auf einen ihnen unbekannten Feind treffen. Sowohl die militärische Montur der Mariens als auch ihre Fahrzeuge und die verwendeten Kriegsgeräte bedienen sich hinsichtlich ihrer Designs ganz offen bei der historischen Ausrüstung des US-Militärs während des Vietnamkrieges. Doch nicht nur die Ästhetik des bis 1975 andauernden Krieges war ein wichtiger Orientierungspunkt des Films, auch die politischen und strategischen Dimensionen des Konfliktes wurden verarbeitet. So stellt sich den mit modernen Mitteln ausgestatteten Marines eine unbekannte Übermacht entgegen, die technologisch zwar weit unterlegen ist, aber durch ihre bloße Truppenstärke und ihre Beheimatung auf dem fremden Schlachtfeld am Ende siegreich ist. Die Aliens sind der „Vietcong“.
3. Beispiel: Funny Games (1997)
Die beiden Männer, die da an der Tür des Ferienhauses klingeln, scheinen die Unschuld in Person zu sein. Doch der Schein trügt und das gleich mehrfach, in Michael Hanekes radikaler Allegorie auf die Vermittlung medialer Gewalt. Im Fortgang des Filmes werden wir Zeuge davon, wie die beiden in weiß gekleideten Männer die Familie offenbar grundlos foltern. Mehr noch: Die Familie wird physisch und psychisch vollends zerstört. Das allein macht den Film noch nicht besonders, sind derartige Szenen doch im Horror-Gerne keine Seltenheit.
Und darum geht es in „Funny Games“ wirklich: Gewaltverherrlichung
Der tiefere Sinn von „Funny Games“ liegt in der Einbeziehung des Publikums und der Entromantisierung der Gewalt.Wir, die Zuschauer, werden von Michael Haneke mit Hilfe von bewusst gewählten Stilmitteln (Brechen der „Vierten Wand“) zu Komplizen der Gräueltaten gemacht. Die Gewalt verliert zudem jedweden Unterhaltungswert. Anders als in den meisten Horrorfilmen wird sie hier als real und weltlich porträtiert, der „Glamour“ der Gewalt verschwindet. Das macht die Gewalt in „Funny Games“ quasi nicht mehr konsumierbar und unsere Mittäterschaft äußerst unangenehm. Michael Haneke wirft uns also vor, fiktive Gewalt lustvoll zu konsumieren und ihr wahrhaftiges Grauen zu verdrängen. Der Film ist ein subtiler Schuldspruch.
4. Beispiel: Drag Me To Hell (2009)
Sam Raimis Rückkehr zum Horrorfilm ist ein besonders schöner Fall von „wenn man es erst einmal gesehen hat…“. Hier geht es nämlich um Bulimie. Wir erinnern uns: Eine junge Bankangestellte verwehrt einer alten „Zigeunerin“ die Verlängerung ihres Kredites und wird sodann von selbiger verflucht. Nach drei Tagen wartet die Hölle auf unsere Heldin. Das allein hat erst einmal nicht viel mit der Hölle, die Bulimie für Millionen Betroffene ist, zu tun.
Und darum geht es in „Drag Me To Hell“ wirklich: Essstörungen und Bulimie
Doch schauen wir uns Christine einmal genauer an. Christine sagt über sich selbst, dass sie „früher fett war“ und dass Sucht ihr dank einer alkoholkranken Mutter schon in die Wiege gelegt wurde. Dann wäre da jene scheinbar deplatzierte Szene, in welcher es um Christines „Laktoseintoleranz geht“. Und schließlich: Der Dämon, gegen den Christine im Film kämpft, hört auf den Namen „Lamia“, was dem englischen „Bulima“ nicht gerade unähnlich ist. Auch lassen sich im Film etliche Anspielungen auf die physischen Symptome von Bulimie finden. Endgültig überzeugt dürfte man aber vor allem dann sein, wenn man „Drag Me to Hell“ noch einmal sieht und dabei ausschließlich auf den Mund der Protagonisten achtet. Kotze, Schals, Insekten und verschiedenste Flüssigkeiten – die Dinge, die während „Drag Me to Hell“ den Mund seiner Hauptfigur passieren, sind so zahlreich, dass der thematische Fokus nicht mehr von der Hand gewiesen werden kann. Alle übernatürlichen Attacken haben etwas mit Lebensmitteln zu tun.
5. Beispiel: A Serbian Film (2010)
Extreme Filme wie diesen lässt man nicht einfach so stehen. Interviews, in welchen der Regisseur Srdjan Spasojevic die versteckte Metaphysik seines kontroversen Streifens erläutert, gibt es deshalb auch wie Sand am Meer. Die Indizierung und Zensur in zahlreichen Ländern hat seinem fragwürdigen Werk einen zweifelhaften Ruhm beschert. Dass die Mehrheit der Zuschauer, die „A Serbian Film“ dabei angezogen hat, auch wirklich einen Zugang zu seiner tieferen Bedeutung gefunden hat, darf indes bezweifelt werden.
Und darum geht es in „A Serbian Film“ wirklich: Kritik an Politischer Korrektheit und der Serbischen Regierung
Doch worum geht es laut Srdjan Spasojevic nun wirklich in „A Serbian Film“: Der Film sei ein sehr intimer Ausdruck der Gefühle, die Spasojevic in Bezug auf seine Heimat habe. Der Regisseur sieht die letzten Jahrzehnte als einen „moralischen und politischen Albtraum“. Es gehe ihm um die fleischliche Darstellung dieses Albtraums. Der thematische Rahmen sei dabei aber vor allem die Kritik an einer Welt, die „mit politischer Korrektheit Zucker beschichtet“, in Wirklichkeit aber „sehr schmutzig unter dieser Fassade“ sei. Allerdings ist der Film nicht nur als Parodie politischer Korrektheit zu verstehen, sondern auch als „Tagebuch über die konkrete Belästigung durch die Serbische Regierung und als Verdammung des typischen staats-finanzierten Kinos in Serbien“. Warum man deshalb unbedingt Neugeborene vergewaltigen muss, lässt Srdjan Spasojevic in seinen Interviews jedoch offen.
6. Beispiel: The Shining (1980)
Tja, Zeit für ein Referat über Kubricks „The Shining“ haben wir heute leider nicht. Doch genau das wäre angesichts der Masse an relevanten Forschungsbeiträgen zu diesem ikonischen Film eigentlich geboten. Wer die Tür in das bodenlose Nichts aus Interpretationen und Dechiffrierungen einmal ganz weit aufstoßen möchte, dem sei die Doku „Room 237“ unbedingt ans Herz gelegt. Für unsere Zwecke wollen wir uns hier aber ausschließlich auf ein Thema konzentrierten, das unter den Kubrick-Exegeten mittlerweile als gesichert gilt.
Un darum geht es in „The Shining“ wirklich: Der Völkermord an den indianischen Ureinwohnern Amerikas
In „The Shining“ geht es um den Völkermord an den indianischen Ureinwohnern Amerikas. Für diese Lesart sprechen eine Reihe von konkreten Hinweise. Als da wäre: Das fortwährende Auftauchen der „Bürde des Weißen Mannes“ und der US-Doktrin der „offensichtlichen Bestimmung“, die Tatsache, dass das vom Unheimlichen und Verdrängten bewohnte Hotel auf einem „Indianischen Friedhof“ gebaut wurde, die große Zahl an Indianischen Motiven und Kunstwerken, die überall im Hotel platziert wurden und schließlich der große Ball, der offenkundig am 4. Juli, dem Amerikanischen Unabhängigkeitstag, stattfindet. Geht man mit dieser Lesart an den Film heran, erschließen sich plötzlich auch Bilder wie die Flut aus Blut, die aus dem Fahrstuhl stürzt.