Die Hauptaussage des Films und damit ist auch bereits das Wichtigste gesagt ist folgende: Was auch immer du erreichen willst, welches Ziel, welchen Traum, du kannst es erreichen, wenn du Vertrauen in deine Fähigkeiten hast und bereit bist, auch anderen Menschen zu vertrauen. Und das auch, wenn alle Welt an dir zweifelt. Schon aus diesen Sätzen wird deutlich, dass sich "Blindsight" mitnichten nur an Menschen richtet, die nur schlecht oder überhaupt nicht sehen können. Er richtet sich vielmehr an alle Menschen, die ein Ziel vor Augen haben, das zu erreichen sie sich aber nicht zutrauen, weil sie der Ansicht sind, nicht die nötigen Fähigkeiten dafür zu besitzen.
Dass man Großes leisten kann, auch wenn niemand an einen glaubt, das beweisen in diesem Dokumentarfilm von Lucy Walker nicht nur Sabriye und Eric, sondern ganz besonders auch die sechs Kinder, deren unterschiedliche Lebensumstände dem Zuschauer nach und nach enthüllt werden. Eine Sonderrolle erhält dabei Tashi, ein 19jähriger von Geburt an blinder Junge, der im Alter von 10 Jahren von seinem Vater an ein chinesisches Paar verkauft und von diesem unter Prügel und Folter zum Betteln gezwungen wurde.
Sabriyes unglaubliche Leistung wird besonders anhand dieses Einzelschicksals deutlich, wenn man nämlich erfährt, dass Tashi dank ihrer Hilfe nicht nur lesen, schreiben und die englische Sprache gelernt hat, sondern mittlerweile auch eine gutlaufende Massagepraxis führt. Doch auch die anderen Schüler des Projekts konnten schon neun Jahre nach dessen Gründung eigene Geschäfte aufbauen und als Haupternährer für ihre Familien sorgen oder sich zumindest selbstständig in der Gesellschaft bewegen. Seitdem gilt das Projekt "Braille Without Borders" international als vorbildliches und vielfach gewürdigtes Modell für visuell Beeinträchtigte in Entwicklungsländern. (Die Schule steht inzwischen übrigens unter der Leitung Kyilas, einer der "Bergsteigerinnen".)
Dadurch, dass einer der Schüler besonders in den Vordergrund gerückt wird, werden die anderen im gleichen Maß in den Hintergrund gedrängt. Vor allem von den beiden Mädchen Kyila und Sonam Bhumtso hört und sieht man während des Aufstiegs nur wenig. Das liegt nicht nur daran, dass der Blick immer wieder von der atemberaubenden Kulisse des Himalaya abgelenkt wird, sondern auch daran, dass die zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen den Erwachsenen immer größeren Raum einnehmen.
Sehr interessant zu beobachten ist in der Tat die Wandlung, die das Team durchmacht, das sich ganz offenbar auf den Weg gemacht hat, ohne einige grundsätzliche Dinge geklärt zu haben. Zum Beispiel, worum es bei der Expedition eigentlich geht und was damit im Endeffekt erreicht werden soll. Auch Erfolg und Niederlage sind nur Worte, die ein und denselben Sachverhalt beschreiben können, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man ihn betrachtet.
Doch nicht nur inhaltlich, auch visuell hat der Film einiges zu bieten und das obwohl er unter teilweise extremen Bedingungen entstanden ist. Denn man sollte niemals vergessen, dass nicht nur die Kinder, sondern auch das Filmteam aus gänzlich unerfahrenen Bergsteigern bestand, das unter für sie neuartigen und harten Bedingungen arbeiten musste und dass es bisweilen auch die chinesischen Behörden und nicht die Regisseurin waren, die den entscheidenden Einfluss auf den Dreh hatten. "Blindsight" ist also aus verschiedenen Gründen ein außergewöhnlicher Film über Menschen, die außergewöhnliches geleistet haben und den Zuschauer dazu auffordern, es ihnen gleichzutun.
Fazit: Ein außergewöhnlicher, interessanter und spannender Dokumentarfilm über eine Gruppe von Menschen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die ihnen gesetzten Grenzen zu sprengen.