Der neueste Marvel-Film hat eine nahezu unmögliche Aufgabe zu meistern, was ihm größtenteils sogar gelingt – doch er begeht meiner Meinung nach einen entscheidenden Fehler.
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Von allen Promi-Toden, die sich während meiner bisherigen Lebenszeit ereignet haben, hat mich tatsächlich keiner so sehr berührt wie der von Chadwick Boseman. Meist bin ich (leider) eher im Lager der Zyniker*innen, die sich denken, dass man die berühmten Personen ja nicht kenne und deswegen Beileidsbekundungen reiner Selbstzweck sind – eine strittige Haltung, ich weiß. Doch bei Boseman hat mich die Mischung aus der völligen Überraschung, der Enthüllungen über sein geheim gehaltenes Leiden mit der Krebserkrankung und all die berührenden Charakterbeschreibungen seiner Mitmenschen über diese offenbar beeindruckende Persönlichkeit schlicht kalt erwischt.
Entsprechend gespannt und besorgt war ich, wie die Marvel-Maschinerie mit dieser unerwarteten Tragödie umgehen wird. Denn so viel war direkt nach der Todesmeldung wohl allen klar: The show must go on. Mit „Black Panther: Wakanda Forever“ sehen wir das Ergebnis dessen jetzt in den deutschen Kinos und die größte Frage ist vermutlich, ob die Fortsetzung des Mega-Hits dem Vermächtnis von Boseman und seiner Rolle T’Challa alias Black Panther gerecht wird. Seine Co-Stars sind davon überzeugt, wie sie mir in Interviews erzählt haben:
Und ich muss ihnen zustimmen: „Black Panther: Wakanda Forever“ betritt tatsächlich Neuland im Marvel Cinematic Universe (MCU), das ja gerne mal für seinen albernen, subversiven Stil kritisiert wird. Von der ersten Sekunde an wird deutlich, wie viel T’Challa den Figuren und Chadwick Boseman den Darsteller*innen bedeutet hat, wie sehr sein Fehlen schmerzt. Der Film gleicht in seinen besten Moment einer gemeinschaftlichen Therapiestunde, da er vor der Trauer nicht die Augen verschließt, sondern klarstellt, wie sehr die Verbliebenen unter diesem Verlust leiden und die Botschaft vermittelt, T’Challa und seine Überzeugungen durch Shuri (Letitia Wright) und Co. weiterleben zu lassen; auch wenn es für sie teils ein langer Weg bis zu dieser Erkenntnis ist.
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Ein MCU-Film, der kein MCU-Film hätte sein dürfen
Dennoch wird „Black Panther: Wakanda Forever“ meiner Ansicht nach seinem Potenzial nicht gerecht, denn mehr als in jedem MCU-Film habe ich es hierbei bedauert und verflucht, dass es sich immer noch wie ein MCU-Film anfühlt. Obwohl Regisseur Ryan Coogler und die anderen Verantwortlichen mit ihrem Werk ernstere Töne als je zuvor in dem Franchise anschlagen, beugt es sich leider zu stark den etablierten Marvel-Sehgewohnheiten.
Mit Namor (Tenoch Huerta) wird ein neuer Marvel-Held etabliert, der über Jahre im MCU eine wichtige Rolle spielen dürfte, zudem lernen wir das von ihm regierte Unterwasserkönigreich Talocan kennen. Beides passt zwar hervorragend in die Welt von „Black Panther“, da es sich hier ebenfalls um eine abgeschottete, unbekannte Nation handelt, deren ethnische Gruppe von Weißen auch in unserer Historie ausgebeutet wurde. Der soziale Kommentar fügt sich stimmig in das ein, was schon der erste Teil ansprach und doch hätte ich mir gewünscht, Namor und Talocan hätten erst in einem potentiellen „Black Panther 3“ eine Rolle gespielt, genauso wie Riri Williams alias Ironheart. Die gefühlte Nachfolgerin von Tony Stark alias Iron Man (Robert Downey Jr.) feiert hier ebenfalls ihr MCU-Debüt, bevor sie ihre eigene Serie erhält und sorgt in „Wakanda Forever“ für einen Tapetenwechsel und die wohl unbeschwertesten Momente – aber beides fühlt sich für mich hier schlicht fehl am Platz an. Selbiges gilt für die Machenschaften der US-Regierung, die für eine baldige Eskalation im globalen Ausmaß sorgen könnten.
Ich bin mir natürlich bewusst, wie die Hollywood-Maschinerie und das MCU ticken und entsprechend war abzusehen, dass die „Black Panther“-Fortsetzung bombastische Blockbuster-Action bieten sowie das Franchise mit neuen Figuren und eben einer ganzen Unterwasserwelt erweitern wird. Entsprechend naiv war mein Wunsch im Vorfeld, „Wakanda Forever“ möge einfach mal innehalten. Wäre es nach mir gegangen, hätten wir hier ausschließlich ein emotional aufrüttelndes Charakterdrama erhalten, das sich zwei Stunden oder noch länger nur in Wakanda aufhält, die etablierten Figuren ins Zentrum rückt und ihren Schmerz schonungslos darstellt, während sie ergründen, wie sie ohne T’Challa weitermachen sollen – und ob sie das überhaupt können.
Stattdessen komme ich nach einer bereits beachtlichen Laufzeit von 161 Minuten zu dem Fazit, dass der Film schlicht auf zu vielen Hochzeiten tanzt und das eigentliche Wichtige dabei oftmals aus den Augen verliert, womit sich für mich ein emotional unrunder Gesamteindruck ergibt. „Black Panther: Wakanda Forever“ mag zwar für MCU-Verhältnisse emotionales Neuland beschreiten und in diesem Kontext enorm ambitioniert sein. Doch wenn man mal über den Tellerrand blickt und die dargebotene Aufarbeitung von T’Challas Tod und dem damit verbundenen Schock mit kleineren, persönlichen Dramen vergleicht – dann fällt das Ergebnis für mich leider fast vollständig erschreckend schwach aus.
Ich möchte euch aber nahelegen, euch selbst ein Urteil zu bilden. Ein Blick zu Rotten Tomatoes zeigt beispielsweise, dass ich mit meinem gemischten Urteil nicht den Konsens wiedergebe, da immerhin 87 % der Kritiker*innen den Film positiv bewerten. In diesem Sinne: „Black Panther: Wakanda Forever“ läuft jetzt in den deutschen Kinos.