Anlässlich der Realverfilmung des Disney-Klassikers „Arielle“ haben wir Lin-Manuel Miranda zum Interview getroffen. Was er uns über die Neuverfilmung und die Magie von Disney-Songs verraten hat, lest ihr hier.
Endlich ist es soweit und „Arielle, die Meerjungfrau“ ist ab sofort im Stream bei Disney+ zu sehen – dieses Mal aber nicht als Zeichentrick, sondern als Realfilm. Der besondere Zauber des Klassikers liegt, wie so oft bei Disney, in den unverwechselbaren Songs. Glücklicherweise konnte für die Neuverfilmung Original-Komponist Alan Menken verpflichtet werden. Unterstützung bekommt er dieses Mal von Tony-Award-Gewinner Lin-Manuel Miranda („In the Heights“, „Hamilton“), welcher ebenfalls als Produzent fungiert. Wir durften das musikalische Multitalent zum Interview treffen.
kino.de: Fangen wir mit einer kleinen Zeitreise an. Kannst du dich noch an das erste Mal erinnern, als du das Original gesehen hast?
LMM: Als wäre es gestern gewesen! Ich war mit meinem Freund Alex und seinen Eltern zum Spielen verabredet, sie haben uns in den Film mitgenommen. Und ich weiß noch, wie mir ein Schauer über den Rücken lief, als „Unter dem Meer“ begann. Für uns ist das jetzt ein altes Lied. Aber es fühlte sich so modern an, verglichen mit den Disney-Musicals, mit denen ich aufgewachsen war – wie „Cinderella“ und „Schneewittchen“ – das war altmodische Musik in meinen Ohren. Und plötzlich ist da diese Calypso-Nummer unter Wasser. Und ich erinnere mich, dass ich mich schwerelos fühlte im Kino. Das war wirklich der erste aufregende Musical-Moment, den ich erlebt habe.
kino.de: War das dein allererster Disney-Film oder vielleicht der erste, der dich wirklich gefesselt hat?
LLM: Nein, ich bin mir sicher, dass ich vorher schon „Oliver & Co“ gesehen habe. Und ich glaube mich zu erinnern, dass wir „Bambi“ und „Fantasia“ auf Video hatten. Aber ja, es war wahrscheinlich das erste Mal, dass ich einen neuen Disney-Film gesehen habe, denn in den 1980er-Jahren wurden nicht so viele produziert. Man muss bedenken, dass das [„Arielle“, Anm. d. R.] wirklich ein großer Erfolg war und das nächste goldene Zeitalter einläutete. Und dann „Die Schöne und das Biest“, „Aladdin“, „König der Löwen“ – diese ganze Reihe von Musicals. Aber „Arielle, die Meerjungfrau“, das begann alles dank Howard Ashman, Alan Menken, Ron [Clements] und John [Musker], den erstaunlichen Filmemachern des Originals.
kino.de: Wie fühlt es sich an, jetzt Teil der Neuverfilmung zu sein?
LLM: Ich schätze das Original so sehr, dass ich wahrscheinlich am nervösesten von allen war. Wenn überhaupt, dann bin ich sozusagen als Vorsitzender des „Don’t fuck it up“-Komitees an Bord gekommen. Ich habe meine Rolle wirklich als Sprecher der Superfans des Originals gesehen. Und ich erinnere mich, dass ich sagte: Wenn es neue Momente gibt, die Musik brauchen, wäre es mir eine Ehre, Texte dafür zu schreiben. Aber wenn es keine gibt, werde ich es nicht tun. Denn ich will das nicht aufhalten. Und ich war wirklich froh, dass es in David Magees wunderbarem Drehbuch diese Momente gab, in denen die Musik die Handlung beschleunigt und uns wirklich an Orte bringen konnte, die im Original vorkamen.
kino.de: Ich kann mir vorstellen dass es sehr schwierig ist, nötige Anpassungen vorzunehmen und trotzdem das Erbe des Originals zu bewahren. Aber wie du bereits erklärst hast, bist du da wohl ein guter Ansprechpartner?
LLM: Nun, das ist eigentlich nicht mein Job. Aber ich war derjenige, der die Hand hoch hielt und sagte: ‚Weißt du, das ist meine Lieblingsstelle hier. Und das ist meine zukünftige Rolle.‘ Ich bin quasi als Kind, dessen Leben sich durch das Original verändert hat an das Projekt herangegangen. Aber Rob Marshall und sein Partner John [DeLuca] sind die Sache mit sehr viel Respekt für das Original angegangen, denn sie lieben es ebenso wie ich. Es war also nicht schwer, in diesem Raum zu sein. Es gab keine Kämpfe, weil wir alle aus der gleichen Zuneigung zum Original kamen, um auf dem Weg dorthin [zur Neuverfilmung, Anm. d. R.] neue Momente zu entdecken, während wir die Geschichte mit Menschen in realem Zeit-und-Raum-Gefüge erzählen.
kino.de: Was fasziniert dich besonders an der Geschichte von „Arielle“? Fällt dir da etwas Bestimmtes ein?
LLM: Nun ja, ich war damals neun Jahre alt und es ist schwierig, das aus der damaligen Perspektive zu beantworten. Aber ich kann sagen, warum ich „Sweeney Todd“ und die brillante Musik von Stephen Sondheim liebe, und warum ich Rob Marshalls „Chicago“ sowie seine brillanten Bearbeitung liebe. „Die kleine Meerjungfrau“ gelangte in meinen Blutkreislauf, bevor ich irgendetwas Kritisches hatte, ich liebte es einfach. Ich wollte, dass sie alles bekommt, was sie will. Ich wollte, dass sie ein Teil dieser Welt ist. Ich wollte, dass Sebastian nicht von Triton getötet wird. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals so bei einem Film mitgefiebert habe, bevor ich ihn gesehen habe. Ich denke, sie haben es einfach wunderbar gemeistert, sich in ihren Kopf und ihr Herz hineinzuversetzen und ihr ein Happy End zu verschaffen. Ich denke, die größte Überraschung für mich und die Arbeit an diesem Material war – abgesehen davon, dass ich von Alan Menken eingeschüchtert war, weil er einer meiner Helden ist – dass, sobald ich den Ball ins Rollen gebracht hatte und wir anfingen zu schreiben, es gar nicht schwer war, etwas für diese Rollen zu texten. Sie haben 30 Jahre lang in mir gelebt. Ich weiß, wie Sebastian klingt, ich weiß, wie Arielle klingt. Das Interessante war also, dass die Figuren, sobald wir mit der Arbeit angefangen hatten, so viel mehr zu sagen hatten. Das zu entdecken war eine wahre Freude.
kino.de: Es ist vielleicht schwierig in Worte zu fassen, aber was macht Disney Songs so magisch und mitreißend?
LMM: Ich denke, ich kann darauf praktische Antworten geben. Die erste ist, dass sie einfach unglaubliche Songwriter eingestellt haben, und zwar von Anfang an. Von den Sherman-Brüdern, die die unglaubliche Musik für „Mary Poppins“ und unzählige andere Animationsfilme geschrieben haben und zu den besten Songwritern überhaupt gehören, bis hin zu Alan Menken und Howard Ashman, die wirklich neu definiert haben, was ein Disney-Musical sein kann. Ihnen ist es wirklich gelungen, die Techniken des Musiktheaters auf Animationsfilme zu übertragen – und zwar auf eine Weise, die genauso innovativ war wie alles andere. Und heute mit Bobby und Kristen Anderson Lopez, die zu unseren besten Theaterautor*innen hier in New York gehören, und „Die Eisköningin“ und „Coco“ geschrieben haben. Oh, sie sind einfach so gut darin. Und so fühle ich mich sehr glücklich, in diesem sehr kleinen Club zu sein, in dem auch Stephen Schwartz, Alan Menken und eine Menge anderer großartiger Songwriter sind. Aber „Arielle“ hat die Messlatte für Lieder, die sowohl hymnisch als auch unterhaltsam sind, wirklich hoch gelegt. Weißt du, es ist nicht einfach so, dass Arielle sagt: ‚Was ist ein Feuer? Und warum – wie lautet das Wort? – brennt es?‘ (singt im Original: ‚What’s a fire and why does it – what’s the word? – burn‘), das ist jemand, der versucht, die richtigen Worte zu finden, um zu beschreiben, was sie fühlt. Und das ist für mich der eigentliche Standard. Es geht nicht darum, ein großes, ausladendes Ding zu schreiben. Ich weiß, welche Akkorde ich spielen muss, damit du dich wohlfühlst. Es geht darum, die Gefühle der Figuren zu vermitteln. Das war Howards Gabe bei „Arielle“. Und ich glaube, das ist etwas, was wir alle, die wir im Schatten von Ashmans und Menkens Arbeit tätig sind, immer wieder versuchen müssen.
kino.de: Da sind wir direkt bei meiner nächsten Frage. Du hast mit Alan Menken an neuen Songs gearbeitet. Kannst du schon verraten, worum es in den neuen Liedern geht?
LLM: Na ja, ich bin sicher, Alan kann an dieser Stelle mehr erzählen, als ich. Aber ich kann dir sagen, dass eines der aufregendsten Dinge war, einen neuen Song für Arielle zu schreiben. In einem großen Teil des Originals bekommen wir nichts von Arielle zu hören, was ein Verbrechen ist, wenn man nun eine der größten Sängerinnen der Welt besetzt hat, und das ist Halle Bailey. Es ist wirklich ein Verbrechen, sie so lange nicht zu hören. Also haben wir einen Song geschrieben, der in ihrem Kopf spielt und eine Art Antwort auf die Fragen in „In deiner Welt“ ist. Wir sehen, wie sie zum ersten Mal das Feuer erlebt, wir sehen, wie sie zum ersten Mal die Schwerkraft erlebt – der Song heißt „For the first time“. Und es ist wirklich eine Art Gedankengang in ihrem Kopf, auch wenn sie physisch nicht sprechen kann. Wir hören ihre musikalische Erfahrung mit all diesen neuen Elementen, mit der Schwerkraft, mit den Beinen, mit der Art und Weise, wie sie die Welt an Land sieht und wie sie das Leben unter dem Meer betrachtet, und warum wir so viel Kleidung tragen. Es ist ihre Fantasievorstellung aus ihrem ersten Lied, die mit der Realität an Land kollidiert. Es war also wirklich aufregend, das zu schreiben.
kino.de: Du hast bereits von euer neuen Arielle gesprochen. Wie bist du persönlich auf Halle Bailey aufmerksam geworden? Kanntest du ihre Musik schon vor ihrer Besetzung?
LLM: Als Rob mir vom Casting erzählte, war ich sehr aufgeregt, weil ich Chloe x Halle kenne und ihre Alben haben. Ich finde, sie haben einige der unglaublichsten Harmonien in der modernen Musik. Und ich war wirklich aufgeregt, als ich dann Halles Probeaufnahmen sah und erkannte, was für eine wunderbare Schauspielerin sie ist, die noch dazu eine der besten Stimmen hat. Und was sie uns als Arielle zeigt, das ist nicht berechnend und es ist nicht nur ein Augenzwinkern oder Nicken, sondern sie ist einfach Arielle. Sie verkörpert das einfach so wunderbar. Als Fan ihrer Musik war ich sehr gespannt darauf, sie die Lieder singen zu hören, die ich liebe. Und ich bin wirklich überwältigt von ihrer Leistung.
kino.de: Du hast immer betont, wie perfekt ihre Besetzung ist, dennoch gab es auch schon negative Reaktionen auf das Casting. Hast du noch eine besondere Botschaft an Fans des Originals? Warum sollten sie die Neuverfilmung trotzdem im Kino sehen?
LLM: Um es klar zu sagen: Als wir Halle zum ersten Mal [als Arielle] gezeigt haben, waren 95 % der Reaktionen von Leuten, die enthusiastisch ausgeflippt sind und 5 % waren negative Reaktionen, weil es den Leuten Klicks für ihre Artikel einbringt. Aber das ist nicht einmal annähernd eine beachtenswerte Minderheit, geschweige denn eine Mehrheit der Reaktionen. Ich gebe diesem Narrativ nicht gerne Sauerstoff, weil ich glaube, dass es nur eine sehr kleine Anzahl von Leuten ausmacht – und die haben sie nicht singen gehört und wissen nicht, was sie drauf hat. Wenn du ein Fan der originalen „Arielle“ warst, dann sage ich ‚Hallo, ich bin einer von euch. Deshalb bin ich ja hier.‘ Und ich glaube, dass die Fans das Gefühl haben werden, dass dieser Film das Original ehrt, dass es in unseren Herzen weiterlebt und dabei gleichzeitig neue Momente sowie neue Schauplätze kreiert werden konnten.
kino.de: Ich habe gerade gesehen, dass Josh Gad vor kurzem einen Fan-Wunsch zu einem „Glöckner von Notre Dame“-Remake geteilt hat. Gibt es noch einen anderen Disney-Film, den du gerne neu verfilmt sehen würdest und an dem du gern beteiligt wärst?
LLM: Nun, ich meine, „Der Glöckner [von Notre Dame]“ hat eine großartige Filmmusik. Und ehrlich gesagt gab es ein erstaunliches Bühnen-Musical, inszeniert von – wurde das nicht in Deutschland aufgeführt? Ich glaube schon und ich bin mir sicher, ihr hattet es vor uns, denn es kam nie an den Broadway. Aber Stephen Schwartz und Alan Menken haben neue Songs geschrieben, die unglaublich sind, man kann sie streamen. Ich würde mir auf jeden Fall ein Ticket für eine Live-Action-Version kaufen, denn die Musik ist unglaublich. Ich meine, die Art von Liedern, die Quasi Modo singt, sind gleichauf mit „In deiner Welt“ – es ist eine wirklich tolle Melodie. Ich muss kein Teil davon sein, denn Stephen Schwartz ist immer noch der Hammer und er schreibt ständig neue Songs. Aber ja, ich würde definitiv ein Ticket kaufen.
kino.de: Eine letzte Frage zum Abschluss. Du wirst bald in der neuen „Percy Jackson“-Serie zu sehen sein. Kannst du uns einen kleinen Einblick geben, worauf sich deine Fans in Zukunft noch freuen können?
LLM: Nun, ich konzentriere mich im Moment wirklich auf das Schreiben. Ich sage nur dann zu Schauspielrollen zu, wenn ich glaube, dass ich dadurch in den Augen meiner Kinder für eine Sekunde cool aussehe. Das ist so ziemlich das Einzige, was mich derzeit bei der Wahl meiner Rollen leitet. Wenn es eine tolle Erfahrung wäre, meine Kinder zum Set zu bringen, dann sage ich ja. Und wenn nicht, dann sage ich nein. „Percy Jackson“ ist einer der Lieblingsfilme bei uns zu Hause. Wir alle lieben die Bücher. Ich habe die Bücher gelesen, bevor ich Kinder hatte, und ich bin froh, dass meine Kinder die griechische Mythologie genauso lieben. Bei diesem Projekt war es ein Kinderspiel, ja zu sagen. Es war wirklich aufregend, Rick Riordan zu treffen. An den wenigen Tagen, die ich am Set verbracht habe, hatte ich aber noch den Verlust von Lance Reddick zu verkraften, der Zeus darstellt und seine Szenen gefilmt hat, bevor er vergangene Woche verstorben ist*. Ich habe ich mich sehr darauf gefreut, mit ihm zu arbeiten, weil er einer meiner Lieblingsschauspieler ist. Aber was ich verraten kann, ist, dass sie ähnlich wie bei „Arielle“ den Autor an Bord haben und sich die Serie Zeit nimmt um wirklich alles in den Büchern zu würdigen, was die Leute an den Büchern lieben. Es ist eine wirklich reichhaltige Mythologie und die Serie geht auf all das ein.
*das Interview fand im März 2023 statt
Die Realverfilmung von „Arielle“ war ab Mai in den deutschen Kinos zu sehen und ist mittlerweile auch im Stream bei Disney+ verfügbar. Wer noch nicht eingeschaltet hat, kann sich womöglich vom Trailer überzeugen lassen: