ALLES AUSSER GEWÖHNLICH von Eric Toledano und Olivier Nakache erzählt auf inspirierend-mitreißende Art von zwei hochengagierten Betreuern, die sich um autistische junge Menschen kümmern - und dabei mehr als einmal an ihre eigenen Grenzen stoßen.
Als Betreuer für autistische Jugendliche versuchen Bruno und Malik, deren Leben und Alltag besser zu machen. Doch die Ämter und Ministerien legen ihnen immer wieder Steine in den Weg. Während Malik versucht, die ihm unterstellten jungen Betreuer dazu zu bringen, ihre Aufgabe als Riesenchance wahrzunehmen, ihrem Leben durch diese Art der Arbeit einen Sinn zu geben, muss Bruno gleich an mehreren Fronten kämpfen. Denn die Kontrolleure der Behörden möchten seinen ehrenamtlichen Verein aufgrund von fehlenden Genehmigungen schließen. Und dann hat auch noch der von ihm betreute Joseph die Chance auf einen Job, bei dem er Brunos ganze Unterstützung braucht. Im Grunde sind es zu viele Baustellen, die sich für Bruno und Malik auftun. Doch sie wissen, dass Aufgeben keine Option ist. Weil nur der, der weitermacht, die Welt ein wenig besser machen kann. Bei ALLES AUSSER GEWÖHNLICH handelt es sich um ein absolutes Herzensprojekt der Regisseure und Drehbuchautoren Eric Toledano und Olivier Nakache. Wie schon bei ihrem Sensationserfolg ZIEMLICH BESTE FREUNDE dient auch hier eine wahre Geschichte als Inspiration für ihren neuesten Film, der einen sehr authentischen Eindruck hinterlässt. Vincent Cassel und Reda Kateb sind grandios als Bruno und Malik. Eindrucksvoll und charismatisch verkörpern sie die Figuren, die ein großes Vorbild für andere darstellen und sich trotz ihrer guten Taten nie als Heilige aufführen, sondern als Menschen auftreten, die auch mal frustriert, am Boden oder hoffnungslos sind. Die beiden renommierten französischen Schauspieler werden von einem bemerkenswerten Cast aus professionellen Schauspielern und autistischen Laiendarstellern unterstützt, die wie eine Einheit agieren und viel zu der Natürlichkeit beitragen, die der gesamte Film ausstrahlt. Die Kamera ist ganz nah bei den Protagonisten und so taucht man unmittelbar ein in den Alltag, die Konflikte, aber auch die Fröhlichkeit und Schönheit der einzelnen Momente, in denen neben allen Problemen vor allem auch die Einzigartigkeit eines jeden Menschen gefeiert wird. Auch die Tonebene, die mit einem klugen Soundkonzept auch in die Wahrnehmung der autistischen Jugendlichen eintaucht, überzeugt. Der Humor und das Lebensbejahende kommen nicht zu kurz, doch nie wird eine der Figuren vorgeführt oder ins Lächerliche gezogen. Ein sorgfältig recherchierter Film, der einen liebe- und respektvollen Blick auf alle Protagonisten wirft und dem es mit großer Wärme und Leichtigkeit gelingt, ein komplexes und gesellschaftlich hochrelevantes Thema zu erzählen.
Jurybegründung:
Die erfolgreichste Form, Sozialarbeit im Kino darzustellen, ist das so genannte Feelgoodmovie, in dem Problemlagen mit schwer erziehbaren, kranken oder alten Menschen zwar vorkommen, aber zugleich mit Humor behandelt und gemeistert werden. Im Fall von ALLES AUSSER GEWÖHNLICH legt die Jury Wert darauf, diesen berührenden, aufwühlenden und zugleich gute Laune machenden Film trotzdem nicht als Feelgoodmovie zu bezeichnen. Die Regisseure Olivier Nakache und Éric Toledano schildern die wahren Fälle, um die es in ihrem Film geht, mit einem Respekt und einer Sensibilität gegenüber ihren Protagonisten, die über das Feelgood-Genre hinausweist; ihr Film ist auf eine Weise zugleich unterhaltend und aufklärend, die man im Kino tatsächlich nur selten erlebt.
Im Zentrum des Film steht Bruno (Vincent Cassel), der seine ganze Energie, ja sein ganzes Leben, darauf verwendet, jener Sorte psychisch kranker und lernbehinderter Menschen zu helfen, die sonst nirgendwo mehr unterkommen: hochaggressive Jugendliche mit Asperger Syndrom, erwachsene Menschen mit Ticks und Anfällen, mit denen keine Institution mehr zurechtkommt und mit deren Betreuung jedes familiäre Umfeld völlig überfordert ist. In unermüdlicher Kleinstarbeit sammelt Bruno Unterstützer, Förderer und Mitarbeiter, während er immer noch mehr verzweifelten Müttern und Vätern am Telefon Hilfe für ihre Sorgenkinder verspricht. Ihm und seiner Organisation fehlt es aber nicht nur an Platz und Geld, sondern vor allem an einem: einer offiziellen Genehmigung, einer Zertifizierung. Die Untersuchung durch die zuständige Sozial-Behörde wird schließlich zum Roten Faden des Films: Zwei Inspektoren lassen sich die Arbeit von Bruno und seinem kleinen, improvisierten Verein erklären, während drum herum immer wieder Unvorhergesehenes passiert, Not am Mann ist und eingesprungen werden muss. Bruno arbeitet eng mit der Organisation von Malik (Reda Kateb) zusammen, der Jugendliche von der Straße holt, um sie bei Erwerben eines Schulabschluss zu unterstützen. Seine Jugendlichen arbeiten als Betreuer für die schweren Fälle von Bruno - eine Kombination, die einerseits sehr fruchtbar sein kann, andererseits aber nicht ohne Risiken ist, wie der Film unverhohlen zeigt.
So viele Dinge spielen auf gelungene Weise hier zusammen, dass es der Jury fast schwer fiel, einzelne Aspekte herauszuheben. Nicht nur die Darsteller sind herausragend in ihrem zugleich charismatischen wie angenehm zurückhaltenden Spiel, auch das Drehbuch besticht mit seinem Detailreichtum, das zum Beispiel die einträchtige Zusammenarbeit verschiedener religiöser Gemeinschaften völlig beiläufig zeigt - Bruno ist gläubiger Jude, unter seinen Angestellten und Förderern sind sowohl Muslime als auch Juden und Katholiken vertreten. Über die Schwere der Betreuungsarbeit wird nicht leichtfüßig hinweggegangen, vielmehr wird die Arbeit als nie endendes Provisorium dargestellt, bei der sich lediglich Etappenerfolge feiern lassen, nie ein echtes Happyend. „Wir sind fast da“ - dieser Spruch bildet zusammen mit „Wir werden eine Lösung finden“ Brunos Leitmotiv und taugt zum Credo aller Sozialarbeit.
Seinen mitreißenden Humor erreicht der Film durch Understatement und trockenen Witz, wie etwa durch die Verkupplungsversuche, die der ledige Bruno als eine Art „running gag“ über sich ergehen lassen muss. Besonders lobt die Jury den sorgfältigen Umgang des Films mit seinen lernbehinderten Protagonisten, die zum Teil von Laien und Betroffenen dargestellt werden: Weder werden sie für emotionale oder dramatische Effekte ausgebeutet oder gar ausgestellt, noch lässt man sie in irgendeiner Weise „komisch“ aussehen. Die Kamera befindet sich sozusagen stets auf Höhe seiner Protagonisten, während das Sounddesign den Zuschauer ab und an auch in die Lage der in Panik geratenden Patienten versetzt. Dabei gelingt es dem Film, seine vielen disparaten Aspekte zu einer filmischen Einheit zusammenzuführen, die man für ihre Kombination von erhellender Sozialkritik und Kurzweiligkeit nur bewundern kann.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)