FBW-Pressetext:
Das literarische Meisterwerk von Mann trifft auf Kehlmanns Feder und Bucks Regie - eine begeisternde Kombination voller Esprit und Witz.
Felix Krull ist ein Hochstapler. Der charismatische junge Mann weiß genau, wie er seine Mitmenschen manipulieren muss, um seine Ziele zu erreichen. Doch als er sich in die verführerische Zaza verliebt, gerät sein Lebensentwurf ins Wanken. Dank eines gewitzt-raffinierten Drehbuchs, eines Traum Casts und Bucks treffsicherer Inszenierung ist diese Literaturverfilmung ein ganz großer Wurf.
Mit der Neuverfilmung des Klassikers von Thomas Mann gelingt Detlev Buck in jeder Hinsicht ein überwältigendes Stück Kino. In kongenialer Zusammenarbeit mit Daniel Kehlmann sitzt in seinem Drehbuch jeder Witz, jede Beobachtung und jedes Verhalten mit gestochener Schärfe. Dabei werden die Figuren nicht nur mit Ironie und Biss, sondern auch mit liebevollem Augenzwinkern beobachtet und dargestellt. Liv Lisa Fries ist bezaubernd und entwaffnend ehrlich als Zaza, und renommierte Darsteller*innen wie Maria Furtwängler, Joachim Krol und Nicholas Ofczarek haben riesengroßen Spaß an ihren amüsanten Nebenrollen. Doch es sind David Kross und Jannis Niewöhner, die herausragen. David Kross ist phänomenal als gutgläubig unschuldiger Marquis, der voller Naivität Krulls Bekenntnissen lauscht, ohne auch nur einen Hauch zu argwöhnen, er selbst könnte von ihm betrogen werden. Und Jannis Niewöhner zieht mit Charisma, Charme und Chuzpe sämtliche Register als verführerischer Gentleman, der ehrgeizig seinen Weg als Hochstapler geht. Durch eine schwungvolle musikalische Untermalung und einer gut eingesetzten Montage entsteht eine große Leichtigkeit, die den klassischen Stoff, der auch von enttäuschter Liebe, prägenden Kindheitserinnerungen und sozialen Klassenunterschieden handelt, von jedweder Angestaubtheit oder Schwere befreit und auf den Punkt bringt, wie große Literatur noch heute für die große Leinwand adaptiert werden kann.
FBW-Jury-Begründung:
Schon als kleiner Junge liebt es Felix Krull, in fremde Kostüme und Rollen zu schlüpfen und mit seinen Verwandlungskünsten die zahlreichen Gäste seines Vaters zu verzaubern - bis dieser mit seiner Sektkellerei bankrott geht und sich das Leben nimmt. Der anschließende soziale Abstieg macht dem jungen Felix schwer zu schaffen, aber sein Motto lautet: Wenn man arm ist, darf man sich unter keinen Umständen an die Armut gewöhnen. So zieht er in die große Welt hinaus, und erhält in einem Pariser Luxushotel eine Anstellung als Liftboy. Für die Bediensteten ist das Leben im Hotel jedoch alles andere als luxuriös: Die Unterkunft auf dem Dachboden ist karg, die Hierarchien sind streng, und der grimmige Oberkellner Stanko hält alle rigoros unter seiner Knute. Aber schließlich ist das Haus ja dazu da, die Wünsche seiner Gäste zu erfüllen - und darin ist Felix Krull ein Meister. Gutaussehend, charmant, eloquent und wagemutig, kann er bald zum Kellner aufsteigen und den weiblichen Gästen beim Zimmerservice geheime Wünsche erfüllen. Aber auch bei den Herren kommt der junge Mann gut an. Dann taucht plötzlich seine Jugendliebe Zaza auf, die der Prostitution entkommen und in Paris das große Glück suchen will - vorzugsweise an der Seite des reichen Marquis Louis de Venosta. Dessen Vater ist von der Liaison allerdings gar nicht begeistert und will den Sohn auf Weltreise schicken oder enterben. Darin erkennt Felix Krull, in Übereinkunft mit Zaza, seine Chance und schlägt dem Marquis einen kühnen Plan vor…
Geld oder Liebe - diese Entscheidung ist für Felix Krull nicht einfach, aber eindeutig. Er ist ein Verwandlungskünstler, der gefallen will und die große Bühne braucht. Er strebt nach Erfolg und Anerkennung und sucht ständig neue Herausforderungen. Stillstand wäre für ihn unerträglich. Nie wieder will er in Armut leben, aber auch ein gutbürgerliches Auskommen, wie es ihm kurz als Perspektive mit Zaza durch den Sinn geht, würde ihn auf Dauer nicht zufriedenstellen, „weil“, so bringt es die Geliebte auf den Punkt, „du dann du sein müsstest, und das erträgst du nicht, du zu sein.“ Stattdessen folgt er seiner Berufung und kann davon ausgehen, dass die Welt verführt und betrogen werden will, vor allem, wenn es sich bei dem Betrüger um einen Meister seines Faches handelt, der mit großer Raffinesse und entwaffnendem Charme vorgeht. Man kann erahnen, dass selbst die von ihm Betrogenen keinen Groll gegen Felix Krull hegen, denn schließlich haben sie alle etwas von der Begegnung mit ihm gehabt. Und auch der mit viel Esprit inszenierte Film wird all denen, die sich gern verführen lassen, Vergnügen bereiten und ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Die Geschichte spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, also etwa zu der Zeit, als Thomas Mann mit den ersten Planungen für seinen Roman begann, der schließlich 1954 erschienen ist. Er erzählt in Form eines klassischen Schelmenromans von dem Hochstapler Felix Krull, der mit gutem Aussehen, gewandten Auftreten, großer Freundlichkeit und viel krimineller Energie in die höchsten Kreise aufsteigt. Diese Vorlage haben Daniel Kehlmann und Detlev Buck in ihrem Drehbuch zeitgemäß adaptiert. Dabei haben sie die Grundstruktur bewahrt, konzentrieren sich aber auf Krulls Zeit in Paris. Auch die literarische Sprache der Vorlage haben sie beibehalten und die neu erdachten Texte stilistisch angepasst. So ist nicht auszumachen, welcher der geschliffenen Dialoge und geschachtelten Sätze von Mann, und welcher von Kehlmann stammen. Es bereitet einfach große Freude, dieser Sprache, die die soziale Stellung der Charaktere genau akzentuiert, aber in dieser Form wohl nie gesprochen wurde, zuzuhören, insbesondere, wenn sie von Jannis Niewöhner in der Rolle des Felix Krull mit großer Nonchalance vorgetragen wird. Für Krull ist die Sprache ein Mittel seiner Verführung, und oft genug entwindet er sich mit wohl formulierten Worten im letzten Moment einer heiklen Situation. Es ist faszinierend, ihn dabei zu beobachten, wenn er, mal mit Leichtigkeit, mal mit Vorsicht vorgehend und sein Gegenüber jeweils genau taxierend, lange, komplexe Sätze baut, in denen sich sein Opfer verfängt wie in einem Spinnennetz.
Aber eine Geschichte, die in einem europäischen Grandhotel zur Blütezeit der Belle Epoque spielt, verlangt vor allem Schauwerte - und dabei glänzt dieser Film in besonderem Maße. Das erlesene Setdesign kreiert das entsprechend edle Ambiente, die Ausstattung ist opulent und die Kostüme sind äußerst elegant. Ein exquisites Ensemble deutscher Schauspielerinnen und Schauspieler präsentiert sich darin mit sichtlicher Spielfreude, präzise geführt - und stets mit einem freundlichen Augenzwinkern bedacht - durch Detlev Bucks stilsichere Inszenierung. Trotz der Vielzahl der auftretenden Personen verliert man nie den Überblick, denn bis in die Nebenrollen sind alle Charaktere gut gestaltet und überzeugend verkörpert. Doch im Mittelpunkt - und das unterscheidet den Film von der literarischen Vorlage - stehen die drei Hauptpersonen. Neben der schillernden Titelfigur, von Jannis Niewöhner mit viel Charisma, Charme und Chuzpe ausgestattet, stehen der treuherzige Marquis Louis de Venosta, von David Kross in einer faszinierenden Mischung aus großer Begeisterungsfähigkeit und unschuldiger Naivität gestaltet, und die faszinierende Zaza, die Liv Lisa Fries ebenso bezaubernd wie kühl kalkulierend zum Leben erweckt. Diese Figur hat kein direktes literarisches Vorbild, sondern vereint in sich Merkmale verschiedener Frauengestalten des Romans und ein sehr modernes Frauenbild. Zaza ist selbstbewusst und unerschrocken und nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand. Die drei Hauptfiguren sind durch Standesunterschiede getrennt, aber durch ein Liebesdreieck miteinander verbunden. Alle drei streben nach Glück, setzen dabei aber, abhängig von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Stand, unterschiedliche Prioritäten. Das ist die Basis ihres Tauschhandels. Felix Krull und Zaza lieben sich zwar, aber noch mehr sehnen sie sich nach Reichtum und gesellschaftlichem Aufstieg. Die Liebe steht also ihren Ansprüchen und Karriereplänen im Wege. Der Marquis Louis de Venosta dagegen ist gelangweilt von seinem Leben im Reichtum, aber elektrisiert von seiner Liebe zu Zaza. Sie ist quasi sein Lebenselixier.
Das ist die alte Geschichte von Liebe und Geld, Haben und Nicht-Haben, über die Kunst der Täuschung und die Täuschung als Kunst, die von ihrer Aktualität nichts eingebüßt hat. Sie kommt als Kostümfilm daher, ist aber keine trockene Literaturverfilmung, sondern die mit viel Charme und großer Leichtigkeit gestaltete unterhaltsame Neuentdeckung eines Klassikers mit aktuellen Bezügen und großartigen Schauspielleistungen.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)