Das Milieu: Die belgischer Rinderzuchtszene mit all den Wachstumshormonen, mit all den kleinen, wirksamen chemischen Mittelchen, die die Rinder künstlich aufpumpen: schnelles Wachstum für ein schnelles Steak, billige Aufzucht für billige Nahrung. Da sieht man dann aufgereiht all die Fläschchen, Spritzen, Mixturen, die mehr Profit vom Fleischwachstum versprechen, die Ställe sind Mastfabriken, die Rinder sind das Kapital, das sich möglichst billig vermehren soll. Doch ist dies kein Film, der einem die Mechanismen der Nahrungsmittelindustrie nahe bringen soll, der aufrütteln will über die unmenschlichen, untierischen Methoden der modernen Viehwirtschaft, der profitorientierte Fleischproduktion und/oder ignorantes Verbraucherverhalten anklagen will. Für so etwas gibt es engagierte Dokumentarfilme. Michael R. Roskam inszeniert in seinem Langfilmdebüt einen Gangster- und Mafiafilm mit Noir-Touch. Einen Genrefilm, der zugleich Meditation ist über Männlichkeit und Menschlichkeit, über vergangene Freundschaft und über Liebesobsession, über das Tier im Menschen, über den Stier im Mann.
Jacky ist der muskelbepackte Chef einer großen Rinderzucht. Nicht nur seinen Rindern, auch sich selbst spritzt er massenhaft Testosteron, oben in seinem Zimmer, um dann schnaufend und schnaubend seine stählernen Fäuste durch die Luft sausen zu lassen, ein Boxkampf gegen niemanden. Fehlt nur noch, dass er muht. In seinem Stall hält er menschengemachte Stiere; er selbst ist ein zum Stier gemachter Mensch. Das zeigt sich im Lauf des Films, wenn wir eintauchen in die Welt der Hormonmafia und der Fleischkartelle, bei denen Jacky mitspielt: Drohungen gegen Zulieferer, strategische Partnerschaften mit korrupten Veterinären, Kooperationen mit dubiosen Fleischhändlern
Dass er dabei versehentlich in einen Mordfall gerät, bei dem ein hartnäckiger Polizist von den mafiösen Fleischgangstern gekillt wurde; und dass er unversehens auf einen Kindheitsfreund trifft, auf Diederik, mit dem er das Geheimnis seiner Kindheit, seiner Identität teilt das ist das Unglück für Jacky.
Plötzlich geraten wir in eine Rückblende das ist der Moment, wo der Film vom Gangsterkrimi zum Gangstermelodram umschwenkt. Und bei dem klar wird, dass Jacky gar nicht anders kann: Weil er immer schon aufgewachsen ist mit Spritzen und Hormonen, und weil er irgendwann diese Spritzen und Hormone selbst brauchte: Weil es da eine Szene gibt, die unglaublich schmerzhaft ist, sicherlich auch für den weiblichen Teil des Publikums, wo ein minderbemittelter, hemmungsloser und brutaler Jugendlicher mit zwei Steinen bei Jacky
Man kann es nicht beschreiben. Jacky jedenfalls braucht fortan Testosteron, seine Männlichkeit wäre sonst gänzlich dahin; und seine Eltern brauchen die Beruhigung, dass er dennoch nicht schwul wird. Was, in einer ironischen Volte, Jackies damaliger bester Freund Diederik geworden ist
Zufälle kann es nicht geben, erklärt Eva Forrestier, die Kommissarin, die hinter der Rindermafia her ist; und die Diederik als V-Mann einsetzt. Und wegen dieser Ansicht: Dass nichts versehentlich passiert, dass das Unwahrscheinliche einem Plan folgt, fällt Jackys Welt zusammen. Hat er etwas mit dem Mord am dem Bullen zu tun? Warum finden sich die Reifen des Täterfahrzeugs auf seinem Hof? Will Diederik ihn in die Pfanne hauen? Und Lucia, die Frau, die er als Junge geliebt hat: Will sie etwas von ihm wissen? Kunstvoll baut Roskam seinen Plot auf, eines fügt sich ins andere. Das wirkt ab und an etwas zu gewollt und zu konstruiert, Diederiks Homosexualität etwa, oder Jackys monothematische Obsession für Lucia, die nach 20 Jahren Latenzzeit urplötzlich wieder aufflammt. Doch im Sog der Story, im Vorwärtsdrang des von Zufällen durchsetzten Schicksals fällt das kaum ins Gewicht. Zumal sich Jacky tatsächlich immer mehr in einen Bullen verwandelt, in einen mächtigen, unaufhaltsamen einsamen Kämpfer, nur noch Körper, der seinen Kopf vornehmlich für Stöße benutzt, der brutal und direkt, mit angelegten Scheuklappen, stur und dickköpfig seinen Weg geht. Wohin er auch führen mag.
Fazit: Stimmungsvoller Noir-Gangsterfilm im Milieu der belgischen Hormon- und Fleischmafia; und zugleich das Melodram eines Jungen, der nie aus eigener Kraft ein Mann sein konnte, ein Drama von verlorener Liebe und verlorener Freundschaft: Der Weg eines stieren, sturen Mannes zu seiner Schlachtung. Nominiert für den Europäischen Filmpreis und Belgiens Kandidat für den Oscar.