Welche Filme der letzten Jahre haben eigentlich Klassiker-Potenzial? Ab und zu geht man ja mal aus dem Kino und hat so ein Bauchgefühl, dass das, was man gerade im dunklen Saal gesehen hat, besser ist als vieles, was dort sonst so läuft. Wir teilen hier unsere Auswahl von 19 modernen Klassikern und haben den Schnitt dabei im Jahr 2010 angesetzt, um euch auch wirklich Material aus den letzten Jahren zu liefern. Vielleicht sind ja auch eure neuen Lieblingsfilme dabei…
„La La Land“ (2016)
Den Oscar für den besten Film des Jahres konnte „La La Land“ zwar nicht absahnen, doch das tut seinem Status als moderner Klassiker keinen Abbruch. Nicht nur war der Film ein Publikumserfolg, wie er im Buche steht, er brachte gleich auch noch das bisher etwas angestaubte Genre der knallbunten Musical-Romanze zurück. Wer jetzt leichte Unterhaltung erwartet, wird allerdings nur teilweise belohnt, denn der Film warten außerdem mit zu Tränen rührendem Drama und enormer emotionaler Durchschlagskraft auf. Kurz gesagt: „La La Land“ lässt sich nur schwer in irgendwelche Schubladen zwängen, was ihn zu einem modernen Klassiker par excellence macht.
„Drive“ (2011)
„Drive“-Regisseur Nicolas Winding Refn ist sonst für seine gewalttätigen, verstörenden Filme wie „The Neon Demon“ oder „Only God Forgives“ bekannt. Mit „Drive“ lieferte er aber einen zugänglicheren Streifen ab, der deshalb nicht weniger anspruchsvoll ist und mal als Gangster-Film, mal als Liebesdrama und dann wieder als künstlerische Inszenierung von Gewalt gesehen werden kann. Die Hauptrolle übernahm Ryan Gosling, der vorher vor allem für seine Rollen in romantischen Filmen bekannt war. Seine Besetzung ist allerdings perfekt, denn in seinem Driver verbindet sich Sensibilität mit Gewalt. Regisseur Refn nennt „Drive“ einen Superhelden-Film, was nicht auf den ersten und wohl auch nicht auf den zweiten Blick deutlich wird, aber bei genauerem Hinsehen Sinn ergibt. Seine Eigenwilligkeit und eindrucksvolle Bildsprache machen ihn definitiv schon jetzt zum Klassiker.
„Arrival“ (2016)
In „Arrival“ geht es um Verständigung mit Aliens, die vollkommen anders sind als wir Menschen. Hier wird weder das sonst gerne verwendete Klischee der gefährlichen Außerirdischen, noch jenes der von den engstirnigen Menschen unterdrückten Aliens bedient. Letzteres spielt zwar eine Rolle, doch bemüht sich der Film, neue Wege einzuschlagen, zu zeigen, was Verständigung bewirken kann und dass man dem Anderen nicht zwangsläufig mit Gewalt begegnen muss. Im Film geht es schlicht darum, dass Außerirdische auf der Erde landen und wie die Menschheit damit umgeht. Der Film setzt sich mit selten infrage gestellten Aspekten unserer Existenz auseinander: Unsere Art, zu kommunizieren und Zeit wahrzunehmen zum Beispiel. Schon jetzt ein Klassiker.
„Alles steht Kopf“ (2015)
Von der Kommunikation mit Außerirdischen nun zur inneren Gefühlswelt eines Teenagers. Klassiker-Status hat dieser Film unserer Meinung nach jetzt schon erreicht, einfach weil er sich mit einem Thema auseinandersetzt, das in Kinder- und Jugendfilmen selten angesprochen wird. Es geht nämlich um den Umgang mit Emotionen, negativen, wie positiven. Darum, dass man manchmal auch loslassen muss, dass es normal ist, traurig oder ängstlich zu sein und dass es nicht sinnvoll ist, negative Gefühle zu unterdrücken. Ein perfekter Film.
„Mad Max: Fury Road“ (2015)
Der neueste Teil der „Mad Max“-Reihe ist schon drei Jahre nach seinem Erscheinen ein Klassiker. Seit langem gab es keinen Film, der Action interessanter, spannender und apokalyptischer inszeniert hätte. Anstatt nur auf computeranimierte Spezialeffekte zu setzen, bleibt dieser Film real ausgeführten Stunts treu und belohnt Zuschauer mit einem visuellen Erlebnis der besonderen Art. Dazu kommt noch, dass Charlize Theron und Tom Hardy ein vollkommen gleichberechtigtes Duo darstellen, was man leider nicht in vielen Filmen antrifft. Die Apokalypse war nie cooler.
„Inception“ (2010)
Regisseur Christopher Nolan hat das neue Jahrtausend mit eindrucksvollen Filmen geprägt: Von „Memento“ (2000), über „The Dark Knight“ (2008), bis hin zu „Interstellar“ (2014) hätten wir einige seiner Filme hier aufzählen können. Allerdings haben wir uns für „Inception“ entschieden. Denn hier verbindet sich actionreicher Thriller mit philosophischen Existenzfragen. Über die Idee, dass Menschen gemeinsam träumen können, die Darstellung von Traumwelten und deren Architektur samt unterbewussten Ängsten und Wünschen – alles lässt sich hier finden. Man kann den Film sogar als Metapher für das Filmemachen und das Filmerlebnis an sich lesen – das Kino als Traumfabrik schlechthin. Weil jeder diesem Meisterwerk etwas abgewinnen kann, sind wir der Meinung, dass „Inception“ auch ein moderner Klassiker ist.
„Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ (2017)
Regisseur Martin McDonagh („Brügge sehen… und sterben“) hat in „Three Billboards“ einen Kernpunkt des Westerns auf den Kopf gestellt. Hier setzt eine trauernde Mutter alles daran, den gewaltsamen Tod ihrer Tochter aufzuklären. In bester Western-Manier nimmt sie das Gesetz selbst in die Hand und setzt sich gegen eine ganze Kleinstadt durch. Auf den Kopf gestellt ist hier der Umstand, dass es im Western meist der männliche Held ist, der von den Behörden Gerechtigkeit fordert und sie am Ende nach den eigenen Regeln schafft. Der Mix aus Gesellschaftskritik und schwarzer Komödie macht „Three Billboards“ schon jetzt zum Klassiker.
„The Master“ (2012)
Paul Thomas Anderson ist bekannt für Filme wie „Boogie Nights“ (1997) und „There Will Be Blood“ (2007). „The Master“ zeigt Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman und Amy Adams in den Hauptrollen. Hoffman spielt den Anführer einer Sekte („The Cause“, im Deutschen „Die Sache“), dem sich der traumatisierte Veteran Freddie (Joaquin Phoenix) anschließt. Es ist schwierig, zu sagen, worum es hier wirklich geht. Im Mittelpunkt steht die Beziehung der beiden Männer, die als Metapher für die amerikanische Nachkriegsgesellschaft, den Aufstieg von Scientology, als Liebesgeschichte oder auch einfach als Darstellung verschiedener Schauspielstile gelesen werden kann. Es ist gerade diese Komplexität, die uns zum Nachdenken anregt und den Film zu etwas Besonderem macht. Auch das zeichnet einen modernen Klassiker aus.
„The Avengers“ (2012)
Der erste Film über das vereinte Superhelden-Team überraschte nicht nur Comic-Fans, sondern auch Kritiker weltweit und setzte damit einen neuen Standard für Produktionen aus dem Hause Marvel. Vor allem das Drehbuch und die Struktur des Films erhielten Lob: Regisseur Joss Whedon gelang es hier nämlich, die Menschlichkeit der Superhelden in den Vordergrund zu stellen und die doch größere Zahl der Helden auf elegante Art einzubinden.
„12 Years A Slave“ (2013)
Auch wenn Steve McQueens Oscar-Gewinner alles andere als ein Wohlfühl-Film ist, handelt es sich hier trotzdem um einen Film, der sowohl von Kritikern als auch vom Publikum gelobt wurde. Er zeichnet ein genau inszeniertes Bild der Grausamkeit von Rassismus und Sklaverei in den Südstaaten der USA im 19. Jahrhundert. Sein Mix aus verstörenden und dennoch ästhetischen Bildern brennt sich ins Gedächtnis eines jeden Zuschauers und macht den Film zum Klassiker.
„The Wolf of Wall Street“ (2013)
„GoodFellas“-Regisseur Martin Scorsese legt hier einen Gangster-Film der etwas anderen Art vor. Anstatt die Evolution des Gangsters zum Geschäftsmann darzustellen, macht er hier kurzerhand den Geschäftsmann zum Gangster und inszeniert so eine Kapitalismus-Kritik, die es in sich hat. Dazu liefert Leonardo DiCaprio eine unglaubliche Show als korrupter Börsenhai und Jonah Hill („21 Jump Street“) ist voll in seinem Element. Auch wenn der satirische Ansatz des Films teilweise missverstanden wurde (der Vorwurf einer Verherrlichung von Geiz und Egoismus kam auf), ist er mit seinem ungewöhnlichen Ansatz doch ein moderner Klassiker.
„Boyhood“ (2014)
Auch wenn es sich hier um einen Spielfilm handelt, schlug Regisseur Richard Linklater („Before Sunrise“) einen ganz neuen Weg ein und entschied sich dafür, den Kinderdarsteller Ella Coltrane real altern zu lassen. Das bedeutet, dass dieser Film über Jahre hinweg gedreht wurde und somit das unglaublich realistische Bild eines jungen Lebens zeichnet. Auch wenn hier inhaltlich nicht unbedingt Revolutionäres geschieht, so ist doch die grundlegende Idee und ihre Durchsetzung genug, um den Film schon jetzt zu einem Klassiker zu machen.
„Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“ (2014)
Im selben Jahr wie „Boyhood“ erschien auch „Birdman“ von Regisseur Alejandro G. Iñárritu. Er wurde mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet und bewegt sich auf dem schmalen Grad zwischen dunkler Komödie und Drama. Michael Keaton („Batman“) verhalf er gewissermaßen zum erneuten Durchbruch, denn seine Leistung als ausgebrannter Schauspieler kann nur als grandios beschrieben werden. Neben der virtuosen Kameraarbeit ist die beißende Kritik an der Theater- und Filmszene eine willkommene Abwechslung auf dem großen Bildschirm, womit der Film alles hat, was ein Klassiker braucht.
„Spotlight“ (2015)
Auch der Oscar-Gewinner des folgenden Jahres sah Schauspieler Michael Keaton in einer Hauptrolle, wobei sich „Spotlight“ vor allem durch sein unglaubliches Ensemble auszeichnet: Mark Ruffalo („The Avengers“), Rachel McAdams („Wie ein einziger Tag“) und Liev Schreiber („X-Men Origins: Wolverine“) liefern gemeinsam eine unglaubliche Leistung. Thematisch dreht sich der Film um die Aufdeckung der tausenden Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche, was filmisch als ein Journalismus-Thriller in der Tradition von „Die Unbestechlichen“ inszeniert ist. Als Zuschauer erhält man hier einen umfassenden Einblick in den Missbrauchsskandal, seine Mechanismen und Folgen, ohne dabei gelangweilt zu werden. Ein moderner Klassiker!
„Tangerine L.A.“ (2015)
„Tangerine L.A.“ ist eine Besonderheit im doppelten Sinne. Erstens handelt es sich hier um den ersten Film, der ausschließlich mit einem iPhone gedreht wurde (wenn man dafür auch eine besondere Kamera-Linse verwendete), was ein für alle mal bewies, dass gutes Kino nicht teuer produziert sein muss. Zweitens stellt „Tangerine“ nicht nur zwei transsexuelle Protagonistinnen dar, sondern hat (was leider die wenigsten Filme tun) auch entsprechend zwei transsexuelle Hauptdarstellerinnen (Kitana Kiki Rodriguez und Maya Taylor) gefunden. Regisseur Sean Baker wird immer wieder als einer der großen Humanisten des Gegenwartsfilms beschrieben, was sich auch in „Tangerine“ zeigt. Sozialkritik vermischt sich hier mit warmherziger Komödie und bringt ein sonst eher vernachlässigtes Thema so einem breiten Publikum nahe. Dadurch zeichnet sich ein Klassiker aus, wie wir finden!
„45 Years“ (2015)
Auch dieser Film ist schon heute ein Klassiker. Hier ragen vor allem die Schauspielleistungen der Hauptdarsteller, Charlotte Rampling und Tom Courtenay, hervor. Die Handlung erscheint zunächst recht simpel: Ein Ehepaar bereitet sich auf seinen 45. Hochzeitstag vor, als ein Brief auftaucht, der ihre Beziehung auf die Probe setzt. Doch „45 Years“ ist viel mehr als sein Plot, hier geht es um Beziehungen im Allgemeinen, im Hier und Jetzt unserer modernen Gesellschaft. Doch darüber hinaus kann der Film auch als eine Auseinandersetzung mit der Langlebigkeit des Vergangenen im Gegensatz zur Zerbrechlichkeit der Gegenwart gelesen werden. Außerdem steht hier nicht die sonst so gerne abgebildete junge Liebe vor der Kamera, sondern ein älteres Ehepaar.
„Blade Runner 2049“ (2017)
Auf den Schultern von „Blade Runner 2049“ lastete der enorme Kult-Status von Ridley Scotts Original. Auch wenn und gerade weil „Blade Runner 2049“ keine Neuverfilmung des Science-Fiction-Klassikers, sondern ein Nachfolger ist, waren die Erwartungen sehr hoch. Gerade um das Ende von „Blade Runner“ rankten sich ja so einige Gerüchte und Fans erwarteten nun eine zufriedenstellende Antwort auf ihre lang gehegten Fragen. Trotz dieser Last lieferte Regisseur Dennis Villeneuve einen unglaublichen Film, der einen Mix aus Arthouse und Blockbuster bietet, der im Kino selten so zu sehen ist. Kameraarbeit und Bildgestaltung sind so herausragend wie in kaum einem zweiten Film. Auch der zweite „Blade Runner“-Film ist also schon ein Jahr nach seinem Erscheinen ein Klassiker.
„Carol“ (2015)
Cate Blanchett („Ocean’s 8“) und Rooney Mara („Verblendung“) spielen die Hauptrollen in diesem tiefgreifenden Drama, das uns einen Weihnachtsfilm der etwas anderen Art beschert. Nicht, dass man „Carol“ nicht auch jenseits der Feiertage schauen kann, doch er setzt nun mal zur Weihnachtszeit an und passt damit perfekt in diese Jahreszeit. Von einigen als weibliches Pendant zu „Brokeback Mountain“ (2005) bezeichnet, widmet sich der Film der Liebesgeschichte zwischen Carol (Cate Blanchett) und Therese (Rooney Mara) in den USA der 1950er Jahre, zu einer Zeit also, als gleichgeschlechtliche Beziehungen alles andere als akzeptiert waren. Die Mischung aus Drama, Kostümfilm und Schauspielkunst machen „Carol“ zu einem besonderen Erlebnis und jetzt schon zum Klassiker.
„A Girl Walks Home Alone At Night“ (2014)
Und zu guter Letzt noch ein moderner Klassiker der etwas anderen Art. Denn bei „A Girl Walks Home Alone At Night“ handelt es sich tatsächlich um einen iranischen Mix aus Vampirfilm und Western. Man kann diesen als Gesellschaftskritik, als Stimme für den Feminismus, aber auch einfach als Unterhaltung genießen. In Schwarz-Weiß gehalten, kommt der Film auch visuell klassisch daher. Wenn ihr jetzt misstrauisch seid, wartet nur, bis die Vampirin in ihren Tschador gehüllt Skateboard fährt – diese Szene dürfte auch die härtesten Kritiker überzeugen.