Mit seiner vierten Regiearbeit bringt der Regisseur Emin Alper einen packenden Politthriller mit unverkennbarer Gesellschaftskritik von einer anatolischen Kleinstadt auf die große Leinwand.
Als der junge idealistische Staatsanwalt Emre in das abgelegene Städtchen Yaniklar, inmitten der trockenen und heißen Ebenen Anatoliens, versetzt wird, fallen bei seiner Ankunft Schüsse in den engen Gassen. Durch die Stadt zieht sich die Blutspur eines erlegten Wildschweins, umgeben von einem grölenden Mob an Männern. An diesem Ort soll Emre den Behörden inmitten einer Bürgermeisterwahl und einer akuten Wasserkrise auf die Finger schauen.
Bereits mit den ersten Szenen von „Burning Days“ zeichnet der Regisseur und Drehbuchautor Emin Alper ein bedrohliches Bild. Der atmosphärisch dichte Thriller mit dem türkischen Schauspieler Selahattin Pasali („Mitternacht im Pera Palace“) in der Hauptrolle wurde bei seiner Premiere in Cannes bereits hochgelobt und startet hierzulande am 28. September 2023 in die Kinos. Der Trailer gibt erste Eindrücke in das verwobene Geflecht aus Korruption und Lügen, mit dem sich der Staatsanwalt konfrontiert sieht:
Was geschah in jener Nacht?
Emre beginnt seine Arbeit in Yaniklar und findet sich schon bald an einem klaffenden Krater am Stadtrand wieder. Kein Einzelfall in der Umgebung, denn das Grundwasser wurde so stark übernutzt, dass der poröse Boden regelmäßig droht, ganze Häuser zu verschlingen. Doch auch menschlich tun sich in der trockenen Kleinstadt zunehmend Abgründe auf. Obwohl es mit Wahlen, einer oppositionellen Presse und unter der Richterin Zeynep (Selin Yeninci) auf den ersten Blick mit rechten Dingen zugeht, wird Emre von Murat (Ekin Koç), einem Journalisten der lokalen Oppositionszeitung, eines Besseren belehrt. Murat warnt vor den korrupten Machenschaften der herrschenden Familien und schon bald erfährt Emre schmerzlich am eigenen Leib, was hinter den geschlossenen Türen wirklich passiert.
Als er vom Anwalt und Sohn des Bürgermeisters Sahin (Erol Babaoglu) und dessen Freund, dem Zahnarzt Kemal (Erdem Şenocak), zum Essen eingeladen wird, hat der frischgebackene Staatsanwalt noch die Hoffnung, seine Autorität und die des Gesetzes zu demonstrieren und unterschätzt gänzlich die vorherrschenden Machtstrukturen. Im Garten des Bürgermeisters wird ihm der Raki förmlich eingeflößt und der bald stark alkoholisierte Emre verliert die Kontrolle, während die Gastfreundschaft zunehmend unangenehmere Ausmaße annimmt.
An die Details dieser dramatischen Nacht erinnert sich der Staatsanwalt im Nachhinein nur verschwommen. Möglicherweise gar unter Drogen gesetzt, kann er nicht verhindern, dass es zu einem brutalen Übergriff auf das geistig behinderte Roma-Mädchen Pekmez kommt. Konfrontiert mit seinem ersten Kriminalfall, in den er unfreiwillig selbst verwickelt ist, ordnet Emre die Verhaftung der Vergewaltiger an, was ihn weiter ins Visier der einflussreichen Eliten der Kleinstadt rückt und tief in die gesellschaftlichen Strukturen blicken lässt. Schon bald weiß der junge Mann nicht mehr, wem er noch vertrauen kann und gerät an seine eigenen Grenzen.
Yaniklar – Fiktion mit wahrem Kern
Aufgewachsen in Zentralanatolien schafft der Filmemacher Emin Alper mit der fiktiven Stadt Yaniklar in „Burning Days“ einen Ort, an dem konservative Traditionen an erster Stelle stehen. Umso kritischer beäugen die Stadtoberhäupter den jungen Staatsanwalt Emre, als dieser altbewährte Bräuche, wie die Schüsse auf offener Straße bei der Wildschweinjagd, verbieten will oder gar droht, den Sohn des Bürgermeisters hinter Gitter zu bringen.
Inmitten der Wüste, begleitet von Grillenzirpen und den entfernten Schüssen und Schlachtrufen aufgebrachter Mobs, zeichnet Alper einen Ort, geprägt von zügelloser Korruption, wo jegliche Reformen abgelehnt werden. Er schafft einen Mikrokosmos, der symbolisch für die politischen Geschehnisse in seiner Heimat, der Türkei steht. Bereits mit seinen vorherigen Spielfilmen „Tepenin Ardi“ („Beyond the Hill“) und „Abluka“ lieferte er hintergründige Kommentare zu türkischen Gesellschaftsstrukturen ab und wurde mit zahlreichen Auszeichnungen, wie etwa dem Caligari-Preis der Berlinale, prämiert.
Zwischen Hochspannung und scharfsinniger Gesellschaftskritik
Doch auch jede andere Gesellschaft, in der autoritäre Populisten an der Macht sind, wird in „Burning Days“ treffend porträtiert, indem Themen wie Fremdenfeindlichkeit, insbesondere Antiziganismus (Rassismus gegen Sinti und Roma) angeschnitten werden, während das den gesamten Thriller umspannende Thema der Wasserknappheit den politischen Missbrauch von Umweltressourcen anprangert. Die männliche Dominanz und vorherrschende Misogynie zeigen sich am tragischen Missbrauchsfall der jungen Pekmez und an der schieren Abwesenheit weiblicher Protagonistinnen. Bis auf die Richterin Zeynep und Pekmez bemerkt Emre in einer Szene selbst, noch keine einzige junge Frau in der Stadt gesehen zu haben.
Dafür lernt der junge Staatsanwalt den Journalisten Murat kennen, dem sein „unmoralischer“ Ruf vorauseilt. Murat ist nicht nur aufgrund seiner oppositionellen Position in vielen Kreisen Yaniklars unerwünscht, sondern auch wegen seiner vermeintlichen Homosexualität. Die Homophobie der Stadtbewohner bekommt auch Emre zu spüren, je näher er Murat kommt, denn auch wenn zwischen den beiden Männern nie explizit etwas passiert, so ist die Spannung zwischen ihnen doch greifbar. Die authentische Anziehung und Sehnsucht zwischen diesen beiden einsamen Außenseitern war es auch, die „Burning Days“ eine Nominierung für die Queer Palm im Rahmen der Filmfestspiele von Cannes verschaffte.
Die Symbolik in Emin Alpers Kinofilm „Burning Days“ ist ausgetüftelt und seine Bilder hallen noch lange nach dem Abspann nach. Ein Kinobesuch bietet dem Publikum mehr als nur einen spannenden Thriller – an der Seite von Staatsanwalt Emre kann es eine haarsträubende Polit-Verschwörung aus erster Hand verfolgen und einen ungeschönten Blick auf den verdorbenen Kern populistisch regierter Gesellschaften erhaschen. Ein nachhaltig aufwühlender Film über wichtige und brandaktuelle Themen.