Kathy, Tommy und Ruth wachsen in der scheinbaren Idylle des englischen Internats Hailsham auf. Ihr Alltag ist allerdings durch die ständige Überwachung der Lehrer bestimmt. In dieser Zeit entsteht eine enge Freundschaft, die sie nach Jahren der Trennung wieder zusammenführen wird - nachdem sie erfahren haben, dass ihre Existenz alleinig einem spezifischen Zweck dient. Die Verfilmung von Kazuo Ishiguros preisgekröntem Roman konzentriert sich auf die komplex ausgearbeiteten Figuren, deren Gefühls- und Innenleben und die Dynamik untereinander. Ihr Leben ist von der Ambivalenz bestimmt, die Akzeptanz ihres unausweichlichen Schicksals mit der Erfüllung ihrer Sehnsüchte und der Liebe in Einklang zu bringen. Daraus erwächst Hoffnung, doch bei dem Versuch, das Schicksal aufzuhalten, durchleben die Figuren auch Gefühle der Enttäuschung und Verbitterung. Die als Parallelwelt zur Gegenwart angesiedelte Gesellschaft wirkt auf den Zuschauer oftmals gespenstisch nahe. Die subtile Grundspannung der düsteren Dystopie wird unterstrichen durch eine perfekte Bildkomposition mit einem genauen Blick für Details und exzellenter Kameraführung. Der Zuschauer muss zwischen den Zeilen lesen, um dieses Drama, das ganz ohne verfremdende Effekte auskommt, vollständig zu begreifen. Anspruchsvolles Erzählkino, das unter die Haut geht
Jurybegründung:
Auch so kann man eine Science-Fiction Geschichte erzählen: Ganz ohne utopische Technologien, ohne eine futuristische Ausstattung oder umständliche Erklärungen, warum sich die imaginierte Welt in die gezeigte Richtung entwickelte. Genau genommen wird hier auch gar nicht von der Zukunft erzählt, sondern von einer Parallelwelt, in der es von den 50er Jahren an eine medizinische Heilmethode gab, die zur Entwicklung einer Kaste von menschlichen Klonen führte, die als lebendige Eratzteillager benutzt werden. Drei von diesen Geschöpfen sind die Protagonisten des Films. Der Film erzählt davon, wie sie sich selber und ihren Platz in der Welt sehen. Kathy, Tommy und Ruth leben im ersten Teil des Films in einem englischen Internat. Dort sind sie nur unter ihresgleichen und sollen dazu erzogen werden, die Aufgaben zu erfüllen, für die sie geschaffen wurden, ohne dagegen aufzubegehren. Diese subtile Art der Konditionierung zeigt der Film meisterlich. So benutzen die Jugendlichen und ihre Erzieher ganz eigene Begriffe, um die brutale Realität ihres kurzen Daseins zu verschleiern. Es wird von „Spendern“ und „Vollendung“ geredet, nie wird etwa ein entnommenes Organ, eine Operation oder ein Todesfall präzise benannt. Und mit Andeutungen und indirekten Hinweisen arbeiten auch der Autor der Romanvorlage Kazuo Ishiguro sowie der Regisseur Mark Romanek. Er erzählt konsequent aus der Perspektive der drei Jugendlichen, in deren Welt es nicht um große medizinische Fortschritte oder politisch, moralische Fragen geht, sondern um die erste Liebe, Schulfreundschaften und die Frage, was mit dem eigenen Leben anzufangen ist. Was aber, wenn dieses darauf beschränkt ist, für die Gesundheit der „richtigen“ Menschen geopfert zu werden? ALLES WAS WIR GEBEN MUSSTEN wird nach den Konventionen einer klassischen Entwicklungsgeschichte erzählt, deren Tragik darin besteht, dass es für Kathy, Tommy und Ruth keine Entwicklung zum Erwachsensein hin geben kann. Diese Ergebenheit und das Wissen der drei darum gibt dem Film eine ganz eigene, berührende Wehmut. So ist es etwa herzzerreißend, wie sehr sich Tommy gegen besseres Wissen an den Mythos vom Aufschub um ein paar Jahre für ein sch wirklich liebendes Paar klammert. Weil hier subtil und komplex von den Gefühlen der drei Klone erzählt wird, die mit Würde und einer kindlichen Unschuld ihr Schicksal akzeptieren, ist das moralische Urteil über jene, denen sie „alles geben müssen“, vernichtend. Und wie bei allen Dystopien wird auch hier verschlüsselt von der Gegenwart erzählt.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)