Seit Tobias denken kann, ist er mit Flasche befreundet. Flasche war immer dabei, wenn Tobias feiern wollte. Aber auch, wenn er traurig, überfordert, gestresst war. Doch nachdem Tobias einen geschäftlichen Auftrag in den Sand gesetzt hat und betrunken am Steuer einen Autounfall verursacht, wird Tobias eines klar: Er muss sich von Flasche trennen. Doch der treue Freund will das nicht einsehen. Weil er an Tobias hängt. Und Tobias an ihm. Für ihren neuen Film haben sich Regisseur Axel Ranisch und seine Co-Drehbuchautoren Peter Trabner und Heiko Pinkowski eine interessante Prämisse gewählt: Sie zeigen die Sucht als menschlichen Charakter, als Person, die sich nicht unsichtbar machen oder beiseite schieben lässt. Und entstehen anfangs aus dieser Situation heraus noch jede Menge absurde, skurrile und unterhaltsame Momente, so wird von Minute zu Minute der Erzählton dunkler, die Aktion des Protagonisten tragischer, die Situation auswegloser. Denn Tobias, den Heiko Pinkowski mit seiner ganzen Physiognomie so eindrücklich und intensiv verkörpert, kommt einfach nicht los von Flasche, eine Rolle, in die Peter Trabner selbst mit sicherem Gespür für genaue Gesten schlüpft. Dass aber Tobias Kampf mit der Sucht nicht nur ihn betrifft, zeigt Ranisch deutlich, indem er auch die Perspektive der Familie, des Firmenkompagnons und anderer Süchtiger in der gemeinsamen Therapie aufzeigt. Ranisch und Trabner nehmen sämtliche Figuren ernst, geben sie niemals der Lächerlichkeit preis und zeigen konsequent und kompromisslos den Weg der Abhängigkeit und Krankheit. Die Musik zum Film liefern „Die Tentakel von Delphi“, als Troubadour kommentiert Robert Gwisdek alias „Käptn Peng“ das Geschehen mit passenden Texten. In seinen Songs geht es nicht nur um die Sehnsucht, endlich loslassen zu können. Es geht auch um Liebe und Geborgenheit. Denn genau das ist die Vielschichtigkeit der Empfindungen von Tobias gegenüber Flasche, die ALKI ALKI erzählt und dem Film damit seine Einzigartigkeit verleihen: So besonders und eindrucksvoll ist ein solches Thema selten erzählt worden. Ranischs neuer Film ist ehrlich, schonungslos und doch auch immer wieder verträumt absurd. Großartiges deutsches Kino.
Jurybegründung:
Axel Ranisch nennt seinen Film, für den er als „Spielleiter“ verantwortlich zeichnet, eine Tragikomödie. Doch eigentlich ist seine Geschichte eines verzweifelten Alkoholikers vor allem ein Drama mit tragischen und gelegentlichen ironischen Momenten. Tobias Zach ist Bauingenieur und führt zusammen mit seinem Freund Thomas ein Architekturbüro. Er hat eine Frau und drei Kinder. Eigentlich könnte alles wunderbar sein, wenn da nicht „Flasche“ wäre, das Alter Ego von Tobias, die manifestierte Alkoholsucht. Flasche ist der ständige Begleiter von Tobias und lässt ihn nicht eine Sekunde allein. Er verführt Tobias immer wieder aufs Neue zum Trinken. Tobias gleitet tiefer und tiefer in seinen Alkoholismus, verliert den Boden unter den Füßen, kann sich gegen alle vernünftigen Argumente und trotz seiner Liebe zu seiner Frau und den Kinder nicht von seiner Sucht befreien. Als Tobias am Tiefpunkt angekommen ist, willigt er in eine Therapie ein. Aber auch hier lässt ihn Flasche nicht allein und flüstert ihm ständig Versuchungen ins Ohr, die Tobias trotz verzweifelter Gegenwehr nicht überhören kann.
Axel Ranischs konsequentes Porträt eines Trinkers, den Heiko Pinkowski als eine Mischung aus gutmütigem Tanzbär und Schwächling gibt, besticht durch seine stringente Dramaturgie. Als Übergang zu den einzelnen Abschnitten der Schilderung des langen Weges von Tobias in den Abgrund der Sucht hat Ranisch den Auftritt eines Bänkelsängers gewählt, der von dem unheilvollen Verhältnis zwischen Tobias und seinem dunklen Begleiter Flasche erzählt und damit den Rahmen der einzelnen Kapitel absteckt. Tobias bewegt sich längst nicht mehr nur auf einer realen Ebene. Nicht nur Flasche, den er in seinem Dasein akzeptiert und der kein „weißer Hase“ ist, verleiht dem Film einen Hauch von Surrealität und absurdem Humor. Tobias verliert oft seine Beziehung zur Wirklichkeit, da er sie meist nur noch durch den Zerrspiegel des Alkohols wahrnimmt. Diese einzelnen Stufen eines fast unaufhaltsamen Abstiegs zeigt der Film in dramatischen Details und erspart dem Zuschauer nichts. Und dennoch ist dies kein Film der Hoffnungslosigkeit, sondern immer wieder auch die Schilderung von zwischenmenschlicher Wärme, von Nähe und von Menschenwürde, die Tobias selbst in den düstersten Augenblicken der Geschichte nie ganz verliert. Darin liegt die besondere Stärke des Films, dem man anmerkt, dass der „Spielleiter“ seine Figuren mag und nicht der Lächerlichkeit preisgibt. Der Film endet mit einer schönen indianischen Legende über zwei Wölfe, von denen der eine das Gute, der andere das Böse verkörpert. Nur der von ihnen kann überleben, der gefüttert wird. Man gönnt Tobias, dass er doch noch den Weg findet, den guten Wolf zu füttern. Die Eindringlichkeit der Darstellung dieses Schicksals und die Originalität der Interpretation haben, so der Bewertungsausschuss, das höchste Prädikat verdient.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)