Am Anfang sitzt da ein Mann, der von sich behauptet, süchtig zu sein. Der Mann ist niemand anderes als Udo Kier. Und die Sucht, zu der er sich bekennt, ist die Sucht nach Kunst. Offen redet er davon, dass er Kunst zum Leben einfach brauche. Sie zu sammeln, sie zu betrachten, sie zu besuchen. Und genau das macht Udo Kier: Er nimmt den Zuschauer bei der Hand und führt ihn zu „seiner“ Kunst. Kier besucht das Frankfurter Städel, das Kunstmuseum in Bonn, das Centre Pompidou in Paris. Und in jeder Stadt, an jedem Ort, trifft er Freunde von ihm. Künstler, Weggefährten, Idole, Bewunderer. Mit ihnen redet Kier über Kunst und was sie kann. In Hermann Vaskes Film ist Udo Kier sowohl Betrachter als auch Porträtierter. Denn, und das wird in jeder Minute deutlich, auch er ist Teil der Kunst. Rezitationen von Gedichten, spontane Malsessions mit Sauerbraten oder stille zeitungslesende Sit-Ins mit Filmemacher Lars von Trier - immer erkennt man ihn als Kunstfigur, die auch als solche wahrgenommen werden möchte und in ihrer Künstlichkeit und hinter dessen Fassade trotzdem unglaublich authentisch und konsequent agiert. Nach den unterhaltsamen 82 Minuten hat der Zuschauer nicht nur viel über zeitgenössische Kunst erfahren. Er hat auch ein lebendes Kunstwerk genießen dürfen. Und das ist nicht nur in kultureller Hinsicht ein absoluter Gewinn.
Jurybegründung:
Udo Kier begibt sich auf einen Trip durch Europa zu verschiedenen Museen und Galerien, begegnet Künstlern, Kuratoren. Mitstreiter, mit denen er über viele Jahre verbunden ist. Meist inszenierte Gespräche über Kunst und Kunstwerke, an denen der Mime manches Mal direkt beteiligt war, strukturieren die Aufenthalte dieser Tour d’art. Ähnlich wie in seinen Spielfilmen, spielt dabei sein ikonenhaftes Antlitz eine wesentliche Rolle. Seine Schauspielkarriere allerdings bleibt dabei fast gänzlich im Hintergrund, es geht um den Kunstbesessenen, den Mitwirkenden. Gleich zu Beginn sinniert er selbstdarstellerisch: Sucht, Gier, Besitzen, Abhängigkeit, Kunst, Arteholic. Zwischen den Etappen geht Kier in der Inszenierung seines Kunst-Rausches auf, ein ‚Nimmersatt‘, der geradewegs auf seinen Zusammenbruch im letzten Abschnitt im Hamburger Bahnhof in Berlin zusteuert.
Dennoch folgen wir keiner Erzählung, aber eben auch keiner klassischen Dokumentation. Vielmehr wird der Selbstinszenierung des Egozentrikers Udo Kier auf originelle Weise der entsprechende und ansprechende Rahmen geboten. Ein Anspruch auf Authentizität wird gar nicht erst erhoben.
Hermann Vaskes Film kann wohl als eigenständiges Kunstwerk über die Kunst bezeichnet werden. Ob es über sich hinaus weist, ist eine andere Frage; so wird derjenige Zuschauer ohne jeden Bezug zur Persönlichkeit Udo Kier es schwer haben, etwas aus dem Film mitzunehmen. Vielleicht noch der Gegenwartskunst-Interessierte, schließlich ist die Dichte an nationalen und internationale (Fach-)Größen nicht eben gering.
Dafür wird Kiers - vermeintliche - Exzentrik auf wunderbare Weise überspitzt oder ironisiert. Die Sexpuppe im ersten Bild bereitet diesem Tonfall gleich mal den Weg. Seine Einlassungen mit einem schweigenden, uns den Rücken zuwendenden „Pamela-Anderson-Double“ hinterlassen genauso ein Schmunzeln beim Betrachter, wie die unerfüllte Erwartung, welche Anekdote uns wohl im Gespräch mit Lars von Trier erwartet.
Nach einhelliger Einschätzung der Jury findet der Charakter Udo Kiers seine Entsprechung in der eigenwilligen Form und Machart des Films. Beides wurde demgemäß als sehr gelungen empfunden. Udo Kier lebt als Schauspieler von seinem ausdrucksstarken Gesicht. Eine Projektionsfläche mit Fluch- und Segencharakter, denn der Mensch Udo Kier kann von Beginn seiner Karriere gar nicht umhin, dieser enormen Wirkung zumindest etwas zur Seite zu stellen. Und da zeigt sich der Film wirklich aufschlussreich, denn wir sehen einen Darsteller kurz vor seinem 70sten Geburtstag, an den man nicht herankommt, dessen berühmtes Antlitz nicht ihn selbst zu spiegeln vermag. Seine Selbst-Diagnose von der Kunst-Sucht scheint wie eine versuchte Kompensation, um der Oberfläche zu entkommen, aber genau hier wird Kier repetitiv; man ahnt, lange hält man es nicht an einem Ort, in einer Unterhaltung aus. Gut, dass die Reise weitergeht und wir mit weiteren Anekdoten beglückt werden.
Empathie ist hier offensichtlich nicht das Ziel, nicht für Kier und demzufolge auch nicht für den Filmemacher Vaske. Der Jury erscheint dies als der genau richtige Ansatz. Der Zuschauer geht mit, bleibt aber unberührt, und nähert sich dennoch dem Phänomen Kier - dem immer irgendwie Mitwirkenden aber nicht wirklich Machenden, trotz aller Selbstdarstellung.
Vielleicht liegt darin das Prinzip der heutigen Kunst: Alles wird zum Spiegel - und keiner weiß so genau, was ist eigentlich die Substanz dahinter? Soweit zumindest der Diskussionsstand der Jury nach Betrachten des Films. Damit hätten wir die Frage, ist da etwas, das über den Film hinausweist, im Rahmen der Diskussion positiv beantwortet.
Die im Film wiedergegebenen Kunstwerke heben nicht selten die Grenzen zwischen den verschiedenen kreativen Disziplinen auf. Auch dies findet seine Entsprechung in der Form des Films, im Changieren zwischen Dokumentation und Fiktion. Und nicht immer erahnt man exakt, wo denn nun die Grenze verläuft. Was eben noch überdeutlich inszeniert wirkte, kann im nächsten Moment schon wieder einen wahrhaften Augenblick hervorbringen. Die Musik von Teho Teardo und Blixa Bargeld hält dabei den eingeschlagenen Tonfall des Films und nimmt den Zuschauer mit von einem Schauplatz zum nächsten.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)