Im Rechtsstreit von Scarlett Johansson und Disney wegen „Black Widow“ hat sich nun erstmals auch Disney-CEO Bob Chapek zu Wort gemeldet.
Bislang wirkte das Marvel Cinematic Universe (MCU) wie eine einzige große Familie voller Harmonie und Liebe. Doch die bisher als geradezu perfekt geltende Maschinerie von Disney und Marvel Studios hat einen ersten Riss bekommen: Scarlett Johansson, eine der größten Hollywoodstars und langjähriges Mitglied der Avengers als Natasha Romanoff alias Black Widow, hat Disney wegen eines angeblichen Vertragsbruchs verklagt.
Demnach soll ihr vertraglich zugesichert worden sein, dass „Black Widow“ exklusiv im Kino laufen soll und nicht – wie nun tatsächlich geschehen – parallel über Disneys hauseigenen Streamingdienst Disney+ angeboten wird. Da sie laut Anklageschrift weder von Marvel Studios noch Disney auf Anfrage eine Antwort erhalten haben will, hat sie sich gemeinsam mit ihren Vertreter*innen dazu entschlossen, den Rechtsweg zu beschreiten.
Im Rahmen einer Präsentation der Quartalszahlen hat sich nun Disney-CEO Robert Chapek erstmals selbst zu Wort gemeldet und verteidigte die Hybridveröffentlichungspolitik. Dabei vermied es Chapek, Johanssons Namen oder die Klage selbst zu nennen:
„Sowohl Bob Iger (Chapeks Vorgänger, Anm. d. Red.) als auch ich hatten gemeinsam mit dem Distributionsteam entschieden, dass dies die beste Strategie sein würde, da sie es uns erlaubt, das größte Publikum zu erreichen.“
Man werde auch in Zukunft von Film zu Film darüber entscheiden, was die jeweils beste Veröffentlichungsmethode sei, so der CEO. Die Welt befinde sich aufgrund von COVID in Aufruhr und man müsse flexibel und individuell auf die unklare Situation reagieren. Eine Lehre hat der Unterhaltungskonzern aus der Klage aber doch gezogen: Laut Chapek habe Disney Wege gefunden, die Beteiligten „fair“ zu kompensieren, sollte ein Film parallel zum Kino auch über Disney+ angeboten werden. Die Verhandlungen dazu seien ohne Probleme vonstatten gegangen, versicherte er.
Disney hatte sich bereits zuvor in einer Stellungnahme zur Klage geäußert. Doch der Unterhaltungskonzern hat dafür auf eine ungewöhnlich deutliche und aggressive Wortwahl zurückgegriffen: Johanssons Klage sei „traurig und bedauerlich“, gerade vor dem Hintergrund der weltweiten Corona-Pandemie. Man habe sich an die Vertragsbedingungen gehalten und Johansson habe durch die Bereitstellung über Disney+ gar Aussicht auf weitere Einnahmen zusätzlich zu den bereits erhaltenen 20 Millionen US-Dollar Grundgage.
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Genau dieses Statement verurteilten daraufhin die Organisationen Women in Film, ReFrame und Time’s Up (via The Hollywood Reporter). In einer gemeinsamen Stellungnahme sagten sie:
„Während wir in Bezug auf die geschäftlichen Angelegenheiten des Rechtsstreites zwischen Scarlett Johansson und der Walt Disney Company keine Position einnehmen wollen, verurteilen wir Disneys jüngste Stellungnahme, in der versucht wurde, Johansson wegen ihres Kampfs um ihre vertraglichen Rechte als gefühllos oder egoistisch darzustellen. Dieser geschlechtsspezifische Angriff hat in einer geschäftlichen Streitigkeit nichts zu suchen und dient nur dazu, in einer Umgebung, in der Frauen und Mädchen als weniger fähig betrachtet werden als Männer, die eigenen Interessen zu wahren, ohne sich der eigentlichen Kritik zu stellen.“
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Scarlett Johansson soll schockiert und Marvel-Boss Kevin Feige beschämt sein
Auf Disneys Antwort reagierte auch Scarlett Johansson indirekt. Gegenüber The Wrap (via ComicBook.com) soll ihr Team gesagt haben, sie sei „schockiert vom Ton“ gewesen, den das Studio ihr gegenüber gewählt habe. Einen Verbündeten hat Johansson anscheinend in Kevin Feige, Präsident von Marvel Studios und COO von Marvel Entertainment. Er soll laut Insider und Filmjournalist Matt Belloni extrem aufgebracht und beschämt sein über die gesamte Situation. Feige ist ein Verteidiger des Kinoerlebnisses und hat immer dafür plädiert, Marvel-Filme exklusiv im Kino laufen zu lassen. Auch bei „Black Widow“ soll der einflussreiche Filmemacher und erfolgreichste Produzent Hollywoods strikt dagegen gewesen sein:
„Mir wurde gesagt, dass er (Kevin Feige, Anm. d. Red.) wütend und beschämt sein soll. Er hat bei Disney gegen den Plan votiert, bevorzugte einen exklusiven Kinostart und wollte seine Darsteller*innen nicht enttäuschen. Und als dann alles den Bach runterging und Johanssons Team mit einer Klage drohte, wollte er, dass Disney es wiedergutmacht.“
Offenbar ging man bei Disney nicht davon aus, dass die 36-Jährige sich gegen ein dermaßen großes Unternehmen mit dieser hohen Entscheidungsgewalt stellen würde. Belloni will zudem erfahren haben, dass bereits weitere Stars rechtliche Schritte in Erwägung zögen. So etwa Emma Stone, die zuletzt in „Cruella“ zu sehen war. Auch diesen Film veröffentlichte Disney parallel im Kino und auf Disney+, während die Höhe der Gage bei Stone an die Kinoeinnahmen gekoppelt sein soll. Der Name von Emily Blunt, deren neuer Film „Jungle Cruise“ just im Kino gestartet und über den VIP-Zugang von Disney+ verfügbar ist, soll in diesem Zusammenhang ebenfalls gefallen sein.
Fest steht also, dass Scarlett Johansson mit ihrer Klage einen Präzedenzfall schaffen könnte, der die Richtung, in die sich die Filmindustrie aktuell bewegt, entscheidend zu verändern vermag.
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