Bacurau: Rätselhaftes Drama über einen Filmemacher, der in einem entlegenen Dorf im brasilianischen Hinterland eine merkwürdige Entdeckung macht.
Ein Film um ein Dorf, das von der Landkarte gestrichen wird und sich üblicher Genrebeschreibungen entzieht.
Der brasilianische Filmemacher Kleber Mendonca Filho, der zuvor mit seiner Charakterstudie „Aquarius“ die große Welle machte (dessen Heldin Sonia Braga auch hier wieder zu sehen in einer wunderbaren Rolle als Dorfärztin mit Biss), legt gemeinsam mit seinem Weggefährten Juliano Dornelles einen so wilden und wütenden und delirierenden Film vor, dass eine Einordnung in ein Genre fast unmöglich ist. Weil die Handlung, wie man eingangs erfährt, „in ein paar Jahren“ spielt, die Kamera zu Beginn aus den Sternen auf die Erde niederfährt und irgendwann im ersten Drittel des Films unvermittelt eine fliegende Untertasse durchs Bild segelt, könnte man von einem Science-Fiction-Film sprechen. Wenn sich aber im Verlauf des Films der Staub zu legen beginnt, die disparaten Einzelteile vor den Augen des Zuschauers anfangen sich zu sortieren und langsam einen Sinn ergeben, dann geben Filho und Dornelles den Blick frei auf einen psychedelischen Western, als hätte Alejandro Jodorowsky mit Hilfe von Werner Herzog ein Remake von „Die glorreichen Sieben“ gedreht.
Bis dahin hat man einen weiten Weg zurückgelegt. Im Jahr 1969 drehte Barbet Schroeder einen ebenso wunderbaren wie vergessenen Film, „La vallée“ (der Soundtrack von Pink Floyd findet sich auf dem Album „Obscured By Clouds“). Darin begibt sich eine Gruppe westlicher Abenteurer in einem lateinamerikanischen Dschungel auf die Suche nach einem sagenumwobenen Dorf jenseits der Wolken in einem unberührten Tal. „Bacurau“ stellt diese Prämisse auf den Kopf, erzählt die Geschichte sozusagen aus der Sicht des Dorfes, das hier Bacurau heißt und tatsächlich, durch einen kosmischen Zufall oder eine gezielte Gemeinheit, man weiß es zu diesem Zeitpunkt nicht, von allen Landkarten getilgt wurde, wie der Dorflehrer in einer Unterrichtsstunde irritiert feststellen muss. In diese Gemeinde im Sertao, einem abgelegenen Landstrich im Nordosten Brasiliens, abgeschnitten von den Metropolen des Landes, kehrt Teresa zurück, um dem Begräbnis ihrer Großmutter beizuwohnen, der 94-jährigen Matriarchin von Bacurau. Dass dort vieles nicht zum Besten steht, offenbart sich schnell. Dass es sich um ein Komplott eines ruchlosen Politikers handelt, der dem Dorf zunächst den Zugang zu Wasser abgedreht hat und nun die Einwohner einer Gruppe von amerikanischen Abenteurern zum Abschuss freigegeben hat, wird erst viel später klar. Wie Bacurau sich zur Wehr setzt, ist noch einmal ein gutes Stück irrwitziger als alles, was Cannes-Wettbewerbs-Konkurrent „Les Misérable“ zu bieten hat: Unter kollektiver Einwirkung einer psychotropischen Droge lässt die Gemeinde einem Blutrunst freien Lauf, der auch gerade deshalb so verstörend ist, weil er so befreiend wirkt: „The Most Dangerous Game“ als moderne Allegorie auf ein Brasilien, das sich gegen Despoten erhebt. In „
Ein Fremder ohne Namen“ lässt Clint Eastwood als Rächer ein Dorf alle Häuser rot streichen; in „Bacurau“ färbt die rächende Stadt ihre Häuser selbst rot mit dem Blut des Aggressoren. Dem alles gleichmachenden Menetekel der Globalisierung wurde selten ein so furioser, in alle Richtungen ausschlagender Film entgegengesetzt. ts.