FBW-Pressetext:
Gestochen scharfe Satire und spannender Politthriller in einem.
Basierend auf realen Vorkommnissen erzählt das satirische Drama von Johannes Naber von einem BND-Bio-Kampfstoffexperten, der von der Idee besessen ist, dass der Irak heimlich Biowaffen herstellt. Zur Jahrtausendwende trifft er auf den Informanten ,Curveball‘, der ihm diese Ahnung zu bestätigen scheint - bis sich dessen Aussagen zunehmend als Lügen erweisen. Mit geistreichem Gespür für die Absurdität der realen Geschehnisse und grandios aufspielenden Darsteller*innen erzählt Naber formvollendet die wahre Geschichte einer weltumspannenden Lüge.
Mit CURVEBALL - WIR MACHEN DIE WAHRHEIT ist Johannes Naber nach ZEIT DER KANNIBALEN erneut ein Film gelungen, der mit sezierendem Blick genüsslich gesellschaftspolitische Mechanismen offenlegt und sie kongenial auf die Spitze treibt. Ob Ausstattung, Musik, Dialogführung oder Dramaturgie: Naber und sein Team gehen schnörkellos, unprätentiös und direkt vor, die Farben von Innen- und Außenräumen sind klar und in ihrer bräunlich-grauen Piefigkeit überdeutlich deutsch. Sebastian Blomberg gelingt als einer Art „Anti-James Bond“ glaubhaft der Spagat zwischen einem ehrgeizigen Wissenschaftler und einem desillusionierten Erfüllungsgehilfen diverser höherer Instanzen, die sich die Wahrheit eben so machen, wie sie sie gerade brauchen. Die einzelnen Vertreter*innen dieser politischen „Mächte“ sind Stereotypen - und allen voran Thorsten Merten als brachial-jovialer Vorgesetzter, Michael Wittenborn als in seiner Eitelkeit verletzter Funktionär und Virginia Kull als doppelgesichtige CIA-Agentin sind ideal besetzt. Die Entdeckung des Films ist Dar Salim, der als irakischer Informant zwischen die Mühlen der Politik gerät und dank seines Spiels zum Herz der Geschichte wird. Der Humor ist trocken, die Dialoge gestochen scharf und das Timing auch der Montage exzellent. So entsteht ein bis zum letzten Bild spannendes Drama, bei dem es viel zu lachen gibt. Auch wenn das Lachen aufgrund der tragischen historischen Tragweite der Vorkommnisse mehr als einmal im Hals stecken bleibt.
FBW-Jury-Begründung:
In seinem ersten Spielfilmerfolg DIE ZEIT DER KANNIBALEN konzentrierte sich Regisseur Johannes Naber in Form eines langsam eskalierenden Kammerspiels bereits auf die Intrigen in den Führungsetagen, die Auswirkungen bis in die Weltpolitik hinein haben. In CURVEBALL setzt er diesen Weg fort und steigert ihn auf spannende Weise fast in den Spionagefilm hinein. Als reales Vorbild dient ihm jener irakische Informant des BND, der Ende der 1990er Jahre falsche Informationen über Saddam Husseins Biowaffenproduktion verbreitete, welche bereits 2002 als widerlegt galten, als die USA auf deren Basis den Krieg gegen den Irak begannen, der einen bis heute andauernden Flächenbrand im Nahen Osten auslöste.
Der BND-Biowaffenexperte Wolf (Sebastian Blomberg) ist nach Recherchen vor Ort davon überzeugt, dass der Irak unter Saddam Hussein trotz der UN-Kontrollen noch immer tödliche Anthrax-Viren produziert. Sein bürokratischer Vorgesetzter Schatz (Thorsten Merten) ernennt ihn daraufhin zum Führungsoffizier für den irakischen Asylbewerber Rafid Alwan (Dar Salim), welcher möglicherweise Insiderinformationen bieten kann. Rafid behauptet, er habe als Ingenieur an Saddam Husseins geheimen Biowaffenprogramm mitgearbeitet. Wolf muss nun nach Beweisen suchen, denn falls sich diese Behauptung als wahr herausstellen sollte, wäre das für den BND eine weltweite Sensation. Der deutsche Nachrichtendienst wäre dem amerikanischen CIA daraufhin viele Schritte voraus. Es beginnt ein Ränkespiel zwischen, dem BND, Wolfs amerikanischer Kollegin Leslie und der CIA. Jeder möchte an dem Zeugen profitieren.
Johannes Naber legt mit subtilem satirischem Gespür den Finger in die Wunde der neoliberalen Systeme und entlarvt ebenso tragikomisch wie verstörend deren skrupelloses Spiel mit dem Schicksal der Menschen. In ZEIT DER KANNIBALEN blieb er in engem Kontext und entlarvte die durchtriebenen Geschäfte einiger Unternehmensberater und deren Spekulationen in einem Bürgerkriegsgebiet. In CURVEBALL - WIR MACHEN DIE WAHRHEIT stellt er die Frage nach der Wahrheit in Politik und Medien. Allenfalls vergleichbar mit der Mediensatire WAG THE DOG zeigt er, wie ein Milieu in Anzügen und muffigen Konferenzräumen einen „Zeugen“ aufbaut, der letztlich zum Grund der amerikanischen Kriegserklärung an den Irak wird. Die treffsicheren Wortgefechte münden in den Tod von Hunderttausenden. Der Film spielt dabei mit den Konventionen des Spionage- und Politthrillers, ohne seine ätzende Ironie preiszugeben. Tatsächliche Actionszenen kommen unerwartet und werden fast parodistisch aufgelöst, wie etwa die bizarre Schlittenjagd gegen Ende, die amüsante Parallelen zu vergleichbaren Standardszenen aus der James-Bond-Reihe aufweist.
Minimalistisch aber effektiv ist in CURVEBALL auch die Musikgestaltung, die mit vereinzelten Streicherakkorden arbeitet und dem Film einen trockenen, lakonischen Duktus verleiht. Sebastian Blomberg glänzt in seiner betont ‚gehemmten‘ Darstellung des emotional verstörten Protagonisten, der den Tod seiner Frau nie verarbeitet hat und sich seiner Tochter entfremdet hat. Er passt perfekt zu dem, was dieser deutsche Film anders macht als seine internationalen Konkurrenten: Er ist nie glamourös, sondern alltagsbasiert und beamtenbezogen; die Ränkespiele im Geheimdienst erscheinen als eine Abfolge von Kleinlichkeiten.
Die Jury war von diesem Film durchweg begeistert und lobte seine pointierte Dramaturgie und Dialogführung, sowie die spannende Personenkonstellation. CURVEBALL weist nicht umsonst eine Nähe auf zu ‚Screwball‘, jener Bezeichnung für die dialogbasierten Komödien der 30er und 40er Jahre. Der Film schafft einen ebenso unterhaltsamen wie frappierenden Einblick in die ‚Konstruktion der Wahrheit‘ im Krieg der Geheimdienste. Wahrheit wird hier degradiert zur Illusion - dennoch sei sie zu ermitteln. Die USA bauen auf ‚Fake News‘ und stellen die ‚Gerechtigkeit‘ über die Wahrheit.
CURVEBALL ist auf hoch spannende Weise unprätentiös, amüsant, geistreich und pointiert - und zudem ungewöhnlich originell, nicht nur angesichts des Themas. Die Jury vergibt daher das Prädikat besonders wertvoll.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)