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Achtung Jump Scares: Oder warum mir moderne Horrorfilme keine Angst mehr machen


Da war es wieder! Das unheimliche Geräusch kam aus dem Schrank. Etwas lauert dort. Langsam streckt die Filmheldin ihre Hand aus. Sie muss einfach nachsehen. Als sie den Türgriff erreicht, steht ihr die Angst ins Gesicht geschrieben. Ganz langsam drückt sie den Griff herunter. Die Schranktür öffnet sich. Dahinter Dunkelheit. Die Frau fasst all ihren Mut zusammen und greift zum Lichtschalter. Und dann: Nichts. Nur Kleider. Erleichterung. Als sie sich umdreht, starrt sie plötzlich eine grauenvolle Fratze an. BUH!

Wenn in aktuellen Horrorfilmen das bösartige Basswummern einsetzt, ist der Genre-Profi bereits bestens vorbereitet. Kann losgehen. Lange bevor das verlässlich verzerrte Kreischen der digitalen Geigen einsetzt, wissen wir genau, was kommt. Da ist er, der obligatorische „Jump Scare“.

Definiert als eine „plötzlich abgespielte Film- oder Bildersequenz, die von einem ebenso plötzlich abgespielten, überlauten Geräusch begleitet wird“, stellt der gemeine Jump Scare Hollywoods derzeit beliebteste Horrorfilm-Routine dar. Mit Jump-Scares will man uns mit Abstand am häufigsten erschrecken.

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In der Regel gelingt es dann auch, das Erschrecken mittels Jump Scare. Wir wissen zwar, was kommt, verjagen uns aber dennoch. Selbst eingefleischten Genre-Connaisseuren entfährt gelegentlich ein unvorteilhaft hohes Geräusch, wenn ihnen im Kino mal wieder irgendeine Monstrosität mit 120 Dezibel auf die Fontanelle springt. Kunststück. Wie sollte es auch anders sein. Der Jump Scare ist in seiner derzeitigen Form meist nichts anders, als billiges Erschrecken. Ein Kinderschreck. Unterste Schublade.

Selbst hochkarätige Horrorfilme wie „The Darkness“, „Paranormal Activity“, „Sinister“, „The Conjuring“ oder „Don´t Breathe“ rücken ihrem Publikum mit der Subtilität eines Vorschlaghammers zu Leibe. Genauso gut könnte sich der Regisseur mit zwei Topfdeckeln in die hinterste Reihe setzen und dann ohne Vorwarnung losdengeln. Der Effekt wäre der gleiche.

Das Problem ist dabei offenkundig: Die meisten Jump Scares, die uns heute im Kino begegnen, haben so gut wie nichts mehr mit tatsächlicher empfundener Angst zu tun. Sie sind mit Hilfe von denkbar schlichten, audiovisuellen Reizen provozierte Reaktionen unseres Körpers. Ein solches „Buh“ ist ganz schnell verkraftet, echte Angst aber bleibt.

Doch die Angst wird im Mainstream-Horror zunehmend abgeschafft. Die Filmindustrie scheint zu glauben, dass dem Publikum das „Buh“ vorerst genügt und dass es für die Erstellung solcher Jump Scares leidlich ein gruseliges Gesicht und die ewig gleiche Tonfolge von der Festplatte braucht. Mehr nicht.

Buh! Jump Scares sind billig

Eine Entwicklung, die gleich in mehrfacher Hinsicht höchst bedauerlich ist. Zum einen hat sie dazu geführt, dass der überwiegende Teil des Mainstream Horrors für uns Genre-Freunde uninteressanter - weil deutlich berechenbarer - geworden ist.

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Ich fürchte mich ja nicht vor Etwas, das mir nur allzu vertraut ist, das ich in- und auswendig kenne. Ich habe keine Angst vor dem Bekannten oder dem Erwartungsgemäßen. Der Horrorfilm ist aber gerade die angstvolle Erkundung des mir Unbekannten, eine hoch spannende Begehung des Ungreifbaren. Das gilt nicht nur für seine Inhalte, sondern gerade auch für die Mittel seiner Erzählung. Horrorfilme wie „The Boy“  verlassen sich bei dieser standesgemäßen Ergründung jedoch fast ausschließlich auf billige Jump Scares.

Sie sind ihr einziges, einsames Mittel zur Angst. Das macht sie nicht nur formelhaft, sondern auch spannungsarm. Tatsächlich gibt es immer mehr Horrorfilme, die sich beim Angstmachen ausschließlich auf dieses zunehmend dominante Schnittmuster verlassen. Das mag Menschen, die sich zweimal im Jahr angenehm gruseln wollen, vielleicht genügen – Horrorliebhaber lässt es aber allzu unbefriedigt zurück.

Der inflationäre Einsatz von Jump Scares ist aber auch bedauerlich, weil dieses Schnitt-Werkzeug für ein paar der großartigsten Momente des gesamten Genres verantwortlich war. Für sich genommen, sind Jump Scares ein fantastisches Mittel zum fürchterlichen Zweck.

Zeit und Gefühl: Was sind gute Jump Scares?

Man denke in diesem Zusammenhang etwa an die schlimme Restaurant-Sequenz aus „Mulholland Drive“, an die schauerliche Zeltszene in „Sixth Sense“, an die Tauchszene aus „Der weiße Hai“, an die Krankenschwester aus „Der Exorzist III“ oder auch an Captain Dallas´ gruselige Erkundung des Lüftungsschachtes in „Alien“. Was unterscheidet diese Jump Cuts von ihren billig wirkenden Auslegungen? Ganz einfach: Zeit und Gefühl.

Es sind Sequenzen, die ihre Spannung und ihre Atmosphäre deutlich langsamer aufbauen als das aktuell meist der Fall ist. Der Zeitpunkt des Entsetzens bleibt zudem bis zum eigentlichen Höhepunkt vollkommen unklar. Der Jump Scare ist in seiner gelungenen Form keine berechenbare Routine, sondern ein organisches, eigenständiges Wesen, das uns jederzeit angreifen kann. Mit anderen Worten: Wir bekommen die Zeit, um die Angst von Dallas in „Alien“ am eigenen Leib zu spüren oder wir werden von der Krankenschwester in „Der Exorzist III“ vollkommen unvorbereitet getroffen.

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Aufgeben sollte man dieses einst so mächtige Tool aber auch nicht. Dass es der Jump Scare auch in aktuellen Horrorfilmen noch sehr weit bringen kann, das lässt sich immer wieder erfahren. So kommt es zum Beispiel nicht von ungefähr, dass „Insidious“ als einer der besten Horrorfilme der letzten Jahre gesehen wird.

Der legendäre Jump Scare am Wohnzimmertisch der Familie war so effektiv, weil er mit den Erwartungen des eingewöhnten Publikums spielte, indem er sich nicht an die Regeln hielt. Wir rechnen fest damit, dass in dieser Szene gleich ein Jump Scare kommt, doch anstatt ihn erwartungsgemäß in der Rückblende zu platzieren, trollte uns James Wan mit seinem Auftauchen in der vermeintlichen sicheren Jetzt-Zeit. So einfach kann es sein. Unerwartet ist eben immer gut. Einen berechenbaren Jump Scare braucht niemand.

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