Im Januar 2012 formulierte die EU-Justizkommissarin Viviane Reding ein ehrgeiziges Ziel: Durch eine Reform des EU-Datenschutzgesetzes soll der Datenschutz in Europa gestärkt werden. Große Unternehmen sollen so daran gehindert werden, personenbezogene Daten für Werbezwecke auszunutzen, und diese an Dritte weiterzugeben. Zudem sollen gerade US-amerikanische Unternehmen dem EU-Recht unterstellt werden. Der Dokumentarfilm von David Bernet begleitet im Verlauf von mehr als zwei Jahren den Weg des dazugehörigen Reformpapiers durch die Mühlen der Bürokratie. Als Protagonist fungiert Jan Philipp Albrecht. Der junge Grünen-Politiker wurde vom Europäischen Parlament zum Berichterstatter gewählt. Albrechts Aufgabe ist es, alle Parteien und Lobbys an einen Tisch zu bekommen. Denn jede Partei im EU-Parlament hat andere Vorstellungen, was Datenschutz wirklich ist. Von den Wirtschaftsunternehmen ganz zu schweigen. Geschickt hält der Film die Balance zwischen den Meinungen und Haltungen aller Beteiligten. Ganz klar vertritt der Filmemacher eine Meinung und Haltung, lässt jedoch jeder Position ihren Freiraum. Und so kommen Vertreter von US-Firmen ebenso zu Wort wie Oppositionelle im Parlament. Im Zentrum steht jedoch Albrecht, der sich müht, der verhandelt, der Kompromisse schließt, der auch oft verzweifelt an den zermürbenden Sitzungen. Vor allem aber merkt man, wie sehr Albrecht für das Thema brennt, wie viel es ihm bedeutet, andere von der Wichtigkeit und Brisanz der Sache zu überzeugen. Dem in schwarz-weiß gehaltenen Film gelingen immer wieder brillante Aufnahmen von Begegnungen in Sitzungssälen, von Unterhaltungen und bedeutungsschwangeren Blickwechseln auf dem Parlamentsflur, aber auch metaphorisch aufgeladene Zwischenbilder wie ein müdes Gekicke von Jungs auf dem Fußballplatz, während drinnen im Sitzungssaal die Verhandlungen zäh wie Kaugummi verlaufen. Dabei schafft es der Film, trotz all dieser repetitiven Bürokratie so spannend wie ein Krimi zu sein, vor allem gegen Ende, wenn es um die Verabschiedung des Reformvorschlags von Albrecht geht. Hier weicht die Kamera ihm nicht mehr von der Seite, hier fiebert der Zuschauer gebannt mit. Diese dramaturgische Zuspitzung aufzubauen und bis zum Schluss zu halten, ist einer der großen Verdienste dieses hochinformativen, spannenden und lehrreichen Dokumentarfilms über ein brandaktuelles Thema, dass uns alle angeht. Ein dokumentarisches Meisterstück.
Jurybegründung:
Ausgangspunkt von DEMOCRACY ist eine Minderheit mit ihrer Überzeugung. Ihr Ziel ist es, aus der Minderheit eine Mehrheit zu machen. Der Weg dahin ist das kräftezehrende, oft auch frustrierende Abenteuer der demokratischen Willensbildung.
Regisseur David Bernet hat diesen Weg zwei Jahre lang begleitet. Sein Film liefert das Beste, was eine Dokumentation bieten kann, nämlich einen Blick in die wirkliche Welt jenseits der Illusion. Mit großem Aufwand, inhaltlicher Tiefe und formaler Umsicht wird belegt: Demokratie ist mehr als hysterische „Breaking News“, mehr als Social-Media-Kommentare. Und sie ist mehr als die naive Vorstellung von einfachen Abstimmungen mit klaren Mehrheitsverhältnissen. Sie ist ein Prozess, bestehend aus Mut, Ausdauer, Persönlichkeiten - und aus einer Menge Willkür.
Die Macher sind mit ihrem Thema auf Doku-Gold gestoßen. Denn ungeachtet der eher drögen Schauplätze, der kalten Sitzungssäle und zettelwirtschaftlichen Hinterzimmer gerät der Kampf um ein neues europäisches Datenschutzgesetz zu einem Drama Shakespeare’scher Dimension. Es gibt einen Helden mit tragischem Potenzial, namentlich den Abgeordneten Jan Philipp Albrecht; um ihn scharen sich Verbündete, Antipoden, Warner und Verhinderer. Sie alle sind auch die „Talking Heads“ des Films, jeder auf seine Weise hochintelligent und im besten Sinne verstörend. Denn der Regisseur verschweigt nicht, dass es beim Datenschutz mehr als nur eine Wahrheit gibt.
Der Film zeigt Haltung, macht sich aber nicht gemein mit seiner Sache. Und er hat sein Publikum stets im Blick - indem er virtuos alle Register der filmischen Vermittlung zieht. Die in stilsicherem Schwarzweiß gehaltenen Bilder wurden von einem mehrköpfigen Kamerateam gedreht. Offensichtlich war das Material, aus dem der Film montiert wurde, üppig. Es ist teilweise atemberaubend, wie es gelingt, entscheidende Momente der Geschichte einzufangen. Jede Einstellung hat ihren Sinn, manchmal konkret, manchmal spekulativ, etwa wenn Kinder versuchen, einen im See verlorengegangenen Fußball wieder einzufangen - just, wenn auch dem „Helden der Geschichte“ der Prozess zu entgleiten droht.
Die Jury lobt auch die sorgfältig übersetzten Untertitel. Gleichwohl das permanente Lesen es dem Zuschauer nicht immer leicht macht, den komplizierten Abläufen im Bild zu folgen.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)