Alex Garland hat mit „Auslöschung“ ein provokantes und nachdenkliches Science-Fiction-Stück vorgelegt. Wir haben uns das Ende des Films genauer angeschaut und fragen uns, was wirklich mit Lena (Natalie Portman) passiert ist.
(Achtung, der Artikel besteht komplett aus Spoilern)
„Auslöschung“ handelt von der Biologin/ehemaligen Soldatin Lena (Natalie Portman), die ihren Mann Kane (Oscar Isaac) bei einem Einsatz verloren hat. Ein Jahr später steht er plötzlich vor der Tür, nur um kurz darauf zusammen zu brechen. Das Paar landet in einer Forschungsstation, wo Lena von der Leiterin Dr. Ventress (Jennifer Jason Leigh) erfährt, dass Kane bei einer gefährlichen Geheimmission um eine mysteriöse Alienlandung teilgenommen hat. Niemand weiß, was der sogenannte Schimmer ist und was sich innerhalb seiner irisierenden Grenzen abspielt. Bis auf Kane ist noch keiner aus der verwunschenen Zone zurückgekehrt. Um ihren kranken Mann zu retten, begibt sich Lena zusammen vier Wissenschaftlerinnen Ventress, Anya (Gina Rodriguez), Cass (Tuva Novotny) und Josie (Tessa Thompson) auf ein riskantes Selbstmordkommando. Das was sie im Schimmer entdecken, sprengt jegliche Vorstellungskraft.
Der Schimmer ist eine Art Prisma, das die DNA von Lebewesen spaltet, ausstrahlt und zu ungewöhnlichen Mutationen und Kreuzungen führt. Doch das ist nicht alles. Die Entität kann menschliche Organismen klonen und ihr Bewusstsein kopieren. Am Ende von „Auslöschung“ kommt Lena im Zentrum des Einschlags, einem Leuchtturm, an. Dort erfährt sie, was wirklich mit ihrem Mann passiert ist. Der echte Kane hat sich umgebracht und sein Klon ist in die menschliche Welt zurückgekehrt. Lena findet dort eine Höhle, wo das Alien-Wesen einen Blutstropfen von ihr aufnimmt und einen Klon von ihr erschafft. Lena kann ihren Doppelgänger am Ende mit einer Phosphor-Granate verbrennen und zerstört dadurch zugleich den Schimmer.
Zurück in der Welt der Menschen berichtet sie den anderen Wissenschaftlern von ihren Erlebnissen. Am Ende trifft Lena in Quarantäne auf ihren „Mann“, der sich von seiner „Krankheit“ erholt hat. Lena fragt ihn: Ob er wirklich Kane ist, was dieser verneint. Kane fragt Lena nach ihrer Identität, doch sie kann diese Frage nicht beantworten. Während sich die beiden umarmen, schimmern ihre Augen unnatürlich.
Was ist passiert? Ist Lena ein Klon? Ist der Schimmer gar nicht zerstört, sondern nur mutiert? Und was passiert mit dem Fake-Kane und Lena? Kreuzen sie sich zu einer neuen Alienrasse? Im Prinzip kann man mehrere Theorien für das Ende aufstellen.
Auslöschung: Drei Theorien zum Ende
Ein wichtiges Detail scheinen die meisten Interpretationen zu verkennen. Im Grunde wissen wir nicht wirklich, was im Schimmer vorgefallen ist. Alles was wir sehen, stammt aus Lenas Erzählungen und da es keine anderen Überlebenden gibt, dürfen wir ihre Schilderungen nicht für bare Münze nehmen. Der Schimmer macht seine Besucher bekanntlich verrückt. Warum sollte ausgerechnet Lena die Wahrheit sagen? Aufgrund dieser Theorie kann man das Ende von Auslöschung auf drei Arten interpretieren.
Lena ist tot
Vielleicht ist das im Leuchtturm nicht wirklich so passiert. Vielleicht ist die echte Lena gestorben und die Fake-Lena täuscht die Wissenschaftler mit ihrem Bericht. Doch was ist das Ziel des Alien-Wesens? Hat es nur nach passenden Wirten (Lena/Kane) gesucht, um die geschützte Blase zu verlassen? Doch das erklärt nicht, warum Klon-Kane gesund wird, nachdem der Schimmer verschwindet. Müsste es nicht umgekehrt sein? Vielleicht war der Schimmer nur eine Übergangsphase, bis die perfekte Evolutionsstufe erreicht ist. Fragt sich nur, warum sich der Schimmer mit zwei Menschen begnügt, statt die gesamte Flora und Fauna auf der Erde zu infizieren. Eine Theorie aus der Buchvorlage besagt, dass der Schimmer ein außerirdisches Terraforming-Werkzeug für unbewohnte Planeten ist, das nur zufällig auf der Erde landet. Demnach sind Lena und Kane eine neue Stufe der Evolution und die Zukunft der Menschheit liegt im Ungewissen.
Lena ist durch den Schimmer mutiert
Die andere Theorie hat im Grunde den selben Ausgang wie die erste. Lena konnte ihren Klon zwar besiegen, doch der Schimmer ist in sie eingedrungen und hat ihre DNA verändert. Im Grunde kann es sein, dass sie schon am Anfang infiziert wurde, als sie ihren Mann küsste. Aufmerksamen Zuschauern dürfte aufgefallen sein, dass Lena am Ende ein auffälliges Tattoo trägt, das sie am Anfang noch nicht hatte - eine Schlange in Form eines Unendlichkeitszeichens. Der Ouroboros ist ein uraltes Bildsymbol, das für Wiedergeburt und den unendlichen Wandlungsprozess von Materie steht. Das erste Mal sehen wir das Tattoo an ihrer Begleiterin Anya (Gina Rodriguez). Das ist ein Zeichen dafür, dass sich Lenas Körper und DNA im Laufe ihres Aufenthalts im Schimmer verändert und Teile von Anya annimmt. Folglich hat Lena in der Höhle nicht nur ihre DNA abgegeben, sondern auch die DNA des Schimmer-Kerns aufgenommen. Das Endergebnis bleibt gleich. Kane und Lena sind mit dem Schimmer infiziert und werden entweder Nachkommen zeugen oder die restliche Bevölkerung anstecken.
Der Albtraum im Genom: Der Schimmer als Allegorie auf Krebs und Tod
Im Grunde ist das Ende nicht so interessant wie der Weg dort hin. Alex Garland stellt im Laufe des Films viele philosophische Fragen. Wenn der Mensch genetisch dafür ausgelegt ist, zu altern und zu sterben, dann könnte er auch einen psychischen Selbstzerstörungstrieb in sich tragen. Lena weiß als Biologin, dass die menschliche Materie zerfällt und neue Materie und Organismen bildet. Das ist der Kreislauf der Natur. Doch es gibt nicht nur gute Zellen, sondern auch bösartige wie Krebszellen, die einen gesunden Organismus angreifen.
Psychologin Dr. Ventress überträgt diese Theorie auf die Psychologie. So wie jeder Mensch potenziell Krebs in sich trägt, gibt es einen dunklen Teil in unserem Bewusstsein, der uns zum Tod hinzieht. Jeder zerstört sich auf seine Weise, ob nun durch Drogen, impulsives Verhalten oder ungesunde Lebensgewohnheiten. Demnach stehen die Frauen, für unterschiedliche Reaktionen auf Krankheiten und Tod. Lena steht für Verleugnung. Sie läuft wie eine Schlafwandlerin durchs Leben. Statt ihre Eheprobleme mit ihrem Mann auszufechten, geht sie eine Affäre mit ihrem Kollegen an. Als ihr Mann weg ist, isoliert sie sich von ihrer Umwelt und zeigt kaum Emotionen. Sie lässt sich von allen Frauen am wenigsten vom Schimmer beeindrucken und behält fast die gesamte Zeit über einen kühlen Kopf. Am Ende weiß Lena überhaupt nicht mehr, wer sie ist. Trotz der Berührung mit dem Schimmer hat sie keine wirkliche Erleuchtung erlebt.
Cass (Tuva Novotny) könnte für Angst und das Gefühl der Ohnmacht stehen. Sie wird gleich am Anfang von dem „Bär“ verschleppt und bekommt gar keine Chance, zu kämpfen. Anya (Gina Rodriguez) steht für Wut und Verhandlung. Sie wird aggressiv, als der Schimmer sie verändert. Kurz vor ihrem Tod bietet Anya die anderen Frauen als Opfer an, damit sie der Schimmer verschont. Josie (Tessa Thompson) steht für Resignation und Selbstaufgabe. Sie hat eine depressive Natur und nicht die Kraft, gegen den Schimmer zu kämpfen. Josie gibt sich der Mutation hin und wird Teil der Landschaft. Schließlich ist da noch Ventress (Jennifer Jason Leigh), die an Krebs leidet und ihren Tod bereits akzeptiert hat. Vorher möchte sie zum Kern des Schimmers vordringen und damit auch ihrer eigenen Natur auf den Grund gehen. Ob sie das geschafft hat, erfahren wir wohl nie.
Am Ende geht es in „Auslöschung“ um die Frage, ob Leben und Tod so streng voneinander getrennt werden können. Das Leben wird zur Versuchungsanordnung, in der wir unterschiedliche Formen und Veränderungen durchlaufen, bis nichts mehr von unserem Alten Ich übrig bleibt. Ob das eine wunderschöne oder schreckliche Sache ist, kann jeder für sich selbst entscheiden.