Das schwedisch-dänische Mystery-Drama BORDER von Ali Abbasi erzählt die Geschichte der Grenzbeamtin Tina, deren andersartiges Aussehen sie zu einer Außenseiterin der Gesellschaft macht. Als sie auf den ihr ähnlichen Vore trifft, ändert sich ihr bisheriges Leben für immer.
Tina ist anders. Ihr Gesicht hat animalische Züge, die Nasenflügel beben wie bei einem Jagdtier, ihr Auftreten ist burschikos, ihre Mimik unbewegt. Und doch wird die junge Frau von allen geschätzt. Denn als Grenzbeamtin verfügt sie über ein besonderes Talent: Sie kann das Schlechte riechen. Und somit Schmugglern oder anderen Kriminellen das Handwerk legen. Als eines Tages der geheimnisvolle Vore vor ihr steht, erkennt sie, dass er ebenfalls anders ist. Seine Gesichtszüge sind Tinas sehr ähnlich, auch die Liebe zur Natur und das verschlossene Verhalten sind gleich. Tina fühlt sich auf geheimnisvolle Weise zu Vore hingezogen - doch weiß sie nicht, wie sie mit dem Gefühl des Begehrens und der Liebe umgehen soll. Denn als sie von Vore die Wahrheit über ihre eigene Herkunft erfährt, muss sie entscheiden, ob sie das Leben, was sie für sich akzeptiert hat, so noch weiterleben kann. Mit BORDER, dem Preisträger der Reihe Un Certain Regard bei den Filmfestspielen in Cannes, gelingt dem iranisch-schwedischen Regisseur Ali Abbasi ein außergewöhnliches Meisterwerk. Wie ein einziger Fluss bewegt sich der Film zwischen den Genres, ist Kriminalfilm, Drama und Mystery-Romanze zugleich, und bleibt doch immer ganz nah bei seiner Hauptfigur und im Realismus der Verhältnisse. Schon die erste Einstellung verrät, mit welcher unglaublicher Präsenz und Kraft Eva Melander ihre Rolle ausfüllt. Sie verleiht Tina eine Wärme, Würde und Liebenswürdigkeit, die das Aussehen zu etwas Nebensächlichem macht. Im Zusammenspiel mit Tieren und der Natur, die Kameramann Nadim Carlsen in fast mystische Bilder taucht und der atmosphärische Score von Christoffer Berg und Martin Dirkov noch unterstreicht, wird klar, wieviel Kraft und Ausstrahlung Tina besitzt. Besonders in den Szenen mit Vore (eindrucksvoll: Eero Milonoff) wirkt dies besonders eindringlich, wenn sich Menschliches und Animalisches auf ganz natürliche Weise verbinden. Das Figurenensemble ist gefüllt mit ambivalenten Figuren, die ganz gegen das Klischee keine Mauer gegen Tina bilden, sondern sie in ihrer Gesellschaft vorbehaltlos akzeptieren. In seiner Komplexität, seinen stetigen Überraschungen und Wendungen und dem Mut zu unkonventionellen Figuren ist BORDER ein großes filmisches Wagnis. Und ein eben solcher Triumph.
Jurybegründung:
Es gibt wohl kaum einen Film, auf den sein Titel mehr zutrifft als auf Al Abbasis Debütfilm BORDER. Wie nur wenige gegenwärtige Werke balanciert er auf dem schmalen Grat zwischen Arthouse- und Genrekino, lässt sich nicht eindeutig auf eine der beiden Filmarten festlegen und vereint doch das Beste sowohl des anspruchsvollen wie auch des fantastischen Kinos in sich.
Im Mittelpunkt steht die missgebildete Zollbeamtin Tina (herausragend gespielt von Eva Melander), die über eine ganz besondere Begabung verfügt, welche für ihren Job ideal ist: Sie kann die Gefühle der anderen Menschen riechen, sie verfügt über die Fähigkeit, Scham, Schuld und Wut zu wittern und verhilft ihren Kollegen damit zu Erfolgen beim Zugriff auf kriminelle Menschen, die gerade nach Schweden einreisen. Ansonsten lebt sie zurückgezogen in einem Häuschen im Wald, lässt den Hundezüchter Roland bei sich hausen, der sie eigentlich nur ausnutzt und besucht ab und zu ihren Vater, der in einem Altersheim lebt. Bis sie eines Tages am Zoll auf Vore trifft, einen Mann, der ihr in gewisser Weise gleicht und durch den sich ihr eine neue Welt eröffnet. Eine Welt, durch die sie zu verstehen lernt, wer sie wirklich ist und welches Geheimnis sie in sich birgt …
BORDER ist ein Film voller Überraschungen, der sich gängigen Erzählmustern verweigert und immer wieder neue, überraschende, bizarre Wendungen aus dem Hut zaubert und der dadurch trotz seiner Bedächtigkeit und Langsamkeit zu keinem Zeitpunkt je langweilig wird. Gebannt folgt man als Zuschauer Evas Weg zu sich selbst und wird dabei mit all den Fragen konfrontiert, denen sich auch Eva im Laufe ihrer Reise ausgesetzt sieht. Und in denen geht es um Fragen, die letztlich jeden von uns betreffen: Wer bin ich? Was ist meine Bestimmung und meine Natur? Wie finde ich Erfüllung? Wo ist mein Platz in der Welt?
BORDER verströmt eine filmische Wucht, die in nahezu jedem Bereich Außergewöhnliches leistet: Kamera, Musik, Schnitt, Maske und die durchweg fantastischen Schauspieler fügen sich wie von selbst zu einem faszinierenden Gesamtkunstwerk zusammen, das auf gute und bereichernde Weise irritiert und verstört, inspiriert und fasziniert. Und dazu ist BORDER ein Film, bei dem man am Ende völlig vergessen hat , dass anfangs die „Hässlichkeit“ Tinas so sehr im Fokus der eigenen Aufmerksamkeit stand und man darüber hinaus völlig übersehen hat, wieviel Schönheit und animalische Kraft in dieser Frau liegt.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)