Ein Gebäude besteht aus Stein und Mörtel. Es hat keine Bedeutung, es ist lediglich etwas Gebautes. Doch dann füllen Gegenwart und Geschichte die Mauern und aus dem Gebäude wird eine kollektive Erinnerung. So geschehen mit der ehemaligen Kunstgewerbeschule, die bis 1956 an der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße in Berlin stand. Von 1933 bis 1945 befanden sich hier die Zentralen des nationalsozialistischen Terrors: das Geheime Staatspolizeiamt mit eigenem Gefängnis, nebenan die Reichsführung-SS - und während des Zweiten Weltkriegs auch Heinrich Himmlers Reichssicherheitshauptamt. Im Jahr 1992 wurde eine Stiftung unter dem Namen „Topographie des Terrors“ errichtet. Sie sollte dafür sorgen, das Areal zu einem offen begehbaren Museum umzuwandeln. Der Filmemacher Martin Gressmann setzt sich in seiner Langzeitdokumentation DAS GELÄNDE ein ehrgeiziges Ziel: Er kommentiert im Verlauf von über dreißig Jahren die Entwicklung, die bis zur Eröffnung des Museums im Jahr 2010 geführt hat. Viele Experten äußern sich zu dem Projekt, das immer wieder scheiterte - an bürokratischen Auflagen, politischen Differenzen oder anderen Hindernissen. Immer wieder äußern sich Zeitzeugen aus den verschiedensten Bereichen - doch kommt DAS GELÄNDE ganz ohne Talking Heads aus. Im Vordergrund stehen immer die Aufnahmen des Geländes. Auch Gressmann selbst kommentiert. Doch tut er es über Briefe an seine verstorbene Großmutter. Ihr berichtet er von dem Fortschreiten des Projekts. Aber auch vom immer wiederkehrenden Stillstand. Durch dieses klug gewählte Stilmittel gelingt es dem Film, den Zuschauer trotz aller kühler und rationaler Distanz zu berühren. Ein wichtiger filmischer Beitrag zur Aufarbeitung deutsch-deutscher Geschichte. Eine ruhige und kluge Reflektion.
Jurybegründung:
Zu Zeiten des nationalsozialistischen Terrors war die Prinz-Albrecht-Straße in Berlin die wohl berüchtigtste Adresse des Deutschen Reiches. Hier hatten die maßgeblichen Sicherheitsorgane des Dritten Reichs ihren Sitz: Der Reichsführer SS, das Reichssicherheitshauptamt, der berüchtigte Sicherheitsdienst der SS (SD) und die Gestapo - all diese Institutionen residierten hier in unmittelbarer Nähe des damaligen Regierungsviertels. Später, im Jahre 1951, wurde die Adresse dann in Niederkirchner Straße umbenannt, als Namenspatronin sollte die Kommunistin und Widerstandskämpferin Käthe Niederkirchner den Ort vergessen machen.
Doch an diesem Gelände spiegelt sich nicht nur die Geschichte des Nationalsozialismus wieder, auch die deutsch-deutsche Teilung wird an diesem Ort lebendig. Die Berliner Mauer machte aus der frühen Schaltzentrale des NS-Terrors einen Unort und trennte die Straßen, was eine gesamtdeutsche Erinnerungskultur zusätzlich erschwerte.
Mit viel Akribie und Nüchternheit hat der Filmemacher Martin Gressmann die Geschichte dieses ganz besonderen Orts seit dem Jahre 1985 mit der Kamera begleitet und registriert. Seine Chronik des Geländes endet nach 28 Jahren mit der Eröffnung des Dokumentationszentrums „Topographie des Terrors“ im Jahre 2013 - es ist ein langer Weg, den er hier nachzeichnet vom früheren Schuttabladeplatz Kreuzbergs zu einem Ort der Erinnerung, der aber auch nicht nach jedermanns Geschmack geraten ist. Seine Geschichte der früheren Prinz-Albrecht-Straße rückt immer wieder eine Frage in den Mittelpunkt des Interesses: Wie gehen wir mit der Last der Vergangenheit um, wie können wir uns an tausendfach erlittenes Unrecht erinnern? Und wollen wir das überhaupt?
Dem geweckten Interesse der auch stadthistorischen Aufarbeitung steht aber mitunter die Detailversessenheit entgegen, die über die gesamte Länge des Films nach Ansicht der Jury ein wenig ermüdend wirkt. Nur gelegentlich schafft Gressmann mit persönlich gehaltenen Briefen an seine Großmutter einen Kontrast, bei dem auch die menschliche Dimension dieser Ortsbegehung und -vermessung durchschimmert. Genau diese menschliche und emotionale Facette hätte sich die Jury öfter gewünscht.
Insgesamt liefert DAS GELÄNDE eine höchst interessante Grundidee der filmischen Vergangenheitsbewältigung, die sehr viel Geduld und Einfühlungsvermögen seitens des Zuschauers fordert.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)