Nick Cassavetes neuer Film hatte seine Premiere beim diesjährigen Sundance Festival, das in der Welt des Indepenent Films, also außerhalb des Hollywood Studiosystems produzierter Streifen, eine bedeutende Rolle spielt. Doch findet die Handlung von Alpha Dog in Hollywood statt, und die Liste der Darsteller (Sharon Stone, Justin Timberlake, Bruce Willis und Ben Forster) kann man sich ebenfalls gut im Abspann einer großen Produktion aus der kalifornischen Filmstadt vorstellen.
Die Geschichte basiert auf einer wahren Begenheit. Der einst mächtige Drogendealer Jesse James Hollywood (im Film heißt er Johnny Truelove), der als einer der jüngsten die most wanted Liste des FBI anführte, sitzt derzeit in der Todeszelle und erwartet seine Bestrafung für das Verbrechen, von dem Cassavetes Film erzählt. Als Alpha Dog 2004 in Produktion ging, war Jesse James Hollywood noch auf freiem Fuß, während andere Mitglieder seiner Clique bereits einsaßen und Aussagen machten. Das FBI gewährte Cassavetes, der auch das Drehbuch schrieb, umfangreichen Einblick in diese Akten, wohl mit der Absicht, den Druck auf den Hauptverdächtigen zu erhöhen.
Um diese Nähe zu realen Geschehnissen zu unterstreichen, fühlt sich Cassavetes denn auch verpflichtet, pseudo-dokumentarisches Material in sein Werk einfließen zu lassen, Videosequenzen aus der Perspektive der Figuren und gefilmte Verhörprotokolle. Später gibt es Szenen, in denen die Mitglieder der Truelove Clique im Gerichtssaal aussagen. Der Film bewegt sich also gleich in mehreren Ebenen auf dem Grat zwischen Realität und Fiktion, verkauft sich streckenweise als Dokudrama und benutzt Gerichtsakten als Quellmaterial. Mit diesem spannenden Ansatz geht der auftrumpfende Anspruch einher, einen Fall zu rekonstruieren, es so zu zeigen, wie es wirklich war. Problematisch nur, dass es zahlreiche Szenen gibt, die auf Authentizität setzen und denen man nicht ansieht, dass sie fiktional und nicht dokumentarisch produziert wurden.
Es sind Einblicke in das extravagante Leben der Clique um Truelove, der mit dem Verkauf von Drogen reich geworden ist und ein Leben in Saus und Braus führt. Alles scheint wie von alleine zu laufen, alles ist larger than life, alles geht, und wenn ein Junkie seine Rechnung nicht bezahlt, kann man ihn eben mit in Gangsterkreisen üblichen Mitteln, Erpressung und Entführung beugen. Warum sollte das nicht gehen? Diese Haltung hat ein Mann, dessen kriminelle Karriere ihm leicht von der Hand ging, es ist eine andere, eine nihilistische Generation von Verbrechern, die sich elementar von den Mafiosi in Coppolas und Scorseses Filmen unterscheiden. Ihr Antrieb ist nicht, sich in Amerika zu etablieren, sie sind Amerika. Keine Familienehre, kein Christentum kein moralischer Ballast beschwert das Handeln von Leuten wie Truelove, es sind die hedonistischen Sprösslinge der oberen Zehntausend, denen in diesem Land ohnehin alles leicht fällt - Drogenhandel als Beschäftigungstherapie in einer Gegend, in der Swimming Pools und Bentleys gegen die sich breitmachende Langeweile und Depression schon lange nichts mehr auszurichten wissen.
Es ist die Rebellion von Teenagern, die sie zu Drogendealern macht und so durch die Hintertür wieder in eine Gesellschaft integriert, die sie braucht. Doch wo die Mafiosi vergangener Tage noch eine Ahnung von Verantwortungsgefühl kannten, verhalten sich die Figuren in Cassavetes Welt wie Kinder, die Mücken die Flügel ausreißen um zu sehen, was passiert. Sie kennen keinen Maßstab in ihrem Tun, und, was fast noch schwerer wiegt, sie kennen kein Scheitern, keine Schuld, keine Konsequenzen, nicht den Preis, der für gewisse Dinge zu zahlen ist.
Das Leben in einer solchen Welt ist voller Verheißungen, denen auch der Entführte Zack Mazursky schnell erliegt. Er verschwendet keinen Gedanken daran, aus den Fängen seiner Entführer zu fliehen, denn nie zuvor hatte er so viel Spaß. Der Junge hat zum ersten Mal Sex, und das gleich mit zwei Frauen in einem Swimmingpool. Die Distanz zwischen Täter und Opfer verschwindet, Zack könnte leicht Zigaretten holen gehen und fliehen, doch er bleibt. Schon früh ahnt man das böse Ende; lange bevor es den Figuren selbst bewusst wird. Cassavetes erzählt diese Geschichte mit beträchtlichem stilistischen Aufwand, es gibt Split Screens, Zeitsprünge, Videosequenzen.
Alpha Dog will eine vielschichtige sozialkritische Analyse der kalifornischen Oberschicht sein, indem er den Lebensinhalt seiner Figuren in wechselnden Perspektiven als fortwährenden Konsum darstellt: Partys, Sex, Alkohol, harte Drogen, Autos, etc. Alles ist im Überfluss vorhanden. In dieser aufgeputschten Welt, so legt Cassavetes Film nahe, verlieren die Menschen nicht nur den Bezug zu einer tragfähigen Sozialisation, sondern in letzter Konsequenz auch jede Verhältnismäßigkeit des Handelns und alle moralischen Maßstäbe. Das zeigt sich nicht zuletzt auch an der Freude, mit der Zack sich spielerisch in die Rolle des Entführungsopfers fügt. Der Film will erhellen und anprangern, doch bei aller Komplexität gelingt es ihm nicht, einen Standpunkt zu den Geschehnissen zu beziehen, man bleibt seltsam unberührt. Es bleibt beim verständnislosen Kopfschütteln und bei der offenen Frage, wie es soweit kommen konnte.
Fazit: Vielschichtige und spannende Erzählung eines unfassbaren Verbrechens, gut besetzt und stilistisch aufwändig. Störend nur, dass der Film dem Irrtum erliegt, die Realität durch komplexe erzählerische Strukturen glaubhaft rekonstruieren zu können und so auf einen eigenen Standpunkt verzichtet.