Die Tante will die Familie zusammenhalten, die ethnische Identität, die Kultur, die Werte und das Vermögen: Gerade im Ausland, in der Fremde, muss man unter sich bleiben, sich nicht von den Deutschen unterkriegen lassen. Schneiderei, Kiosk, Frisiersalon gehören dem Clan, das soll so bleiben; geheiratet wird nur innerhalb des Kulturkreises. Auch Belinda soll verkuppelt werden mit Nachbarn und Bekannten, so, wie ihr Cousin mit einer Landsfrau verheiratet wurde. Dass die einen anderen geliebt hatte, ist gleichgültig: Man muss Opfer bringen und dankbar sein. Schließlich tut die Tante alles für die Familie.
Belinda hat einen deutschen Freund, den sie der Familie verheimlicht. Sie ist zum Studium von zuhause weggezogen. Überhaupt spricht sie kaum ihre Heimatsprache. Mit sanftem Druck will die Tante das ändern
Während der enorm erfolgreiche Almanya die Integrationsdebatte in einer Comedy auflöste, die ihre Figuren und letztlich das Thema kaum ernst nahm dafür einen großen Wohlfühlfaktor transportierte , geht Samira Radsi mit ihrem Anduni Fremde Heimat eher den Weg des Dramas, nicht ohne komische Elemente freilich. Es geht dabei nicht um Türken, sondern um Armenier. Und fast mehr noch als das Thema ist die Machart des Films interessant: Radsi wirft den Zuschauer hinein in das Milieu, ohne weitere Erklärungen. Nur, dass ein orthodoxer Priester auftaucht, zeigt, dass es sich nicht um eine türkisch-muslimische community handelt. Die Erläuterung wird erst spät nachgereicht, gegenüber einem betrunkenen Partygast: Armenier haben, auch wenn sie aus der Türkei kommen, eine eigene Sprache, eigene Kultur, eigene Religion. Als Minderheit wurden sie von den Türken verdrückt, vor Jahrzehnten; jetzt fühlen sie sich noch immer als Underdogs, auch und gerade in Deutschland.
Dass Radsi die ethnische Identität zwar nicht verheimlicht, aber auch nicht überdeutlich herausstellt, ist bezeichnend: Es geht um das Fremdsein an sich. Belinda steht zwischen der armenischen und der deutschen Kultur, fühlt sich in beiden nicht ganz heimisch; die Armenier in Köln sind fremd in Deutschland und haben auch in Anatolien keine Heimat mehr. Belindas Vater und ihr Onkel flüchten sich in Westernfilme, bei John Wayne fühlen sie sich heimisch; ihre Mutter wartet ihr Leben lang schon, dass es besser wird. Die Tante will die armenische Identität gegen jede moderne Strömung auch in der Fremde retten sie ist nicht einfach der böse Antagonist, auch sie hat Recht in dem, was sie denkt und fühlt. Manuel, Belindas deutscher Freund (gespielt von Florian Lucas), kann sich nur begrenzt einfühlen in Belindas emotionales Chaos nach dem Tod ihres Vaters, wenn sie sich mit tausend Anträgen auf Witwenrente für ihre Mutter herumschlagen muss, wenn sie von der Tante in Beschlag genommen wird, wenn sie merkt, dass sie sich selbst finden muss in ihrer Heimatlosigkeit.
Radsi erzählt das nicht tragisch, aber emotional; auch mit Witz wobei sie den albernen Gag bei Peter Millowitschs Gastauftritt als Klischeekölner auch hätte weglassen können. Am Ende von Belindas Reise zum eigenen Ich steht die Reise nach Armenien, in die Heimat der Vorfahren. Begleitet von ihrem Onkel (den seltsamerweise der deutsche Tilo Prückner spielt) und der Tante, die mit harter Hand ihre Liebe verteilt, kehrt sie heim dahin, wo einmal Heimat war. Und es kommt zu einem etwas zu mythischen, zu irrealen Ende; bei dem allerdings völlig richtig ist, alles offen zu lassen. Auch und gerade die Zukunft von Belinda, die sich nähergekommen ist, ohne irgendwo so richtig angelangt zu sein.
Fazit: Ein Film über das Fremdsein der Armenier in Deutschland, über das Zu-Sich-Kommen und über das Finden der eigenen Identität.