FBW-Pressetext:
Die Sprache der Liebe ist universell, aber manchmal gerät sie etwas in Vergessenheit. Das geschieht Helga, die vor zwei Jahren von ihrem Ehemann verlassen wurde und sich in der alten gemeinsamen Wohnung zurückgelassen immer tiefer in ein griesgrämiges Leben hineinsteigert. Gemeinsame Doppelkopf-Runden mit ihren Freundinnen befeuern Helgas verletzte Wut nur noch weiter. Als der polnische Arbeiter Ryszard für Helgas Putzfrau einspringt, hat sie eine neue Zielscheibe für ihren Zorn, vor allem weil Ryszard überhaupt kein Deutsch und Helga keine andere Sprache spricht. Doch schon bald entwickeln die beiden Gefühle für einander und gehen eine Verbindung ein, die Helgas Freundeskreis ein Dorn im Auge ist.
Auf dem Drahtseilakt zwischen perspektivloser Einsamkeit und einer frischen jungen Liebe, trotz fortgeschrittenem Alter, überzeugt Mareille Kleins Film, bei dem sie sowohl für Buch als auch Regie verantwortlich zeichnet, auf ganzer Linie. Hervorragende Darsteller:innen, allen voran Ulrike Willenbacher als Helga und Zbigniew Zamachowski als Ryszard, hauchen einem wunderschön beobachtendem Kammerspiel Leben ein, das mit einem wunderbaren Rhythmus und einer großen Portion Wahrhaftigkeit überzeugt. Nichts wirkt unglaubwürdig, angefangen bei der bis ins kleinste Detail authentischen Requisite über die feinen und besonders verletzenden Spitzen der Freundinnen bis hin zur Wandlung der Hauptdarstellerin von Frust zu ausgelassener Lebendigkeit, die sich in Nuancen im Übergang von kantigen Gesichtszügen bis zu einem befreiten Lachen vollzieht. Dieser Film macht einer Generation Mut, die sich davor fürchtet, festgefahrene Lebensrituale trotz Hürden wie einer Sprachbarriere einfach mal hinter sich zu lassen. Gleichsam erzeugt DA KOMMT NOCH WAS an vielen Stellen urkomische Momente, die dem wirklichen Leben entstammen, beispielsweise wenn Ryszard auf einer Gartenparty von den bierbäuchigen Männern der Freundinnen mit verkorkstem Englisch aus deren Sicht in die Mangel genommen wird oder wenn sich Helgas Freundinnen fast kindisch Lügen über Ryszard ausdenken. DA KOMMT NOCH WAS ist eine gelungene Tragikomödie, die in ihren Bann zieht und dank einer federleichten Inszenierung eine frische Liebe spürbar werden lässt.
FBW-Jury-Begründung:
Das Milieu kommt sicherlich allen Zuschauern bekannt vor. Helga ist knapp über 60, in durchaus wohlhabenden Kreisen beheimatet und seit einiger Zeit von ihrem Mann getrennt. Sie ist kulturbeflissen, zumindest in gewissen Maßen, ihr Bungalow - gebaut in den 1960er Jahren - ist gepflegt und irgendwie strahlt ihr Leben nicht nur eine gewisse Sorglosigkeit, sondern auch eine präzise formulierte Langeweile aus. Mareille Kleins DA KOMMT NOCH WAS ist ein Sittenbild aus saturierten Kreisen.
Tatsächlich offenbart der Film peu à peu Einblicke in ein Milieu, das sich für durchaus aufgeschlossen hält, sich aber als äußerst spießig erweist, wenn sein nach außen hin präsentiertes Gutmenschentum hinterfragt wird. In DA KOMMT NOCH WAS wird dies durch einen Sturz eingeleitet. Protagonistin Helga bricht sich den Fuß und ist auf Hilfe angewiesen. Ihre „lieben Freundinnen“ wagt sie nicht anzusprechen, das tut man nicht in diesen Kreisen. Und weil Haushaltshilfe Isabella Urlaub hat, schickt die eine Aushilfe. Ryszard ist Witwer und ein Herz von einem Mann. Allerdings ist er Pole, spricht kein Deutsch und weil Helga kein Englisch kann, erweist sich die Kommunikation der Beiden zunächst als schwieriges Unterfangen.
Anstatt schenkelklopfend über ein elitär-konservatives Milieu herzuziehen, hat Mareille Klein eine herrlich fein ziselierte Komödie geschaffen. Äußerst genau beobachtet und hervorragend gespielt besticht DA KOMMT NOCH WAS durch viele Nuancen. Schnell wird deutlich, dass sich aus der anfänglichen Skepsis Helgas Zuneigung entwickelt. Eine Zuneigung die auch von Ryszard geteilt wird. Facettenreich arbeitet Mareille Klein das Mit- und Gegeneinander der beiden Figuren heraus. Das Verlangen nach Nähe und Zärtlichkeit, das in der Abgeschiedenheit von Helgas Heim bestens funktioniert, wird in der Öffentlichkeit von Milieu- bzw. Klassengegensätzen torpediert. Helga scheut Konsequenzen und so droht ihr heimliches Bekenntnis zu Ryszard immer wieder am Freundeskreis zu zerbrechen.
Dass dies wahrhaftig filigrane Konstrukt auch funktioniert, schreibt die Jury insbesondere der großartigen Besetzung zu. Die bislang noch wenig auf der Leinwand gesehene Ulrike Willenbacher spielt Helga genauso spröde wie authentisch und Zbigniew Zamachowski als Ryszard versteht es, sich meisterhaft auf dem dünnem Eis der Klassenunterschiede zu bewegen, ohne es zu brechen. Mit treffenden Dialogen, die wirken, als wären sie tatsächlich in entsprechender Nachbarschaft mitgeschrieben und einem Set-Design, dass, ohne jemals übertrieben zu wirken, jedem Zuschauer sofort erklärt, in welchem Milieu sich die Protagonisten bewegen, verortet DA KOMMT NOCH WAS das Geschehen mit großer Treffsicherheit.
DA KOMMT NOCH WAS schreckt auch nicht davor zurück, das bizarre Verhältnis Helgas zu ihren Freundinnen zu erläutern. Ihre Neugier wirkt echt, genauso ihre Unfähigkeit, sich an Helgas neugefundenem Glück erfreuen zu können. Sie alle sind Gefangene ihrer Sozialisation. Aber genauso wenig wie Protagonistin Helga in den Kopf kommen könnte, ihre Freundinnen zu verraten, genauso wenig macht sich Klein über ihre Figuren lustig. Sie gibt all ihren Charakteren so viel Background mit, dass sich die Beweggründe für deren Handeln hinreichend erklären. Mareille Klein erweist sich als eine großartige Filmemacherin. Nie wird DA KOMMT NOCH WAS langweilig, niemals droht ihr Film in Peinlichkeit abzurutschen. Mit Eleganz und feinem Humor manövriert ihr Film über jede Klippe und schafft es damit glaubhaft, ihre Protagonist:innen letztlich zu einem Aufbruch zu bewegen. Nach ausgiebiger Diskussion freut sich die Jury daher, das Prädikat „besonders wertvoll“ an DA KOMMT NOCH WAS verleihen zu können.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)