Als der Filmemacher Jakob Preuss den geflüchteten Paul Nkamani in einem Camp in Marokko kennenlernt, hat dieser bereits Tausende von Kilometer hinter sich. Den Anfang nahm seine Reise in Kamerun. Seinem dortigen Zuhause, in dem er keine Zukunft für sich sah, wollte Paul entfliehen. Er entschied sich, nach Europa zu gehen, um dort ein besseres, ein freieres Leben führen zu können. Jakob Preuss, der eigentlich einen Film über Grenzschutzbehörden und Grenzkontrollen drehen wollte, beginnt sein Projekt nach dem Treffen mit Paul umzudenken. Denn Paul lässt ihn als Mensch und als Teil einer globalen Fragestellung - nämlich ob es ein Recht auf Migration geben soll - nicht mehr los. Als Paul nach einer dramatischen Überfahrt mit vielen Toten auf einem Schlauchboot die spanische Küste erreicht, entscheidet sich der Filmemacher endgültig, Pauls Weg in die Mitte seines Filmes zu stellen. Von nun an wird Jakob Paul begleiten, bei seinem weiteren strapaziösen Weg durch Europa, bis nach Berlin, wo auch Jakob zuhause ist. Der Filmemacher Jakob Preuss gibt seinem Film selbst den Untertitel „Tagebuch einer Begegnung“. Und exakt so fühlt sich der Betrachter, wenn er vom Film eingeladen wird, ein Teil der Reise zu sein. Denn nicht nur wird Pauls Weg genau dokumentiert. Der Zuschauer wird auch Zeuge der Reise des Filmemachers selbst, der im Laufe der fast zwei Jahre, in denen er Paul begleitet, viel reflektiert. Nicht nur über seine Beobachtungen und Erkenntnisse, sondern auch und vor allem über seine persönlichen Sorgen als Freund und Begleiter für Paul und als Dokumentarfilmemacher, der die Distanz zu seinem filmischen „Objekt“ wahren muss. Preuss befindet sich immer mehr im Zwiespalt. Was erwartet Paul von ihm? Darf er sich einmischen und Paul bei den Problemen, die auftauchen, helfen? Klug stellt Preuss sich selbst und dem Zuschauer wichtige Fragen und fügt hier dem Film eine wichtige zweite Ebene hinzu. ALS PAUL ÜBER DAS MEER KAM wird damit auch zu einem Film über das dokumentarische Arbeiten an sich. Paul selbst ist als Protagonist ein absoluter Glücksfall. Nie verliert er die Lebenslust, nie die Entschlossenheit, für seinen Traum von einem besseren Leben zu kämpfen. Mit einer großen Portion Charme und Offenheit geht er auf die Menschen um ihn herum zu. Doch ein Blick in seine Augen verrät die Härte seines Schicksals und die Strapazen seiner Reise, die er auch oftmals selbst sachlich und klug reflektiert und die in einzelnen Stationen mit geschickt eingewobenen Animationssequenzen nachempfunden wird. Dank seiner Geschichte geben Paul Nkamani und Jakob Preuss damit dem Zuschauer auch einen Einblick in ein hochaktuelles politisches Thema. Mit ALS PAUL ÜBER DAS MEER KAM ist Jakob Preuss eine filmische Reise gelungen, die dank ihres bewundernswerten und charismatischen Protagonisten und einer mitreißenden Dramaturgie von der ersten bis zur letzten Minute berührt, unterhält und zum Nachdenken anregt.
Jurybegründung:
In vielerlei Hinsicht stellt Jakob Preuss‘ ALS PAUL ÜBER DAS MEER KAM - TAGEBUCH EINER BEGEGNUNG einen absolut bemerkenswerten Dokumentarfilm dar. Zum einen gelingt es ihm, die Flucht seines Protagonisten von der Nordküste Afrikas bis Berlin über mehr als zwei Jahre hinweg zu begleiten. Darüber hinaus reflektiert der Film aber auch tiefgründig wie kaum ein zweiter, welch persönliche Verantwortung es bedeutet, einem Asylsuchenden dauerhaft helfend zur Seite zu stehen. Und dann werden ganz nebenbei auch noch erfolgreich Themen wie Integration, die Rolle der Medien und EU-Grenzpolitik erörtert. Dass all das am Ende funktioniert, hat zum einen damit zu tun, dass Jakob Preuss die Eigendynamik des scheinbar unaufhaltsam sich weiterentwickelnden Filmprojekts auf wunderbare Weise transparent macht und auch sein eigenes Eingreifen immer offen legt. Zum anderen ist in der Montage eine angesichts der Herausforderungen erstaunliche Balance gelungen zwischen Nähe und Distanz, zwischen Perspektive der Fluchtsuchenden und Perspektive der europäischen Exekutive, zwischen Subjektivität und Sachlichkeit. Und dann ist natürlich Paul selbst als Protagonist ein Glücksfall, weil er die Situation sehr klar zu reflektieren vermag und weil er sich mit teils unangepassten Haltungen auch deutlich der Anbiederung verweigert. Sicher, ein Glücksfall einerseits, dass Preuss und Paul sich gefunden haben. Andererseits aber ist diese Differenziertheit eben auch Ergebnis der mutigen Schnittentscheidung, Paul in der Montage nicht zum eindimensionalen Vorzeigemigranten zu formen. Diese Konsequenz, eine Balance zu schaffen, gelingt bis hin zu Nebenprotagonisten wie den Schleierfahndern oder einem spanischen Grenzpolizisten, die nicht einfach als schlichte Antagonisten fungieren, sondern natürliche Ambivalenzen vorweisen.
Erzählt ist das alles in einem erstaunlich lockeren, fast heiteren Ton mit einigen gelungenen Animationssequenzen sowie mit einer Kamera, die viel zur Balance zwischen Nähe und Distanz beiträgt. Gerade im Zusammenhang mit dem sensiblen Migrationsthema stellt der Film in den Augen der Jury ein Musterbeispiel differenzierten Erzählens dar.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)