Im Stau hat der Film seinen Ausgangspunkt, im stehenden Verkehr auf der Brücke zwischen dem alten und dem neuen Belgrad hier stößt die Frau mit der gebrochenen Nase die Handlung an, indem sie aus dem Taxi steigt und übers Geländer ins Wasser springt. Und hier, auf dieser Brücke im Stau hatte Regisseur und Drehbuchautor Srdjan Koljevic seine ursprüngliche Idee für den Film, mit der Brücke als Metapher: die Menschen, die zwischen alt und neu, hier und dort, damals und jetzt feststecken. Der Wandel sei das Hauptthema des Films, sagt Koljevic, die Verwandlung der Stadt, des Landes, der Figuren, von denen er erzählt, die an ihrer Vergangenheit schwer tragen, die allein sind und die vorankommen müssen, damit es weitergeht.
Das Schöne ist: Diese schwergewichtigen Gedanken merkt man dem Film nicht an. Das liegt an der leichten Erzählweise, die mit viel Humor von der Melancholie spricht. Zudem geht selbstverständlich in der deutschen Fassung einiges unter, Dialekte und Andeutungen, was dem Vergnügen freilich keinen Abbruch tut: Weil man so niemals mit der Nase auf Thema und Problematik des Films gestoßen wird, weil so alles im Subtilen, im Hinter- und Untergründigen bleibt. Dass einer als Bosnier immer ein Fremder bleiben wird in dieser Stadt, dass das Trauma des Krieges noch präsent ist, obwohl er schon zehn Jahre vorbei ist, dass Tito noch immer in dem System herumspukt: Diese Hintergründe sind fein eingebettet, auch in der deutschen Synchro, sie sind wichtig, ohne einen Schwerpunkt, einen schweren Punkt zu bilden.
Denn Koljevic erzählt vor allem kleine, subtile Liebesgeschichten um einen Taxifahrer, eine Lehrerin, eine Apothekerin; und besonders die Story mit Taxifahrer Gavro ist stark und witzig. Der ist ein grimmiger Brummbär, ein störrischer Kerl mit schwarzem Bart und strubbeligem Haupthaar, der die Menschen nicht mag und keine Scheu hat, das jedem zu zeigen. Wie sich aus der harten Schale doch ein weicher Kern entpuppt: das ist mit viel lakonischem, warmherzigen Witz skizziert, ohne in die Klischeefalle zu geraten. Gavro knallt seine ruppigen Beschimpfungen seinen Mitmenschen vor den Latz, dass es eine Freude ist; und halb erstaunt über sich selbst findet er sich doch bereit, für das Baby zu sorgen, das die Frau mit der gebrochenen Nase auf seinem Rücksitz hinterlassen hat. Solange, bis sie wieder aus dem Koma erwacht. Wenn sie sich nicht mehr in die Welt einklinken will, entführt er sie aus der Klinik; wenn sie ihn verlässt für den Vater des Babys der deutsche Schauspieler Stipe Erceg als Motorradrocker, eingesetzt wegen der Gelder der deutschen Koproduzenten und Gavro mit dem Kindchen wieder allein lässt, dann wartet er. Stets vor sich hinmeckernd.
Die anderen beiden Erzählstränge können da nicht so recht mithalten: zu ähnlich sind sich die Schicksale der Lehrerin Anica (Anica Dobra, ebenfalls seit langen Jahren in Deutschland tätig) und Apothekerin Biljana: Beide sind in Trauer wegen traumatischer Todesfälle, bei beiden klappt die Liebe nicht, beide werden heftig umworben von Männern, die eigentlich nicht dürfen, die eine von einem Schüler, die andere von einem Pfarrer, der zuhause eine schwangere Frau hat. Es wäre schön gewesen, wenn diese Episoden die Kraft der Taxifahrer-Geschichte erhalten hätten, wenn sie sich mehr unterscheiden, stärkeres eigenes Profil erreichen würden. So wirken sie wie hingepappt, ein wenig wie Franzen aufgestickt.
Emotional freilich fügen sie sich ein, auch sie erzählten vom Niemandsland zwischen damals und heute, zwischen Gefühlen für die früheren und jetzigen Nahestehenden, von der Spannung zwischen Leid und Glück. Leitmotiv des Films ist ein Radio-Oldiesender, der alte Balkanschlager spielt: das ist der Countdown des Films, in 33 Tagen wird der Sender abgeschaltet, dabei hören so viele so gerde die Musik von damals, aus der guten alten Zeit
Am Ende muss es weitergehen. Und wenn dem Radiomoderator nach dem Ende seines Senders die Stelle in der Bäckerei nicht gefällt, dann wird er eben Taxifahrer. Da kann er bei der Arbeit immer Musik hören, wenn er im Stau auf der Brücke steht.
Fazit: Episodische Geschichten aus Belgrad mit einer starken und zwei schwächeren Erzählsträngen, die mit warmem Witz und viel Humor von der Melancholie erzählen, ohne je tragisch zu werden.