Dass dieser Film unglaublich langsam erzählt ist, ist kein Problem, wenn man es vorher weiß und sich darauf einstellen kann. Wenn man also keinen Actionkracher erwartet, sondern das, was der Film darstellt: ein ruhiges, zurückgenommenes Porträt menschlicher Abgründe, Leidenschaften, Geheimnisse, und des Umgangs damit. Gleich zu Anfang wird die ästhetische Strategie von Regisseurin Nanouk Leopold klar: ein leeres, helles Appartement, dazu atmosphärische Musik, und dieses Bild bleibt (gefühlt) minutenlang stehen. Im weiteren Verlauf werden wir eine Menge ruhige Großaufnahmen von Sandra Hüllers Gesicht sehen, die einfach nur guckt und die dafür genau die richtige Darstellerin ist. Weil sich, wie Leopold sagt, in Hüllers Gesicht all ihre Gedanken spiegeln, in minimalsten Regungen. Vielleicht aber ist dies auch nur eine Projektion des Zuschauers, eine Art Kuleschow-Effekt, also das Hineinlesen von Emotionen in ein ansonsten völlig leeres, ganz unbewegtes Gesicht wofür freilich auch erst einmal die genau richtige Darstellerin gefunden werden muss. Und die richtige Kameraposition, die richtige Lichtsetzung Hüllers Gesicht scheint in einer Art niemals künstlich wirkendem ätherischen Leuchten versunken zu sein.
Immer wieder lässt Nanouk die Handlung außerhalb des Bildrahmens der Handlung ablaufen, erzählt nur über Geräusche. Oder lässt ihre Figuren am Rand des Bildkaders agieren, was eine seltsam schiefe Bildbalance ergibt, mit viel leerem Raum und dem Schwerpunkt am Rand. Diese Ästhetik hat zu tun mit dem Inhalt, mit Sandra Hüllers Figur der Charlotte: die ein glückliches Leben führt, emotional aber in einer Schieflage liegt, die ein Doppelleben führt. Sie hat das Appartement gemietet, hierher führt sie fremde Männer, um mit ihnen zu schlafen. Männer, die sie in ihrem Beruf als Ärztin trifft in der Klinik, Männer mit ästhetischen Defekten: einer ist unglaublich behaart, einer hat Glatze, einer ist sehr, sehr dick
Mit ihnen betreibt sie Freizeitgestaltung; und will sie hinterher nie wieder sehen. Dieses Treiben zeigt Leopold in ästhetisierten, niemals expliziten Bildern. Und damit ist der erste Teil des in drei Kapiteln eingeteilten Films vorüber.
Der zweite Teil beginnt ebenfalls mit einer langen, statischen Einstellung eines Raumes; hier arbeitet Charlotte mit einer Psychologin (die fast nie im Bild zu sehen ist) ihr Hobby auf. Oder nein: sie arbeitet nicht an sich, sie stottert, druckst um Erklärungen herum und sagt eigentlich gar nichts aus, um ihre Leidenschaft, ihr Verlangen zu erklären. Und auf direkte Nachfrage warum ausgerechnet diese Männer, dieses monomanische, fast fetischhafte Verlangen nach dem Fehler, nach der Abweichung von der Schönheitsnorm, da fängt Charlotte nur noch leise zu weinen an.
Keine Frage: Der Film will das Geheimnis nicht lüften. Und vielleicht kennt Nanouk Leopold die Ursache von Charlottes Treiben auch selbst nicht. Vielleicht ist der Film einfach eine Versuchsanordnung, was wäre wenn: Dadurch, dass Leopold ihren Charakter nie in die Tiefe beleuchtet, dadurch, dass sie offenlässt, ob überhaupt Tiefe da ist. Was den Zuschauer noch ratloser zurücklässt, als er ohnehin ist. Und was dem Film, der eigentlich die Erforschung eines Phänomens der Leidenschaften, der Irrungen und Wirrungen eines Menschen sein will, der in seinem Alltag gefangen ist, was aus diesem Film etwas unangemessen ein Rätselspiel macht, für das es keine Lösung gibt.
Dass Brownian Movement nicht auf Erklärungen aus ist, zeigt sich auch daran, dass der Titel nie erläutert wird. Er bezieht sich auf die 1827 von Robert Brown entdeckte Molekularbewegung, etwa von Luftmolekülen, die sichtbare Staubteilchen im Sonnenlicht wie zufällig hin und her stoßen. So sieht Nanouk Leopold das Leben, erklärt sie: dass wir von kleinsten, unsichtbaren Ursachen hin und her geworfen werden, ohne dies genau erklären oder entschlüsseln zu können.
Das dritte Kapitel schließt die minimalistischste Erzählung um Charlotte ab: nach phänomenologischer Beschreibung der nymphomanischen Akte kam der Versuch einer Erklärung, nun folgt der Versuch, damit zu leben. Charlotte und ihre Ehemann sind nach Indien gezogen, haben nun zwei weitere Kinder, Zwillinge, und versuchen sich wieder im wohlanständigen bürgerlichen Leben. Ein Mangel in diesen letzten 15, 20 Minuten ist, dass wir Charlotte in ihrer geheimnisumwobenen Art nun kennen, dass ihr Mann aber kein rechtes Gegengewicht bieten kann; die langsame, bewusst sperrige Erzählweise wird dadurch noch widerspenstiger, dass nun, wo es direkt um die Beziehung des Ehepaares geht, dessen eine Hälfte völlig substanzlos bleibt. Noch immer wird Charlotte getrieben, hierhin und dorthin, auf verlassenen, tristen Baustellen sitzt sie herum. Und ihr Mann hat die Untreue noch nicht verwunden, das Vertrauen nicht wieder voll aufbauen können. Kann das Leben weitergehen? Der Film sicherlich nicht. Er bricht unvermittelt ab.
Fazit: Ein verrätselter, rätselhafter Film um eine Frau mit großem Geheimnis. Ein Film, der sich niemals erklärt, der nicht einmal behauptet, dass es Erklärungen gibt. Und der dadurch unnötig sperrig wird.