Die junge Star trifft auf eine Gruppe von Zeitschriftenverkäufern. Jake, der vermeintliche Kopf, bietet Star an, sich ihnen anzuschließen. Und so lässt Star ihr altes Leben hinter sich, um zusammen mit der Gruppe von Jugendlichen quer durch das Land zu fahren. Das Geschäft der sogenannten Drückerkolonnen sorgt in den USA für Kontroversen. Die Anzahl an Meldungen über hierarchische Strukturgliederung nach Verkaufszahlen und Diebstähle durch die Verkäufer häufen sich. Regisseurin Andrea Arnold thematisiert all diese Dinge in ihrem Film, schafft es aber dennoch, eine romantische Darstellung aus der Sicht der Hauptdarstellerin zu inszenieren und den Zuschauer so auf einen einzigartigen Roadtrip zu entführen, unterstützt von dem passenden Soundtrack. Ob in dem engen Bus, mit dem die Jugendlichen durch das Land fahren oder bei den nächtlichen Partys - die Kamera bleibt immer und konsequent bis zum Ende dicht an Star. In Zusammenspiel mit der verwendeten Handkamera und dem dokumentarischen Stil wird dabei ständig ein ,,dabei sein“ suggeriert, bei dem der Zuschauer das komplette Geschehen hautnah erlebt. Besonders eindrucksvoll zum Einsatz kommt diese Ästhetik bei den Fahrten und der Interaktion zwischen den Jugendlichen. Was heraussticht, ist der Zusammenhalt und das Zusammenleben der Figuren. Zwar ziehen sie sich gegenseitig auf und regelmäßig müssen sich die zwei schlechtesten Verkäufer beweisen, gleichzeitig wird aber auch gezeigt, wie sich alle um einander kümmern, und wie viel Spaß sie miteinander haben. Dieses Gefühl kommt hauptsächlich durch die großartige Leistung der Schauspieler zustande. Viele Darsteller, allen voran die großartige Sasha Lane, sind Laien. Gerade deswegen wird die Authentizität, die ein Film wie dieser verlangt, perfekt erreicht. Gleichzeitig wird auch das Land porträtiert. So werden alle Gesellschaftsschichten gezeigt, von den Reichen bis zu den Armen und damit einhergehend auch die vielen Facetten der amerikanischen Bevölkerung. Eine weitere Stärke des Films ist das konstante Spiel mit den Erwartungen des Zuschauers. Immer wieder werden Situationen etabliert und aufgebaut, die aber nie in sentimentalen und überdramatisierten Szenen gipfeln. AMERICAN HONEY ist ein außergewöhnliches und intensives Porträt einer Gruppe Jugendlicher und gleichzeitig einem ganzen Land, verpackt als mitreißender und stimmungsvoller Roadtrip .
Jurybegründung:
„Wir fahren durch Amerika und feiern“ beschreibt der extrovertierte Jake seine Arbeit, als er die 18-jährige Star trifft und irgendwie stimmt das auch. AMERICAN HONEY ist ein 163-minütiger Trip durch die USA, ein unkonventionelles Roadmovie, das eine jugendliche Drückerkolonne begleitet.
Star ist die Hauptdarstellerin in Andrea Arnolds beinahe dokumentarischem Drama. Sie kümmert sich um ihre jüngeren Geschwister, weil ihre Eltern nicht dazu in der Lage sind. Als sie auf die wilde Horde der Magazinverkäufer trifft, entschließt sie sich, mit ihnen durch die USA zu reisen, um ahnungslosen Menschen Zeitschriften zu verkaufen. Immerhin ist das endlich eine Chance, aus dem versifften Wohnwagen ihres Vaters zu entkommen, der ihr Alltag und Zuhause war.
Regisseurin Andrea Arnold hat ein Stimmungsbild eingefangen, wie man es nur selten zu sehen bekommt. In der Diskussion zeigte sich die Jury beeindruckt von der unmittelbaren Nähe zu den jugendlichen Outcasts der Gesellschaft. Über die volle Länge scheint Arnolds Film nur vage einer Handlung zu folgen, aber die Regisseurin - und da ist sich die Jury sicher - weiß genau, wohin sie steuert. AMERICAN HONEY ist so roh und so rau, wie die zusammengewürfelte Gruppe der Verkäufer und auch so romantisch.
Sie alle haben Träume, wollen überleben und irgendwann einmal eine Familie haben, so auch Star und Jake. Zu aller erst aber sind sie jung und ungebunden und darum wirkt ihre Reise durch den Süden der USA auch manchmal ein bisschen wie eine Klassenfahrt, die dröhnenden Bässe amerikanischer Rapsongs inklusive.
Für ihren Film konnte Arnold auf einen erstaunlichen Cast zurückgreifen. Neben Sasha Lane als Star und Shia LaBeouf als Jake sind es vor allem Schauspielneulinge, die in AMERICAN HONEY wunderbar authentisch agieren können und das auch tun. Auf den ersten Blick wirken sie wie durchgeknallte, unter Dauerstrom stehende Junkys und letztlich haben sich Drücker ja auch auf ein hartes Leben eingelassen. Aber je länger die Jury diesen Kids auf ihrer Verkaufstour folgen durfte, desto menschlicher und vertrauter wurden sie ihr.
Andrea Arnold versteht es die Filmerfahrung ihrer Zuschauer zu nutzen. Aus der gesicherten Lebensperspektive der Jury erscheint die Welt der Drücker zunächst voller Hinterhalte und Gefahren. AMERICAN HONEY zeigt, dass nicht alles, was unbekannt ist, auch gefährlich sein muss. Wenn sich Star alleine auf den Weg macht um Männern Magazine zu verkaufen, dann wirkt das nur aus der Sicht eines satten europäischen Kinogängers mutig, aus der Sicht der lebenshungrigen Star aber eine naheliegende Entscheidung.
AMERICAN HONEY hat der Jury aber nicht nur Einblicke in das Leben der Jugendlichen, sondern auch Eindrücke vom Leben in den amerikanischen Südstaaten vermittelt. Ob religiöse Wohlhabende, einsame Ölarbeiter oder drogenabhängige Ghettobewohner: hinter jeder Tür, an die die Verkäufer treten, erwartet sie ein Lebensuniversum, dass sie sich erschließen müssen, um verkaufen zu können. Mit Star als sicherem Guide durch unbekanntes Terrain fühlte sich die Jury ganz dicht dran an den Wurzeln der amerikanischen Gesellschaft.
AMERICAN HONEY ist ein Film voller Leben, Erfahrungen und Sehnsüchte, mutig, stark, brillant gemacht und bis zum Schluss spannend. Ganz großes Kino, das das Prädikat „Besonders Wertvoll“ unbedingt verdient hat.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)