Uh, ja, die Story ist kompliziert; Märchen- und Sagenstoffe von Unsterblichkeit und Teufelsbünden vermischen sich mit einer Vater-Tochter-Missbeziehung, dazu kommt ein junger Drifter mit zweifelhafter Vergangenheit, der ewige Kampf zwischen Gut und Böse ist zudem noch verbunden mit einem esoterischen Mythos von einer ewigen Geschichte, die das Universum zusammenhält, und all das ist verknüpft mit selbstreflexiven Film-Allegorien und Wunderland-Symbolen wie einen Zauberspiegel, der Reisen ins eigene Ich gestatten, woselbst freilich der Teufel lauert
Vollkommen überladen ist der Film, ebenso wie Parnassus mehrstöckiges, pferdegezogenes Wandertheatergefährt voll unübersichtlicher innerer Räumlichkeiten, kleinen Kammern, vollgestopften Winkeln, das bei jeder Fahrt um jede Kurve fast zusammenbricht aber eben nur fast. Schicht auf Schicht an Bedeutungen und Handlungen hat Gilliam übereinandergehäuft. Und macht das was aus? Nein. Es steigert nur die Lust aufs nächste Mal: denn man muss diesen Film mindestens zweimal sehen, und erkennt dann beim zweitenmal nochmals mehr Zusammenhänge.
Man tut das gerne, denn Terry Gilliam (ohnehin einer der ganz Großen) weiß auch genau, wie er seine Zuschauer packen kann. Nämlich zuvörderst mit seiner visuellen Kraft, die unschlagbar ist. The Imaginarium of Dr. Parnassus enthält Bilder, wie sie noch kein Mensch je zuvor gesehen hat, die man auch nie wieder sehen wird, von diesem oder irgendeinem anderen Künstler. Die Bild-Wunderwelten im Inneren des Imaginariums (also im Inneren der Filmfiguren) sind unglaublich, unbeschreiblich, wunderschön: pure Magie. Und sie sind nicht etwa nur vereinzelt gesetzt, oder immer wieder dieselben: sie sind abgestimmt auf die Figuren, die sie jeweils erfahren und sie bedeuten Glück, für die Figuren im Film wie für den Zuschauer im Kinosaal.
Diese Bildwelten bettet Gilliam ein in sein aufeinandergehäuftes Handlungsgeflecht, wo sich Figurenpsychologisches, Mythisches, Philosophisches, Theologisches, Esoterisches, Metaphysisches überlagern darin ist The Imaginarium of Dr. Parnassus Darren Arronowskys ebenfalls vielschichtig-überladenen Film The Fountain nicht unähnlich nur dass sich Imaginarium nicht wie Fountain auf eine einfache Formel bringen lässt (der Tod gehört zum Leben dazu, o.s.ä.).
Bei Gilliam spielt sich Grundsätzliches zwischen Gut und Böse ebenso ab wie Ambivalentes. Denn Tony will ja nur das Gute und schafft doch das Böse, weil er allzu opportunistisch, allzu selbstbezogen ist, weil er jeder Festlegung aus dem Weg geht; und Parnassus selbst, der seine Tochter beschützen will, lässt ihr andererseits keine freie Wahl im Leben. Ausgerechnet er, der in seinem Imaginarium die Menschen zur einen, großen Entscheidung in ihrem Leben heranführen will
Gilliam durchsetzt all das noch zusätzlich mit einem durchgängigen, luftig-leichten Hauch von Komik, und er erzählt ganz locker von Parnassus und Co. Tatsächlich wäre der einzige wirkliche Makel des Films in der reinen Figurenhandlung zu finden, in der Dynamik zwischen Papa Parnassus und Tochter Valentina und Bühnenhelfer Anton und Tony, dem Neuen das ist die Handlungsebene, aus der andere, normale Filme gemacht werden, die nicht noch tausend weitere Ebenen beinhalten. Dieser Plot wirkt etwas unausgegoren ironischerweise bei einem Film, der zu einem guten Teil vom Geschichtenerzählen selbst handelt.
Aber andererseits macht das gar nichts aus. Weil ein wenig Holpern zum Erzählhandwerk dazugehört, und weil das Glück, das der Film bewirkt, ganz woanders steckt, im Visuellen, im Vielschichtigen.
Vielleicht ist dieses plotdramaturgische Stolpern auch der Tatsache geschuldet, dass Heath Ledger während der Dreharbeiten verstorben ist und sich deshalb manche Nuancen nicht voll entfalten konnten.
Ledger bietet hier eine große Leistung: er spielt die Ambivalenz, das Uneindeutige, das Unerforschliche. Denn der Zuschauer weiß seinen Tony erst ganz allmählich einzuschätzen: als eine Figur, die gar nicht einzuschätzen ist. Beinahe alle Szenen mit Ledger, die außerhalb der Imaginariumswelten spielen, wurden abgedreht; für die Special-Effects-Arbeiten stand er nicht mehr zur Verfügung. Und der Film wäre beinahe mit ihm gestorben.
Doch Freunde halfen aus: Nun sind Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell mit von der Partie, sie spielen Tony, wenn er durch den Spiegel ins Wunderland tritt, als Neuinkarnationen bestimmter Aspekte von Tonys Persönlichkeit. Und dieser Trick, eine Figur von vier Darstellern spielen zu lassen, funktioniert wunderbar, als sei der Film nie anders gedacht gewesen. Tatsächlich mussten die Dialoge des Drehbuchs praktisch nicht geändert, nur eine Szene von der wirklichen Welt in eine Imaginariumsphantasie verschoben werden. Das ist das Gute, wenn man einen Zauberspiegel hat. Und einen Regisseur mit unvorstellbarer Vorstellungskraft.
Fazit: Ein Film, den man nicht vergessen wird.