Heute ein Tochterunternehmen des Unterhaltungsgiganten Disney, hat Marvel einen steinigen Weg hinter und eine goldene Zukunft vor sich. Lest hier über die Geschichte von Marvel.
Heldendämmerung — von Timely über Atlas zu Marvel Comics
1939 gründete Moe Goodman, ein Verleger von Pulpmagazinen und Comicheften, den Verlag Timely Publications, in dem die erste Ausgabe des Marvel-Comics-Heftes mit der Fackel (im Original „The Human Torch“) und dem Sub-Mariner erschien. Die Ausgabe war mit fast 900000 verkauften Exemplaren ein großer Erfolg und der Startschuss für viele weitere Superhelden: 1941 erblickte dann Captain America das Licht der Comicwelt und war ebenso ein Volltreffer. Außer diesen drei Helden konnte Timely allerdings zunächst keinen ähnlichen Hit landen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Superhelden auf dem Comicmarkt in den USA aus der Mode, weshalb Goodman das Gros seiner Superheldencomics absetzte und sich auf andere Genres wie Western, Horror, Krimi, Spionage und viele mehr konzentrierte. 1951 wurde Timely Comics zu Atlas Magazines, das sich außer einem kurzen und erfolglosen Revival der Captain-America-Comics 1953 von Superhelden fernhielt.
In den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren gelang der Konkurrenz von DC Comics eine erfolgreiche Wiederbelebung von Superheldencomics mit Figuren wie dem Flash, Green Lantern und weiteren Justice-League-Mitgliedern wie Superman, Batman und Wonder Woman.
1961 wies Goodman seinen Chefredakteur der Comic-Abteilung von Timely, Stan Lee, an, sich auch ein Superheldenteam auszudenken, das ebenso erfolgreich wie DCs Justice League of America sein sollte. Lee liebäugelte schon lange mit einem Karrierewechsel und hatte nichts zu verlieren, und so riet ihm seine Frau, wirklich nur mit solchen Themen zu experimentieren, die ihn wirklich interessierten. Stan Lee folgte ihrem Rat und schuf zusammen mit Jack Kirby die Fantastischen Vier unter der neuen Marke Marvel Comics.
Lees und Kirbys Superhelden trafen den Zeitgeist: Sie waren von menschlichen Schwächen geplagt und stritten auch untereinander bisweilen gar nicht heldenhaft. Die Comics erreichten so völlig neue Käuferschichten. Lee erfand mit Kirby den Hulk, Iron Man, Thor und die X-Men; mit Steve Ditko erweckte er Doctor Strange und den bis heute beliebtesten Marvel-Helden zum Leben — Spider-Man.
Das Beste an den Comics war damals allerdings die schiere Größe des Marvel-Universums, das sich all die Helden teilten, statt in ihren eigenen Geschichten zu bleiben. Dass Hulk plötzlich bei den Fantastischen Vier reinplatzt oder Spider-Man mit Hawkeye Bösewichte jagt, war eher die Regel als die Ausnahme.
Die Comic-Blase platzt — Marvels Beinahe-Bankrott
In den 1990ern brachen die Absätze auf dem Comic-Markt nach einem kurzlebigen Aufschwung dramatisch ein, und Marvel traf es besonders hart. Nicht nur musste das Unternehmen, das in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Male den Besitzer gewechselt hatte, im Jahr 1996 Bankrott anmelden, es hatte auch noch beträchtliche Schulden – ausgerechnet bei Disney hatte Marvel einen Schuldenberg in der Höhe von 1,7 Millionen US-Dollar angehäuft. Marvel musste ein Drittel seiner Angestellten entlassen und schnell mit einem Plan daherkommen, um sich zu retten und seine Stärken endlich zu Geld zu machen.
Beim Konkurrenten DC Comics, die seit 1976 dem Hause Warner Bros. angehörten, hatte man bereits feststellen können, dass die (finanzielle) Zukunft von Superhelden im Kino lag — „Superman“ von 1978 und „Batman“ von 1989 waren zu Blockbustern geworden. Bei Marvel konnte man bis Mitte der 1990er mit „Howard - Ein tierischer Held“ nur einen kolossalen Flop vorweisen.
Marvels Plan, seine Helden-Franchises an die Filmstudios zu verkaufen, sah nur auf dem Papier gut aus: „Blade“, die erste Kino-Realverfilmung nach dem Verkauf von Marvels Filmrechten an New Line Cinema, spielte 131 Millionen US-Dollar ein. Marvel sah davon jedoch nur 25000 Dollar. Von den insgesamt drei Milliarden Dollar, die „Spider-Man“ und „Spider-Man 2“ einfuhren, gingen schlappe 62 Millionen an Marvel. Irgendwie musste es gelingen, nicht nur die Marvel-Helden aus den Comics auf die Leinwand zu bringen, sondern dabei auch die Kontrolle über Produktion und Distribution zu behalten.
Aufstieg in den Unterhaltungsolymp – Marvel erobert Hollywood
Nachdem Marvel seine beliebtesten Marken-Helden für viel zu wenig Geld hergegeben hatte, war es äußerst zweifelhaft, dass ein Superheldenfilm ohne Spider-Man, die X-Men oder die Fantastischen Vier auch nur annähernd so viele Menschen ins Kino locken würde wie die Blockbuster der glücklichen Lizenzinhaber bei Sony, Fox & Co.
Doch Marvel hatte den beträchtlichen Rest an Superhelden noch in der Hinterhand – und ging voll auf Risiko. Man entschied sich dafür, zuerst einen nur bei Comic-Fans bekannten, arroganten Playboy-Milliardär mit Alkoholproblemen auf die Leinwand zu bringen, verkörpert von einem skandalträchtigen und von Hollywood lange wegen Unzuverlässigkeit gemiedenen Schauspieler, inszeniert von einem Indie-Filmemacher. Was konnte bei „Iron Man“ schon schiefgehen?
Anscheinend gar nichts: Robert Downey Jr. spielte Tony Stark alias Iron Man in Jon Favreaus Blockbuster-Regiedebüt perfekt. Der Film spielte bei 140 Millionen Dollar Produktionskosten weltweit 585 Millionen ein und vollendete die Kunst der Post-Credit-Scene. Eigentlich als Belohnung für Zuschauer gedacht, die sich den Abspann eines Films ganz ansehen, erwies sich die Abspannszene als Marketing-Tool, um Marvel-Fans weltweit zum Spekulieren darüber einzuladen, was als Nächstes zu erwarten sei: Das Marvel Cinematic Universe, kurz MCU, war geboren.
2009 kaufte Disney Marvel für 4,3 Milliarden Dollar auf – ein Schnäppchen, wenn man bedenkt, dass allein das MCU mit 20 Marvel-Filmen in 10 Jahren weltweit über 17 Milliarden Dollar an den Kinokassen eingespielt hat.
Nimmt man noch die Einnahmen aus den Comics, den Marvel-Spielen, den Marvel-Serien (allen voran die aus der Kooperation zwischen Marvel und Netflix), den Lego-Marvel-Spielzeugen und -Videospielen und all die Lizenzeinnahmen für Merchandisingprodukte aus dem Marvel-Universum hinzu, wird schnell klar, dass Marvel spätestens im Hause Disney in den Olymp der Unterhaltungsindustrie aufgestiegen ist. Nicht übel für eine Firma, die vor nicht einmal 20 Jahren fast das Handtuch geworfen hätte.
Marvel ist noch lange nicht mit uns fertig: 2019 erwartet Fans der Kinofilme der erste Auftritt der mächtigsten Marvel-Heldin in „Captain Marvel“, welche die vorerst geschlagenen Avengers zum Sieg über Marvel-Bösewicht Thanos in „Avengers 4“ führen soll — dem mit Abstand am sehnsüchtigsten erwarteten Blockbuster des Jahres 2019.