FBW-Pressetext:
Clara wollte schon früh weg aus der ostdeutschen Provinz, wo sich alle kennen, wo nichts passiert, wo alle nur übers Wetter reden. Als Hochschuldozentin und angehende Doktorin der Philosophie lebt sie nun in Berlin. Doch auch hier fühlt sich Clara nicht wirklich zu Hause. Als sie mit ihrer Tochter über ein Wochenende zu ihrer Mutter fährt, ist sofort dieses alte Gefühl da. Ein Gefühl, das Clara nicht richtig definieren kann. Und das sie dazu bringt, alles, was sie kennt, neu zu hinterfragen.
Mit ihrem Debütfilm ALLE REDEN ÜBERS WETTER haben die Regisseurin Annika Pinske und ihr Co-Autor Johannes Flachmeyer einen Heimatfilm geschaffen, der den Begriff Heimat fern von jedem Klischee, Pathos und Kitsch betrachtet. Und dennoch - oder vielleicht genau deswegen - gelingen dem Film unzählige rührende Momente, die die Sehnsucht Claras nach einem wahrhaftigen Zuhause-Gefühl spürbar vermitteln. Das Drehbuch stellt die unterschiedlichen Welten, in denen sich Clara bewegt, und ihre Gegensätze, die größer nicht sein könnten, auf eine Ebene und macht sie vergleichbar in ihrer blasenhaften Existenz. Denn sowohl die akademische als auch die ländliche Welt sind Universen in sich, in die man passen muss - oder eben nicht dazugehört. Anne Schäfer verkörpert den Zwiespalt der Figur, die zwischen trotziger Abgrenzung und der verzweifelten Suche nach einer eigenen Identität und Zugehörigkeit immer kraftloser wirkt, absolut überzeugend. Nicht als Sympathieträgerin, dafür aber als Identifikationsfigur, an der Pinske und Flachmeyer einige Konflikte durchdeklinieren, die sich auch auf unsere gesamtdeutsche Gesellschaft übertragen lassen. Dank einer klugen und ruhigen Kameraführung, eines authentisch-rauhen Settings und einem extrem stimmigen Cast - darunter Anne-Kathrin Gummich als Claras Mutter, Max Riemelt als ehemaliger Freund und Christine Schorn als Großmutter - entwickelt sich eine Tragik, die nie großes Drama ist, aber die Zuschauenden auf berührende Weise an die Hand nimmt und mit auf die filmische Reise nimmt.
FBW-Jury-Begründung:
‚Niemand wird so wieder werden, so wie er mal war zuvor. Niemand kommt zweimal auf Erden, durch ein und dasselbe Tor. Niemand kann zurück sich regen, weil er immer reifer wird. Niemand kann sich frei bewegen, hat er sich einmal verirrt‘ heißt es in der Eingangssequenz von Annika Pinskes Langfilm-Debüt ALLE REDEN ÜBERS WETTER. Und diese Puhdys-Zeilen sind Programm!
Clara promoviert an einer geisteswissenschaftlichen Fakultät Berlins. Mit dem akademischen Narzissmus und der kommunikativen Inkompetenz ihrer Kollegen kann sie sich beinahe noch arrangieren, mit ihrer eigenen Herkunft aus proletarischem Milieu in der mecklenburgischen Provinz gelingt das offenbar nicht so sehr. Ost - West, Stadt - Land, männlich - weiblich, oder eben Geisteswissenschaften - Arbeiterklasse, in ALLE REDEN ÜBERS WETTER tun sich Abgründe auf, Abgründe, die bisweilen Welten zu trennen scheinen. Regisseurin Annika Pinske mutet ihrer Hauptdarstellerin ziemlich viel zu, nichts davon ist übertrieben. Beinahe hautnah dürfen die Zuschauer miterleben, wie die, zur Wendezeit einst aus dem Westen gekommene, Professorenschaft nach Opfern unter denen suchen, die sie nicht zu den ihren zählt. Sie meinen sich überlegen und geben dies auch zu verstehen. Clara kann parieren …bis zu einem gewissen Grad, denn als sich die versammelte Kollegenschaft neugierig auf ihre ostdeutsche Herkunft stürzt, reagiert sie heftiger als erwartet.
Trotz der schwierigen Themen, die Pinskes Debüt anspricht, ist der Film keinesfalls langatmig oder -weilig. Das ist zum Einen auf ein auffällig intelligentes Drehbuch zurückzuführen. Das erklärt sich aber auch über den ausgezeichneten, insbesondere weiblichen, Cast. Allen voran Anne Schäfer, als Clara, die hervorragend die Zerrissenheit ihrer Biographie herausarbeitet, aber auch Judith Hofmann als deren überambitionierte, Grenzen verletzende Doktormutter Margot und Anne-Kathrin Gummich als bodenständige Claras Mutter Inge zeigen in schwierigen Rollen großes Können.
ALLE REDEN ÜBERS WETTER ist ein nahbarer, kluger Film über Selbstverortung, Heimat und natürlich die Suche danach. Wie nahbar und wie klug, das erleben die Zuschauer, wenn Clara zum 60sten Geburtstag ihrer Mutter fährt. Wie von selbst scheint sie sich den lokalen Gegebenheiten anzupassen, grüßt die Nachbarn, fällt in das ihr bekannte mecklenburgische Idiom ein und ist dennoch nicht Zuhause. Keiner der Bekannten von ‚früher‘ kann sich ausmalen, wie ihre Arbeit an der Uni aussieht, niemand will verstehen, niemand weiß, warum sie nach Berlin gegangen ist. Klar, dass es mit einem Mal aus Clara herausbricht: ‚Warum wird hier eigentlich nur gelabert und nie kommuniziert?‘ Der Film behauptet nicht einfach, nein: er lebt diese Kluft(en). Pinskes Film ist keine Dokumentation, daher kann sich die Jury gut damit anfreunden, dass sowohl der akademische Betrieb als auch das Leben auf dem mecklenburgischen Land aus dramaturgischen Gründen, immer mal wieder überspitzt gezeichnet wird. Dennoch, so zeigt sich in der Diskussion, findet sie es schade, dass ALLE REDEN ÜBERS WETTER letztlich doch an mancher Stelle mit altgedienten Klischees à la ‚Ossis saufen‘, ’schlagen ihre Kinder‘ und ’sind rechtsradikal‘, aufwarten muss.
Clara ist eine Wandlerin zwischen den Welten. Sie hat sich hochgearbeitet und dennoch keine Heimat gefunden. Sie gehört weder dem westdeutsch geprägten, urbanen Bildungsbürgertum an, noch dem Proletariat auf dem ostdeutschen Land. ALLE REDEN ÜBERS WETTER beschreibt die Rituale und Banalitäten an diesen Orten, zeigt auch wie soziale Fassaden sie kaschieren. Mehr, als alles andere verdeutlicht der Film aber, dass Herkunft hier, wie dort noch immer eine zentrale Rolle der Identifikation bedeutet. Protagonistin Clara will keine Dissimilation gelingen, für sie ließe sich mit der schon eingangs zitierten DDR-Band für Protagonistin Clara dazu ergänzen: ‚Mancher bleibt ewig ein Wandrer, auf der Suche nach dem Neuen.‘ Aber vielleicht hat Clara schließlich sogar einen Ansatz für dieses ‚Neue‘ gefunden, so zumindest lässt sich nach Ansicht der Jury die letzte Sequenz des Films lesen. Annika Pinskes zeigt viel Gespür für ihre Figuren, mit leisen Tönen, drastischen Darstellungen, viel Geduld und manchmal auch feinem Humor bringt sie den Zuschauern ein schwieriges Thema beinahe spielerisch einfach nahe. Dass möchte die Jury nach ausgiebiger Diskussion gerne mit dem Prädikat ‚besonders wertvoll‘ belohnen.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)