Sulamit Loewenstein ist 13 Jahre alt und die Tochter eines deutsch-jüdischen Unternehmers, der 1936 nach Argentinien geflohen ist. Dort hat die Familie ein zweites Zuhause gefunden. Ausgerechnet mit Friedrich, dem Sohn geflohener Nazis, freundet sich Sulamit an. Für sie ist die Vergangenheit nicht wichtig, doch Friedrich leidet darunter, nicht zu wissen, was sein Vater getan hat. Voller Unruhe sucht er nach seiner Identität und seinem Platz in der Welt. Und Sulamit muss sich entscheiden, ob sie ihm folgen will oder ihren eigenen Weg geht. Eine Jahrzehnte überspannende Liebesgeschichte zieht sich als emotionaler Faden durch den Film. Doch für beide Figuren, die von Max Riemelt und Celeste Cid beeindruckend verkörpert werden, geht es um mehr als nur die Liebe. Regisseurin Jeanine Meerapfel inszeniert mit sicherem Gespür Sulamit und Friedrich als ewig Suchende nach ihrer Rolle im Leben. Dazu kommt ein interessanter und sehr persönlicher Einblick in die deutsche und die argentinische Geschichte, eine Zeit des Umbruchs, die dank sorgfältiger Recherche authentisch dargestellt wird. Sensibel und zurückhaltend unterstützt die Filmmusik die starken Einstellungen. Das Schicksal von Sulamit und Friedrich - die berührende Geschichte einer großen Liebe.
Jurybegründung:
Argentinien: Fluchtland vieler jüdischer Familien bei Beginn der Naziherrschaft in Deutschland und - welche Ironie der Weltgeschichte - bei Kriegsende 1945 auch willkommener Unterschlupf deutscher Nazi-Größen. Schon mehrere Filme haben sich mit den Schicksalen jüdischer Familien im Argentinien der damaligen Zeit beschäftigt, einige auch mit den rasch zu Ansehen und Wohlstand gelangten Nazis unter neuer Identität.
Jeanine Meerapfels autobiographisch geprägter Film zeigt aber erstmals und glaubhaft, wie das Schicksal nicht nur zwei nach Argentinien geflüchtete Familien in Buenos Aires zu Nachbarn machte und dies in scheinbarer Unkenntnis der doch so unterschiedlichen Fluchtmotive. Dass zwei Kinder aus diesen Familien auch noch schicksalhaft ein Leben lang miteinander verbunden bleiben sollten, erhöht die Dramatik und Spannung der Geschichte, die einen sehr großen Bogen spannt: Von Argentinien nach Deutschland und wieder zurück gehen die Wege von Sulamit und Friedrich. Wo werden sie endgültig und vielleicht auch gemeinsam ihre Heimat finden? Es ist ihre Suche nach ihrer Identität, als Deutsche oder als Argentinier. Es ist die schmerzhafte Konfrontation Friedrichs mit der grausamen Nazi-Vergangenheit seines Vaters und sein verzweifelter Kampf, diese für sich selbst bewältigen zu können. So wird Deutschland und später auch Argentinien für ihn zu vordergründigen revolutionären Kampfgebieten. Sulamits Weg wiederum führt nach Deutschland - nicht nur zu ihrem erfolgreichen beruflichen Werdegang, sondern sie folgt auch dort Friedrichs Spuren.
Friedrich, für den es nur ein „Ich“ gibt und der Sulamit in die Arme eines Anderen treibt. Erst nach seiner Haftentlassung in Argentinien schließt er mit seiner und der Vergangenheit seines Vaters ab und gelangt zum „uns“. Wenn sich Sulamit und Friedrich aber fragen „Bleibst Du hier?“ und „Gehst Du mit mir?“, bleibt ihrer beider Zukunft offen. Wäre diese außergewöhnliche Liebesgeschichte nicht schon Stoff genug für einen sehr emotionalen Film, so spannt sich der filmische Bogen noch weiter auf: Der zeitgeschichtliche Hintergrund mit der Peron-Ära, mit antisemitischen Übergriffen und mit den Morden und Verschleppungen während der Militärdiktatur in Argentinien. Dann die Zeit der Studentenbewegungen mit Demonstrationen und Protesten in Deutschland, auch unterlegt mit dokumentarischem Archivmaterial. Holocaust und Nazidiktatur werden nur andeutungsweise thematisiert, sind aber der Ausgangspunkt für die schicksalhaften Verstrickungen.
Insgesamt alles sehr viel, vielleicht zu viel für einen Film, so argumentierten einige Mitglieder der Jury, denen durch diese Vielfalt auch der emotionale Zugang zu den Protagonisten verloren ging. Man kann diese Vielfalt aber gerade als großen Reichtum des Films ansehen, wenn auch beim Zuschauer doch sehr große Kenntnisse der Zeitgeschichte vorausgesetzt werden.
Ein besonderes Lob verdient die ausgezeichnete Kamera und die hervorragende dezente musikalische Begleitung. Max Riemelt als Friedrich, Celeste Cid als Sulamit und Benjamin Sadler als Michael überzeugen in ihren Rollen mit großem Können.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)