Die 11jährige Wadjda ist ein kleiner Wildfang. Die Schule mag sie nicht besonders, gegen Regeln sträubt sie sich und ihr größter Wunsch ist es, ein eigenes Fahrrad zu besitzen, um mit dem Nachbarsjungen ein Rennen zu fahren. Doch diese ganz normalen Wünsche und Vorstellungen eines heranwachsenden Kindes sind für Wadjda tabu. Denn sie lebt in Saudi-Arabien. Und in diesem Land leben Frauen und Mädchen in einer ständigen Herabsetzung gegenüber Männern. Aber Wadjda gibt ihren Traum nicht auf. Auf den ersten Blick ist der Film die Geschichte eines jungen Mädchens, dass sich seine Freiheiten erkämpft. Doch in ihrem Debüt erzählt Regisseurin Haifaa Al Mansour uns noch viel mehr. Sie erlaubt Einblicke in ein Land und eine Kultur, die ihre Frauen vor den Blicken Fremder schützen will und deren Rechte auf radikale Weise unterdrückt. Mit kleinen Gesten und Handlungen erlaubt der Film jedoch seinen weiblichen Figuren, sich ein Stück weit zu befreien und für das einzustehen, was sie sich erträumen. Waad Mohammed, die Darstellerin der jungen Heldin Wadjda, nimmt den westlichen Zuschauer mit auf diese faszinierende und oft auch erschreckende Reise in ein Land, im dem sogar das Kino verboten ist. Durch ihre Ausstrahlung, ihre mutige Unangepasstheit und ihr bezauberndes Wesen ist man von Anfang an gefesselt und möchte keine Minute verpassen. Mit einer ruhigen Erzählweise, wunderbaren Bildern und starken Figuren bietet diese deutsch-saudi-arabische Koproduktion auch für Jugendliche erste Einblicke in ein ganz anderes Dasein. Dass es diesen mutigen Film gibt, ist selbst ein kleines Wunder! Und eine Perle, die es zu entdecken lohnt.
Jurybegründung:
Jeden Morgen auf dem Weg zur Schule kommt Wadjda an einem Spielzeugladen vorbei. Ein grünes Fahrrad sticht ihr ins Auge und sie lässt es reservieren. Jetzt fehlt nur noch das Geld dafür. Mit allerlei Selbstgebasteltem versucht sie etwas dazuzuverdienen. Doch nur klägliche Beträge kommen zusammen. Auch ihre Mutter ist zunächst gegen das Vorhaben. Wadjda darf nicht Fahrrad fahren, weil das für Mädchen verboten ist. Trotzdem versucht sie mit vielen Tricks an Geld zu kommen.
Rettung verspricht ein Wettbewerb in der Schule. Sie müsste Koranverse und den schwierigen Gesang dazu besonders gut vortragen können, um das Preisgeld zu gewinnen. Obwohl sie sich bisher vor Religiösem gedrückt hat, gelingt für alle überraschend ihr Coup. Doch mit einem hat sie nicht gerechnet: Ihr Gewinngeld wird in ihrem Namen an Palästina gespendet.
Und dennoch geht am Ende ihr sehnlichster Wunsch, auf einem Fahrrad zu fahren, in Erfüllung. Damit sie gegen den Nachbarsjungen endlich auch einmal ein Rennen gewinnen kann. Diese liebevolle Kappeleien zwischen Wadjda und Abdullah, die beide zehn Jahre alt sind, ist mit Sicherheit auch ein Verweis auf eine mögliche Zukunft, respektvoller miteinander umzugehen.
Dies ist der äußere Erzählfaden der Geschichte um Wadjda, ein Mädchen, das in einer Stadt in Saudi-Arabien mit ihrer Mutter lebt. Im Kern geht es um die patriarchalischen Verhältnisse in diesem streng gläubigen konservativen Land, die für Frauen eine rigorose Einschränkung ihres Lebensalltags und in der Gesellschaft bedeuten.
Wadjdas Schulweg ist gepflastert von Verboten, die Mädchen beibringen sollen, was sich bereits in jungen Jahren nicht tun dürfen. Diese ständigen Verbote bringen Wadjda immer weiter weg von ihren Bedürfnissen nach freier Entfaltung ihrer Fähigkeiten und aufgeweckten Persönlichkeit. Ganz wunderbar, wie hervorragend unprätentiös die Hauptdarstellerin ihre Rolle hier spielt. Ein zweiter Erzählstrang befasst sich mit dem Bemühen der Mutter, ihren Ehemann zurück zu gewinnen. Da sie ihm keinen Sohn gebären kann, nimmt er sich jedoch eine Zweitfrau.
Der Spielfilm überzeugt durch eine präzise beobachtende authentische Haltung zum Alltag und nimmt uns mit seinem ruhigen geradlinigen Ablauf gefangen. Es ist ein emanzipatorisches Werk als Kommentar zu den Folgen eines absoluten Patriarchats, das wir natürlich mit unserem europäischen Auge betrachten. Der Erzählfluss scheint sehr langsam, zeigt so manchmal überdeutlich die vielen Einschränkungen für Wadjda und ihre Mutter, aber der Spannungsbogen reißt nie ab.
DAS MÄDCHEN WADJDA ist die erste große Filmproduktion in Saudi-Arabien überhaupt und entstand unter extremen erschwerten Bedingungen. Die Regisseurin Haifaa Al-Mansour, die in Saudi-Arabien aufgewachsen ist, erschließt uns mit ihrer Innensicht ein neues Verständnis für die dortige Kultur, ohne lautstarke Kritik an den Verhältnissen, sondern authentisch mit unterschiedlichen Frauenbildern und Emanzipationsansätzen.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)