Coriolanus ist eines der weniger bekannten Werke von William Shakespeare; vielleicht liegt es daran, dass es sehr komplexe Konfliktlinien umschreibt, dass viele Handlungsstränge zusammenlaufen, dass die Titelfigur alles andere als sympathisch ist es ist eben kein Wohlfühlprogramm, das da abläuft; emotional und packend ist es aber doch, wenn man es richtig inszeniert.
In seinem Regiedebüt packt Ralph Fiennes den Coriolanus ganz modern an; ein Ansatz, wie ihn auch Baz Lurman für seinen Romeo und Julia verwendet hat, um ein romantisch-tragisches Pop-Teenie-Drama zu schaffen. Fiennes macht aus Coriolanus einen wuchtigen, drastischen Kriegsfilm, einen spannenden Politthriller und das funktioniert hervorragend, zunächst zumindest.
Wir sehen ein modernes Bürgerkriegsgebiet, die hungernde Bevölkerung im Aufruhr, Caius Martius als harscher Vertreter von Recht und Ordnung stellt sich ihnen entgegen, kann seine Verachtung für das einfache, nicht-soldatische Volk nicht verbergen. Dann sehen wir Martius im Kriegseinsatz gegen das aufständische Nachbarvolk unter Führung von Tullus Aufidius, Martius Erzfeind, und das ist ein heftiger, blutiger, nervenzerfetzender Häuserkampf, mit Heckenschützen, ständiger Gefahr, Explosionen, Töten, Kriegslust, aufpeitschenden Reden, hochkochendem Adrenalin. Inszeniert mit allen Mitteln des Kinos, um den Zuschauer zu involvieren, ihn hineinzuziehen und mit dem blutigen Spektakel zu konfrontieren der Kameramann von Coriolanus war auch der von The Hurt Locker/Tödliches Kommando.
Das Ganze wird ständig gespiegelt durch die Medien, der Nachrichtenkanal ist omnipräsent und dass die Nachrichtensprecher, die Reporter, die Politiker und Generäle in altmodischem Shakespeare-englisch reden, stört kein bisschen. Nein: Durch die Verbindung der klassischen Sprache mit der modernen Bildsprache erhält der Film eine weitere, zeitlose Ebene, eine innere Spannung, die dem Film gut ansteht; so wie auch Romeo und Julia von der Originaltreue der Redeweise profitiert hat.
Die Rasanz der Bilder, die Kraft der Sprache trägt den ersten Teil des Films; und auch die Handlung, das Drama um Martius, der nach seinem Kriegserfolg den Ehrentitel Coriolanus erhält, ist stark. Der Kriegsheld soll zum Politiker umgeformt werden, soll Konsul werden, und alsbald verstrickt er sich in politische Intrigen, muss dem Volk das er nach wie vor verachtet Honig ums Maul schmieren, muss bösartigen Hinterhalten der Volkstribune standhalten; muss sein soldatisches Temperament zügeln und diplomatisch agieren, seinen Stolz, seine Arroganz zügeln. Diverse Interessen treffen aufeinander, Populismus und Demagogie, Staatstreue und soldatische Pflicht; und sie führen zur Verbannung des kurz zuvor noch für seine Heldentaten gerühmten Coriolanus. Und er verbündet sich mit seinem Feind, mit Aufidius gegen Rom, gegen seine Heimat, der er aus Enttäuschung, Wut, verletztem Stolz den Rücken gekehrt hat.
Ab dieser Stelle lässt der Film nach. Vielleicht hat sich einfach der staunenswerte Rausch der Verbindung von Klassik und Moderne verbraucht. Eigentlich aber ist es wohl doch ein Mangel an Timing, an dramaturgischer Finesse, der sich hier zeigt nun, da auf der Handlungsschiene nicht mehr so viel geschieht wie auf der Charakterebene. War zuvor die Modernisierung zwingend erschienen mit all ihren Assoziationen zu aktuellen Nachrichtenbildern Staatspleiten, Bürgerkriege (gedreht wurde ausgerechnet in Serbien, Zentrum der jugoslawischen Bürgerkriege der 90er), die derzeitigen Revolutionen im arabischen Raum , so beginnen nun die vielen Theatermonologe zu stören, die Sprache wird störrisch, die Bilder stocken. Vieles an den Dialogen hätte Fiennes kürzen können, ohne an Figurencharakterisierungen zu verlieren; im Gegenteil: die Konflikte wären noch schärfer hervorgetreten.
Denn jetzt beginnt der Mutter-Sohn-Konflikt in Vordergrund zu treten, Coriolanus war von seiner Mutter martialisch erzogen worden, sein kriegerisches Wesen wurde geweckt, sein absoluter Wille, der keine Kompromisse kennt, wurde gestählt. Und nun wendet sich diese menschliche Kriegsmaschine gegen die Heimat, auch gegen die Familie, gegen die eigene Mutter
Irgendwo verliert Regisseur Fiennes der mit professionellem Bravour auch die Titelfigur spielt dabei den Impuls, das Vorwärtsdrängen, das die erste Hälfte seines Debüts ausgemacht hat. Vielleicht werde er noch einmal ein Shakespeare-Stück verfilmen, meinte er auf der Berlinale. Und vielleicht wird ihm dann nicht die inszenatorische Puste ausgehen.
Fazit: Eine spannende, spannend inszenierte Shakespeareverfilmung, absolut modern als Kriegs- und Politthriller aufbereitet: ein fulminantes Regiedebüt von Ralph Fiennes. Leider geht dem Film in der zweiten Hälfte die Puste aus.