Das perfekte Verbrechen“ ist ein vorzüglicher Gerichtssaal-Thriller der anderen Art. Die Kinogänger erwartet eine spannend gemachte Geschichte, die gut besetzt ist, keine Sekunde langweilt und die bestens ausgestalteten Charaktere mit immer neuen Facetten konfrontiert. Anthony Hopkins wird seinem Ruf als einer der besten Charakterdarsteller gerecht. Allerdings verlangt die Zeichnung seiner Widersacher und die Beobachtung ihrer Wandlung von ihm eine gewisse Zurückhaltung. Dramaturgisch ist Anthony Hopkins in seiner Rolle als Mörder die Konstante dieser Krimikonstellation. Der besondere Reiz der Geschichte besteht in der Beobachtung der Variablen: der jungen, unverbrauchten Schauspieler-Talente wie etwa Ryan Gosling als jungem Staatsanwalt, bei denen uns die Geschichte einiges entdecken lässt.
Das klassische Thrillerelement des „Whodunit“ steht hier weniger im Vordergrund. Motor des Films ist die Häutung und Wandlung des jungen Angreifers. Der zunächst aalglatt wirkende Staatsanwalt, gerade auf dem Sprung in die Privatwirtschaft, steht gegen den kaltblütigen Konstrukteur, den erfahrenen, alten (Sich-Selbst-)Verteidiger. Dies vor dem filmisch überlegt gestalteten Hintergrund einer exzellenten Kameraführung und Bildgestaltung, ungewöhnlicher Lichtsetzung und exzellenter Dramaturgie, die bis zum Schluss das Rätsel verschlossen hält und lange nachwirkt. Die maßgeschneiderte melancholisch dunkle Musik deutet an, dass nach des Rätsels Lösung doch tiefer gegraben werden muss.
In einer erfrischend klugen Selbstdarstellung platziert Gregory Hoblits Justiz-Thriller Anthony Hopkins alias Ingenieur Ted Crawford hinter ausgetüftelten, verschlungenen Murmelbahn-Unikaten, die der Holländer Mark Bischoff zur exzellenten Filmausstattung beigesteuert hat. Crawford schaut sinnend zu, wie Stahlkugeln rollen und auch in schikanösen Kurven gerade eben noch auf den beiden Schienen ihrer Bahn bleiben, vorausgesetzt, diese Schienen sind aufs feinste zurechtgebogen. Die Szenen göttlicher Kontrolle erzählen etwas über Crawfords Wesen, Weltbild, Temperament und Selbstverständnis, aber - hier kommt die Selbsterkenntnis ins Spiel - sie zeigen den Menschen hinter einem ausgeklügelten Apparat, dessen Schlingen und Wunderlichkeiten sich als artifizielles Kunstprodukt faszinierend vor unser Auge schieben.
Ted Crawford hat, so sagt der gesunde Menschenverstand jedem Beteiligten hier, seine Frau im gemeinsamen, höchst noblen Heim kaltblütig erschossen, weil die ihn mit einem anderen Mann, einem Polizisten, betrogen hat. Das aber muss ihm erst einmal vor Gericht bewiesen werden. In der sofort offensichtlichen Ebene hat Crawford schlichte Rache an seiner Frau genommen. In der maliziösen Anlage des Verbrechens, die sich als kalt vorausgeplanter Fallenparcours für den ehrgeizigen jungen Ankläger Willy Beachum (Ryan Gosling) entpuppt, der mit jedem forschen Vorstoß seine Karriere weiter ruiniert, nimmt er Rache an der gesamten Gesellschaft, die im Ehebruch sinnbildlich die Grenzen zum Intimbereich Crawfords überschritten hat.
Anthony Hopkins spielt hier eine Variante seines Nietzscheanischen Übermenschen aus „Das Schweigen der Lämmer“, aber die Rolle bekommt nichts Zirkus- und Popanzhaftes. „Das perfekte Verbrechen“ stellt sehr zugespitzt die Frage nach den Schwierigkeiten der Gerechtigkeits- und Wahrheitsfindung und zeigt, dass abgefeimte Intelligenz beispielsweise durchaus als Gewicht in die Wagschale der blinden Justitia geschmuggelt werden kann. Er ist im Thema also „Basic Instinct“ verwandt, in seinem Noir-Gespür für einen morsche Gerechtigkeitsapparatur und das Dunkle der Seelen „Aus Mangel an Beweisen“, in der Zugespitztheit seiner Dialoge und der morbiden Komik manchen Scheiterns den marode romantischen Detektivmärchen der Raymond-Chandler-Schule, in der kaltschnäuzigen Erfassung des Schmuddeligen großer Befreiungspläne Billy Wilders „Double Indemnity - Frau ohne Gewissen“.
Die liebevolle Ausstattung, die exzellente Fotografie, der seine Kunst des Kontrastierens und Verbergens ausspielende Schnitt arbeiten in der Darstellung der Büros, der Wohnungen, des Stadtraums konsequent von außen nach innen. Die Befindlichkeit der Figuren und der Gemeinschaft wird suggestiv in der Erfassung des Drumherums deutlich gemacht. So unerbittlich dekonstruiert „Das perfekte Verbrechen“ die von Tausenden Krimis und Gerichtsdramen genährte Illusion unerbittlich voranschreitender Wahrheitsfindung, dass seine Wendungen gegen Ende unerwartet naiv, ja feige abschwörend wirken. Kein Zweifel, man kann deuten, hier reiße ein Film am Ende alles ein, was er aufgebaut habe, flüchte sich zurück in die falsche Konvention der Gerechtigkeit, verkaufe sein Publikum für dumm.
Allerdings erfasst die Filmemacher dann berechtigte Furcht angesichts der eigenen Feigheit. Sie zeigen kein Walten der Gerechtigkeit, sondern begnügen sich mit der Möglichkeit einer nächsten Runde vor Gericht. Das ist dem hohen Niveau des schmerzlich amüsierten Pessimismus zuvor nicht angemessen, aber auch nicht unbedingt die Negierung alles Vorangegangenen. „Das perfekte Verbrechen“ schlingert, um im Bild der Murmelbahn zu bleiben, in den letzten Kurven unschön. Die Kugel wird dann von der Bahn genommen, bevor sie vorm Ziel gar noch herunter plumpsen kann. Dem raffinierten, schaurigen und schönen Lauf der Kugel zuvor, und dem Entwurf einer überzeugenden Kunstwelt, in der sich die unsere spiegelt, kann man trotzdem höchsten (und höchst vergnügten) Respekt zollen.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)