Alex war mit Anfang zwanzig schon an über zehn Schulen. An keiner hat er es lange ausgehalten, mit Regeln und dem schulischen Druck kam er nicht klar. So ging es bisher auch Lena, die sich in der Schule und in der ländlichen Umgebung ihres Zuhauses nie frei fühlte, so zu sein, wie sie ist. Und für Hanil aus Aachen war Schule bisher immer lästige Pflicht, in der er nicht wirklich einen Sinn gesehen hat. Sie alle sind Teil einer Klasse der Schule für Erwachsenenbildung (SFE) in Berlin. Der Filmemacher Alexander Kleider hat Alex, Lena, Hanil und die anderen begleitet, auf ihrem Weg zum Abitur. Das Besondere dabei: Die SFE ist anders als andere Schulen. Genau gesagt, als alle anderen Schulen. Gegründet wurde sie 1973 als basisdemokratisches Projekt. Es gibt an der SFE keinen Direktor, keine Noten. Bezahlt werden die Lehrer und Angestellten von den Schülern selbst, alle zwei Wochen wird über alle Entscheidungen abgestimmt. In seinem Film stellt Kleider das Konzept der Schule vor, lässt die engagierten Lehrer zu Wort kommen, die nach all den Jahrzehnten - viele sind seit Beginn dabei - immer noch eines antreibt: die Spaß an der Vermittlung von Wissen, ganz ohne Druck. Immer wieder streift der Film die aktuelle Diskussion um das Schulsystem in Deutschland. Ist Auswendiglernen zielführender als Verstehen? Sollte Schule in unserer Gesellschaft neu gedacht werden? Kleider stellt diese wichtigen Fragen. Doch nie direkt, nie selbst. Aber in jeder Minute des Films ist er spürbar, der Wille zur Rebellion gegen das bestehende System. Darüber hinaus ist BERLIN REBEL HIGH SCHOOL vor allen Dingen auch eine überzeugende Dokumentation mit interessanten und schillernden Protagonisten, deren großes Vertrauen gegenüber dem Regisseur in jedem Moment zu spüren ist. Ganz offen erzählen sie von ihrer Biografie, von ihren Problemen, die ihnen das Konzept „Schule“ bisher bereitet hat. Als Zuschauer nimmt man starken Anteil am Schicksal der einzelnen Schüler, man freut sich über Erfolge, leidet mit bei Rückschlägen und fiebert mit bei den abschließenden Abiturprüfungen. Mit all seinen spannenden Fragen und Ansätzen ist BERLIN REBEL HIGH SCHOOL ein wichtiger, gesellschaftlich relevanter Film, der Diskussionen anregen kann und der zudem noch auf großartige Weise unterhält und berührt. Und dazu ein großartiges Porträt eines Projektes, das Schule machen sollte.
Jurybegründung:
Auf den ersten Blick führt der Titel in die Irre. Die 1973 gegründete Schule für Erwachsenenbildung (SFE) in Berlin hat sich längst etabliert. Ihr Abitur ist staatlich anerkannt. Sie entstand jedoch einst aus dem Wunsch von Schülern, im Zuge der Rebellion gegen die verkrusteten staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen in der alten Bundesrepublik das Schulsystem zu reformieren.
Geblieben ist an der SFE bis heute ein basisdemokratisches Modell. Noten werden nicht erteilt, damit können auch keine Zeugnisse geschrieben werden. Es gibt keinen Direktor, keine Angestellten oder Eltern, die für Essen, Ordnung und Sauberkeit sorgen. Die Schüler organisieren den Schulalltag selbst und bezahlen ihre Lehrer aus den Schulgebühren. Der Stundensatz ist gering, als Rentner müssen sie wahrscheinlich in die Grundsicherung. Trotzdem brennen die Lehrer, die nur ein Viertel ihrer verbeamteten Kollegen in Berlin verdienen, für ihre Arbeit und ihre Schüler.
Die alternative Schulform nimmt jene auf, die an Mobbing, Vorurteilen, hierarchischen Strukturen oder der eigenen Faulheit scheiterten. Und hier wird das Ideal gelebt, an dem wiederum das Bildungssystem in der Bundesrepublik scheitert. Jeder bekommt eine Chance, für das schulische Abschneiden ist die Herkunft irrelevant. Die jungen Erwachsenen lernen ohne Leistungsdruck. Das Ziel der Schule ist, den eigenen Willen und die Motivation der Schüler zu stärken, ihren Traum vom Abi zu erreichen.
Regisseur Alexander Kleider, selbst Absolvent der Schule, begleitet eine SFE-Klasse über drei Jahre bis zum Abitur. Er begegnet den Schülerinnen und Schülern dabei auf Augenhöhe und kommt ihnen sehr nahe. Sie reflektieren offen ihr bisheriges Scheitern in der Schule, ihre Erwartungen und Ziele, ihre eigene Einstellung zum Lernen. Auch das Scheitern eines Schülers wird in dem Film als positive Erfahrung fürs weitere Leben dargestellt.
Im Laufe der Jahre ist die Freude am Lernen in ihnen wieder erwacht. Sie konnten ihren Schulabschluss unbeschwert von dem Druck in staatlichen Schulen, in denen jede Unterrichtsstunde in den Klassen 11 und 12 in die Abiturnote eingeht, was zu Stress führt und Versagensängste auslösen kann, erreichen. Diesen absoluten Stress spüren die Schüler der SFE hauptsächlich direkt vor den Prüfungen. Die engagierten Lehrer versuchen dabei alles, sie zu ermutigen. Es bewährt sich zudem der Zusammenhalt im Klassenverband.
Jeder Zuschauer kann sich während BERLIN REBEL HIGH SCHOOL an die eigene Schulzeit erinnern oder die Schule mit der Erfahrung der eigenen Kinder vergleichen. So regt das gelungene Porträt dieses erfolgreichen Alternativmodells auch zum Nachdenken über den Sinn von einigen Reformen der Abiturregularien in den 1970ern und die G-8-Reformen an.
Die Schule gibt jungen Menschen eine Chance, die meist unbewusst gegen das herkömmliche System rebellierten. Und sie erzieht sie zu Rebellen, die die ausgetretenen Pfade hinterfragen und nach Alternativen suchen werden.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)