Alleinerziehende Mutter, dazu, na klar, Hartz IV, Gefängnisaufenthalt, dort vom Wärter vergewaltigt harte Geschichte, was Gloria S. passiert ist. Später gesellt sich der prügelnde Ex dazu, die Tochter stellt sich als teenie-schwanger heraus, der Bruder ein Junkie. Genau das hat Charlotte Weiss gesucht für ihren Dokumentarfilm, der das Elend auf der Straße, im Prekariat, ganz echt und authentisch abbilden soll. Blöd nur, dass Gloria Schneider sich als Protagonistin nur deshalb in die Sozialdoku eingeschlichen hat, weil sie mit ihrer kleinen Off-Theatergruppe keine Perspektive mehr sieht.
Gloria, die Schauspielerin, will etwas Neues anfangen, und tut das unter Vorspiegelung falscher Tatsachen; Charlotte, die Regisseurin, will etwas Neues wagen und der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Und wir erleben den Dreh eines Dokumentarfilmes mit, der mit aller Gewalt versucht, soziales Elend einzufangen, und dabei auf eine gefälschte Wirklichkeit stößt. Das traurige Leben der Gloria S., der diesen Film im Film zum Thema hat, ist eigentlich eine Köpenickiade unter falschen Vorzeichen: Es geht nicht wie in Zuckmayers Satire um Vergrößerung durch Anschein, sondern um den Anschein des Kleinen und Geringen.
Die Regisseurinnen Christine Groß und Ute Schall, die den Film zusammen mit ihrem Darstellerteam konzipiert haben, nehmen all das aufs Korn, was die Kulturgroßbürger umtreibt: Den unbedingten Zwang zu politischem Bewusstsein, die allseitige feministische Attitüde, die Wichtigtuerei und die Eitelkeit, das Wissen um das Schlechte in der Welt und das schlechte Gewissen, das damit verbunden ist, die mitleidige Geste gegenüber den sozial Schwachen, die Kompromisslosigkeit (oder Streitlust), wenn es um Fragen der Kultur und des Denkens geht, das Problemewälzen und Rumzicken, die Blase, in der sie leben und in der sie abheben vom echten Leben. Groß, Schall und Co. entstammen der Berliner Volksbühne-Szene und wissen also, wovon sie erzählen. Und haben die Ironie, die komische Distanz, sich lustig zu machen.
Gloria S., gespielt von Christine Groß, spielt engagiert in einem Off-Theater, in modernen Klassiker-Inszenierungen; die Einnahmen vom Abend werden solidarisch geteilt, 7,20 Euro bleiben pro Person. Sie lebt prekär, aber idealistisch und enthusiastisch; dass sie lesbisch ist, ist mehr als eine Fußnote, in ihrer Welt geht es grundsätzlich um Grundsatzdiskussionen, um Gleichberechtigung, um Diskussion und einträchtige Diskussion geht. Charlotte Weiß, gespielt von Nina Kronjäger, durchlebt als Regisseurin eine künstlerische Krise, weil ihr Ulrike-Meinhof-Porträt allzu unpolitisch und allzu melodramatisch geriet. Nun will sie ran an die Wirklichkeit, mit aller Gewalt; und gerät an Gloria und eine gewaltige Verarschung.
Geschickt inszenieren Groß und Schall diesen Plot zweier sich entgegenstehender Inszenierungen: Gloria spielt die Hartz IV-Tante ganz nach dem Klischee, dirigiert von ihrer Theatermanagerin, die im Hintergrund die Fäden der lebensechten Dramaturgie zieht. Und Charlotte inszeniert für die Kamera dieses traurige Leben, das sie vorfindet, um größtmöglichen Effekt zu erzielen; weil halt erstmal gar nichts passiert, muss mit Dolly, Kran und Zeitlupe wenigstens das Kaffeekochen dramatisiert werden.
Was die Regisseurinnen mit Das traurige Leben der Gloria S. leisten, ist eine große Entlarvung: eine Enthüllung über die letztendlich gönnerhaften Bemühungen, sich um andere zu kümmern, die aber stets nur der Selbstbestätigung und der Bestätigung der eigenen Vorurteile dienen. Dass der Film trotzdem niemals anklagend wirkt, niemals bloßstellend, sondern stets im (selbstironischen) Gestus der phänomenologischen Präsentation bleibt: das macht ihn so komisch.
Dass er sichtlich billig hergestellt wurde, hat zwar einerseits einen eigenen Charme, und natürlich einen engen Bezug zum Inhalt; andererseits hätte eine etwas bessere Tonabmischung auch keinem geschadet.
Fazit: Witzige, pointierte, bissige und entlarvende Komödie über all die Vorurteile und die gutgemeinten Betulichkeiten der kulturschaffenden Mittelschicht gegenüber dem Elend von Hartz IV.